dc.description.abstract
Gesunde, motivierte und zufriedene Mitarbeiter sind fundamental für
gesellschaftliches sowie betriebliches Agieren und ihren Erfolg (ENWHP, 2007).
Dies wird angesichts der tiefgreifenden sozialen Veränderungen, wie der
epidemiologischen Transition und dem demographischen Wandel (Robert-Koch-
Institut, 2008; WHO, 2006) immer deutlicher. Um sich für diese
Herausforderungen zu rüsten, verstärken Unternehmen ihre Aktivitäten der
betrieblichen Gesundheitsförderung (Beyer, 2007; MERCER, 2010) und möchten so
die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter bestmöglich sichern und
fördern. Betriebliche Gesundheitsförderung wird definiert als die
gemeinschaftlichen Anstrengungen von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und
Gesellschaft zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter am
Arbeitsplatz (ENWHP, 2007, S. 2). Es wird betont, dass mit der Zuschreibung
einer unternehmerischen Verantwortung für das Mitarbeiterwohl keineswegs die
Verantwortung des Mitarbeiters für den Erhalt und die Förderung der eigenen
Gesundheit entfällt. Dabei kann Gesundheitsförderung verhältnis- und
verhaltensorientierte (vgl., Ulich & Wülser, 2009) Maßnahmen umfassen. In
diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Bedeutung betriebliche
Anstrengungen zur Gesundheitsförderung für die Einstellungen von Mitarbeitern
zu ihrem Unternehmen haben und inwiefern arbeits- und organisationsbezogene
Einstellungen durch betriebliche Gesundheitsförderung beeinflusst werden
können. Unter dem Konstrukt Gesundheitsklima wird die von Mitarbeitern
geteilte Wahrnehmung des betrieblichen Engagement und der organisationalen
Prioritäten und Werte bezüglich der Mitarbeitergesundheit zusammengefasst
(Basen-Engquist, Hudmon, Tripp, & Chamberlain, 1998; Mearns, Hope, Ford, &
Tetrick, 2010). Im Sinne des „job demands-resources model“ (vgl., Bakker &
Demerouti, 2007; Llorens, Bakker, Schaufeli, & Salanova, 2006) könnte das
Gesundheitsklima als arbeitsbezogene Ressource aufgefasst werden, die positiv
auf die emotionale Beziehung eines Mitarbeiters zu seinem Unternehmen, d.h.
auf sein affektives Commitment (vgl. Meyer & Allen, 1997), wirkt: Die
Wahrnehmung, dass ein Unternehmen sich um die Gesundheit des Mitarbeiters
kümmert, sollte dessen affektives Commitment an das Unternehmen stärken. In
Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit wird dieser Frage vor dem Hintergrund
arbeits- und organisationspsychologischer Forschung nachgegangen. In der
vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf der Verhaltensprävention, bei der das
individuelle (Gesundheits-)Verhalten im Zentrum der Präventionsarbeit steht
(Vgl., Ulich & Wülser, 2009). Unter Gesundheitsverhalten werden hierbei alle
Aktivitäten verstanden, die der Vorbeugung von Krankheiten, sowie ihrer
rechtzeitigen Entdeckung, dienen und das Ziel verfolgen, Gesundheit und
Wohlbefinden zu fördern (Connor, 2001). Dazu zählen bspw. körperliche
Aktivität oder eine gesunde Ernährung (Schwarzer, 2008). In Kapitel 3-6 wird
die Teilnahme an der saisonalen Influenzaimpfung als
Gesundheitsverhaltensweise diskutiert. Die zum Teil umfangreichen und dichten
Arbeitsbedingungen in einem Betrieb können zu einem erhöhten Infektionsrisiko
für Influenza führen. Daher wird die Grippeschutzimpfung als beste präventive
Maßnahme empfohlen (CDC, 2010a; Robert-Koch-Institut, 2011; WHO, 2011). Jedoch
sind die Impfquoten niedriger, als von Experten gewünscht (CDC, 2010b; Reuss
et al., 2010; Robert-Koch-Institut, 2008). Folglich gilt es zu eruieren,
welche psychologischen Faktoren und Mechanismen für den Aufbau einer
Impfbereitschaft (Intentionsbildung) sowie der regelmäßigen Impfteilnahme
bedeutsam sind. Dabei ist es ferner wichtig zu untersuchen, ob diese
motivationalen und volitionalen Prozesse gleichermaßen bei allen Mitarbeitern
operieren. Entsprechend wurden in den Untersuchungen, die in Kapitel 3-6
dargestellt sind, vor dem Hintergrund gesundheitspsychologischer Theorien und
Erkenntnisse (Lippke & Ziegelmann, 2008; Schwarzer, 2008), motivationale und
volitionale Faktoren und Prozesse des Impfverhaltens untersucht.
Diesbezügliche Erkenntnisse können dazu beitragen, effektive, effiziente und
evidenzbasierte Maßnahmen zur Förderung des Impfverhaltens zu entwickeln
(Leventhal, Weinman, Leventhal, & Phillips, 2008; Lippke & Ziegelmann, 2008).
Die Forschungsfragen und -ziele, die in Kapitel 2-6 behandelt werden, sind im
Folgenden überblicksartig zusammengefasst. a) In der Studie in Kapitel 2 wurde
untersucht, ob Gesundheitsklima eine förderliche Ressource darstellt, die
positiv auf das affektive Commitment eines Mitarbeiters zu seinem Unternehmen
wirkt oder ob es eher einen umgekehrten, kausalen Zusammenhang gibt. Ziel war
es, Evidenz für die Bedeutung des Gesundheitsklimas für arbeitsbezogene
Einstellungen der Mitarbeiter aufzuzeigen. b) In Kapitel 3 liegt der Fokus auf
psychologischen Faktoren der Impfbereitschaft (Intentionsbildung). Es wurde
untersucht, ob Handlungsergebniserwartungen die Beziehung zwischen vergangenen
Impfverhalten und Intention erklären können. Eine weitere Forschungsfrage war,
ob die Intentionsbildung in Abhängigkeit von dem bisherigen Impfverhalten
variiert. c) In Kapitel 4 stehen motivationale Prozesse mit Blick auf das
spätere Impfverhalten im Zentrum der Untersuchungen. Risikowahrnehmung und
Handlungsergebniserwartungen sollten durch Intention vermittelt das Verhalten
vorhersagen. Ferner wurden Befunde aus Kapitel 3 aufgegriffen und ein
moderierender Einfluss des vergangenen Verhaltens auf die Intentionsbildung
und Verhaltensvorhersage exploriert. d) In der Studie in Kapitel 5 wurde das
sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns (Health Action
Process Approach; HAPA, Schwarzer, 2008) als gesundheitspsychologisches Model
zur Verhaltensvorhersage angewandt. Es wurde untersucht, ob die Vorhersage des
Impfverhaltens durch das HAPA-basierte Modell sinnvoll durch
impfverhaltensspezifische Zusatzannahmen verbessert werden kann (betreffend
Risikowahrnehmung, negative Handlungsergebniserwartung). e) In den Analysen in
Kapitel 6 stehen volitionale Prozesse des Impfverhaltens im Mittelpunkt. Es
wurde eine theoriegeleitete Intervention zur Förderung der Impfteilnahme in
einer randomisierten kontrollierten Studie evaluiert. Ferner wurden
kompensatorische Gesundheitsüberzeugungen (CHB) als vermeintlich hemmender
Faktor der Intentions-Verhaltens-Beziehung untersucht. Das Hauptziel der
Studie stellte die Exploration des Einflusses der Interventionen auf die
Intention-CHB-Verhaltens-Beziehung dar. Im abschließenden Kapitel 7 werden die
Befunde der vorherigen Kapitel diskutiert und Implikationen für Praxis und
weitere Forschung dargestellt. Die Forschungsfragen der Kapitel 2-6 wurden in
zwei getrennten Studien in einem deutschen Großunternehmen zwischen 2009 und
2011 untersucht . Die Ergebnisse der einzelnen Kapitel werden im Folgenden
zusammengefasst dargestellt und diskutiert. Im Rahmen der Analysen in Kapitel
2 wurde die Beziehung von Gesundheitsklima und affektivem Commitment
untersucht. Beide Konstrukte waren quer- und längsschnittlich miteinander
assoziiert. Dabei war jedoch der Einfluss von Gesundheitsklima auf das
Commitment stärker, als umgekehrt: die affektive Bindung eines Mitarbeiters an
sein Unternehmen war umso höher, je positiver er das Gesundheitsklima
wahrnahm. Folglich wiesen die Ergebnisse darauf hin, dass das wahrgenommene
Gesundheitsklima im Unternehmen im Sinne einer Job Ressource (Bakker &
Demerouti, 2007; Llorens, et al., 2006) förderlich auf das affektive
Commitment der Mitarbeiter wirken kann. Nachfolgende Untersuchungen könnten
nun den zugrundeliegenden motivationalen Prozess genauer beleuchten und dabei
Einflussfaktoren, wie bspw. die wahrgenommene Unterstützung durch die
Unternehmungsleitung oder das Führungsverhalten des Vorgesetzten (Clausen &
Borg, 2010; Eisenberger, Stinglhamber, Vandenberghe, Sucharski, & Rhoades,
2002; Randall & Nielson, 2010) mitberücksichtigen. Ferner könnte auch die
Wirkung des Gesundheitsklimas auf weitere bedeutsame arbeitsrelevante
Konstrukte, wie bspw. Engagement (Schaufeli & Bakker, 2004; Schaufeli, Bakker,
& Salanova, 2006), in komplexeren Kreuzkorrelationsanalysen untersucht werden.
Die Ergebnisse sollten Verantwortliche der betrieblichen Gesundheitsförderung
anregen, das Gesundheitsklima zu fördern und zu kultivieren, da dessen Effekte
offensichtlich über den konkreten gesundheitlichen Nutzen hinaus gehen
(Mearns, et al., 2010; Muse, Harris, Giles, & Feild, 2008). Dafür könnten
bspw. verhaltens- (z.B. Sportangebote), sowie verhältnisorientierte
Präventionsmaßnahmen (z.B. gesundes Kantinenessen) angeboten werden (Basen-
Engquist, et al., 1998). Im Kontext der Verhaltensprävention könnten dann
gesundheitspsychologische Theorien für eine evidenzbasierte und effektive
Interventionsgestaltung und Evaluation herangezogen werden (Leventhal, et al.,
2008; Lippke & Ziegelmann, 2008). Der gezeigte Einfluss des Gesundheitsklimas
auf affektives Commitment ist zudem deshalb so bedeutsam für Unternehmen, da
Commitment von zentraler Bedeutung für gesundheits- wie leistungsbezogene
Parameter ist (z.B. Stressempfinden, Jobperformanz, Fluktuationsabsichten,
Work-Family-Balance, vgl. Mathieu & Zajac, 1990; Meyer & Allen, 1997; Meyer,
Stanley, Herscovitch, & Topolnytsky, 2002). In Kapitel 3 wurde in einer
querschnittlichen Studie die Intention zur Impfteilnahme untersucht, da die
Intention zentraler Prädiktor für späteres Verhalten ist (Ajzen, 1991; Bish,
Yardley, Nicoll, & Michie, 2011; Gargano et al., 2011; Harris, Maurer, &
Lurie, 2009). Es wurde gezeigt, dass positive und negative
Handlungsergebniserwartungen teilweise den Zusammenhang zwischen vergangenem
Impfverhalten und der aktuellen Intention erklärten: eine häufigere
Impfteilnahme in der Vergangenheit war mit mehr positiven und weniger
negativen Handlungserwartungen assoziiert und diese wiederum mit einer
stärkeren Intention. Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse, dass der
Zusammenhang von Handlungsergebniserwartungen und Impfintention davon abhing,
wie häufig sich Personen in der Vergangenheit (letzten fünf Jahre) hatten
impfen lassen. Die Intentionsbildung wurde substantiell vom bisherigen
Impfverhalten moderiert: bei jährlichen Impfteilnehmern spielten positive und
negative Handlungsergebniserwartungen bei der Intentionsbildung keine Rolle
(mehr), im Gegensatz zu Personen, die noch nie oder bisher sporadisch an der
Impfung teilnahmen. Auch wenn die querschnittlichen Untersuchungen keine
Aussagen über Ursache und Wirkung erlauben, so stehen die Annahmen zur
Richtung der Zusammenhänge von vergangenem Verhalten,
Handlungsergebniserwartungen und Intention in Einklang mit bisherigen Befunden
(Bish, et al., 2011; Hofmann, Ferracin, Marsh, & Dumas, 2006; Nexøe,
Kragstrup, & Søgaard, 1999; Ouellette & Wood, 1998; Schwarzer, 2008;
Verplanken & Melkevik, 2008). Folglich sollten sie in dem dargelegten Sinne
interpretierbar sein, auch wenn längsschnittliche Studien für eine Validierung
nötig sind. Unter Vorbehalt des querschnittlichen Designs können daher erste
Schlüsse gezogen werden. Die Ergebnisse deuten an, dass die Intentionsbildung
vom bisherigen Impfverhalten abhängt: Das bewusste Abwägen von Vor- und
Nachteilen der Impfung (positive und negative Handlungsergebniserwartungen)
(Bish, et al., 2011; Harrison, Mullen, & Green, 1992; Hofmann, et al., 2006;
Nexøe, et al., 1999) scheint mit zunehmender Impfteilnahme von einem eher
automatisierten Intentionsbildungsprozess mit habituellen Charakteristika
abgelöst zu werden (de Bruijn & Rhodes, 2010; Ouellette & Wood, 1998;
Verplanken & Melkevik, 2008). Dieses eher automatisierte Ablaufen bei der
Intentionsbildung könnte möglicherweise aus der wiederholten Impfteilnahme in
stabiler Umgebung (Werksärztlicher Dienst) resultieren. Besonders
hervortretende Schlüsselreize in der Umgebung (z.B. Impftermine auf dem
Fragebogen) könnten dann bei häufigen Impfteilnehmern ausgereicht haben, um
sie zu einer Impfteilnahme zu motivieren (Ouellette & Wood, 1998; Verplanken &
Melkevik, 2008). Diese Prozesse gilt es aber, in weiteren Studien mit
adäquaten Instrumenten (Verplanken & Melkevik, 2008) genauer zu untersuchen.
Für die Gestaltung effektiver und effizienter (hinsichtlich Zeit, Geld oder
Anstrengungen) Interventionen zur Förderung der Impfmotivation implizieren die
Befunde, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Adressaten zu berücksichtigen.
Ist es das Ziel, regelmäßige Impfteilnehmer anzusprechen, so scheinen saliente
Hinweisreize, wie bspw. ein Poster mit den Impfterminen ausreichend, um sie
zur Teilnahme zu motivieren. Hat eine Person hingegen noch nie oder eher
sporadisch in der Vergangenheit an der Impfung teilgenommen, so kann die
Intention durch das Adressieren positiver und negativer
Handlungsergebniserwartungen in Interventionen gesteigert werden.
Beispielsweise könnten die Vor- und Nachteile der Impfung und alternativer
präventiver Maßnahmen dargestellt werden (Abraham & Michie, 2008; Michie,
Johnston, Francis, Hardeman, & Eccles, 2008). Insgesamt konnte die Studie
trotz designbedingter Einschränkungen erste Einblicke in
Intentionsbildungsprozesse sowie Anregung zu weiterer Forschung geben.
Mechanismen der Gewohnheitsbildung sollten im Verhaltensänderungsprozess (de
Bruijn & Rhodes, 2010; Fleig, Lippke, Pomp, & Schwarzer, 2011; Ouellette &
Wood, 1998; Verplanken & Melkevik, 2008) und insbesondere im Kontext der
Impfung weiter untersucht werden. In der längsschnittlichen Untersuchung, die
in Kapitel 4 beschrieben wird, wurde an diese Befunde angeknüpft. Ferner wurde
nachverfolgt, ob motivierte Personen tatsächlich an der Impfung zu einem
späteren Zeitpunkt teilnehmen. Bisherige Forschung zeigte, dass Intention zwar
ein zentraler Prädiktor für späteres Verhalten ist, aber nicht garantiert,
dass das Vorhaben tatsächlich realisiert wird (Gollwitzer, Sheeran, & Zanna,
2006; Sheeran, 2002). Neben positiven und negativen
Handlungsergebniserwartungen wurde Risikowahrnehmung in das Prädiktionsmodell
hinzugenommen (Brewer, Weinstein, Cuite, & Herrington, 2004; Weinstein et al.,
2007). Die Ergebnisse zeigten, dass alle drei Konstrukte bedeutsam mit
Intention assoziiert waren. Risikowahrnehmung und negative
Handlungsergebniserwartungen sagten, vollständig vermittelt über Intention,
späteres Verhalten vorher. Der Einfluss von positiven
Handlungsergebniserwartungen auf Verhalten wurde teilweise von Intention
mediiert, denn positive Handlungsergebniserwartungen sagten über Intention
hinaus das Verhalten sieben Monate später direkt vorher. Einerseits wiesen die
Ergebnisse darauf hin, dass Risikowahrnehmung und negative
Handlungsergebniserwartungen eher distale Prädiktoren für das Impfverhalten
darstellen (Parschau et al., 2011; Renner & Schwarzer, 2005; Schwarzer, 2008)
und die Basis für anschließende volitionale Prozesse bereitstellen (Renner,
Spivak, Kwon, & Schwarzer, 2007; Schwarzer, 2008). Andererseits prädizierten
positive Handlungsergebniserwartungen direkt das Verhalten, was Annahmen der
Sozial-kognitiven Theorie stützt (Bandura, 1997). Nachfolgende Untersuchungen
könnten diese unterschiedlichen Befunde hinsichtlich der
Handlungsergebniserwartungen näher beleuchten und bspw. den Inhalt der
erwarteten Handlungsergebnisse explorieren (Gellert, Ziegelmann, & Schwarzer,
2011; Williams, Anderson, & Winett, 2005). In den anschließenden Analysen
wurde der moderierende Einfluss des vergangenen Verhaltens auf die
Intentionsbildung bestätigt (Ernsting, Schwarzer, Lippke, & Schneider, 2011):
die soeben beschriebenen motivationalen Mechanismen variierten in Abhängigkeit
des bisherigen Impfverhaltens einer Person. Nahm eine Person bisher sporadisch
oder noch gar nicht an der saisonalen Schutzimpfung teil, waren die
wahrgenommenen Vor- und Nachteile sowie die Risikowahrnehmung bedeutsam mit
der Intention assoziiert und sagten indirekt über Intention das Verhalten
vorher. Nahm eine Person hingegen jährlich in den vergangenen fünf Jahren an
der Impfung teil, so waren Risikowahrnehmung und Handlungsergebniserwartung
nicht mehr mit Intention assoziiert und sagten nicht mehr indirekt das
Verhalten vorher. Wie zuvor (vgl. Kapitel 3) könnte dieses Muster durch
Mechanismen, die bei der Gewohnheitsbildung von Bedeutung sind, erklärt
werden. Die wiederholte Teilnahme in einem stabilen Setting (Werksärztlicher
Dienst) in der Vergangenheit sowie saliente, aktuelle Hinweisreize (z.B.
Impftermine auf dem Fragebogen), könnten als unterstützende Bedingungen für
die Automatisierung (bzw. Habituation) des Intentionsbildungsprozesses
fungiert und möglicherweise das Überspringen des kognitiven Prozesses
(Intentionsbildung) unterstützt haben (Ouellette & Wood, 1998; Verplanken &
Melkevik, 2008). Jedoch sind differenziertere Analysen und experimentelle
Interventionsstudien nötig, um die Befunde zu bestätigen und, um genauere
Einblicke in die Prozesse der Intentionsbildung und eine mögliche Habituation
des Impfverhaltens zu bekommen. Insgesamt sollten diese Ergebnisse ermutigen,
da sie zeigen, dass das Impfverhalten habituelle Eigenschaften aufweisen kann,
welche die dauerhafte Aufrechterhaltung eines Gesundheitsverhaltens
unterstützen (de Bruijn & Rhodes, 2010; Fleig, et al., 2011; Verplanken &
Melkevik, 2008). Dies ist bedeutsam, da nur die regelmäßige und dauerhafte
Ausübung eines Gesundheitsverhaltens umfassend förderlich für die Gesundheit
ist. Folglich sollten Untersuchungen unterstützende Faktoren und Mechanismen
explorieren, die diese selbsterhaltenden Muster des Impfverhaltens
unterstützen. Die Empfehlungen zur Interventionsgestaltung knüpfen an die
dargestellten Inhalte in Kapitel 3 an. Maßnahmen sollten die Bedürfnisse der
Adressaten berücksichtigen und gezielt mit den relevanten Techniken
intervenieren (Abraham & Michie, 2008; Michie, et al., 2008). Darüber hinaus
könnte die Perspektive auf soziale Einflussfaktoren geweitet werden, indem
bspw. soziale Normen oder sozialer Druck in den Analysen berücksichtigt werden
(Bish, et al., 2011; Gargano, et al., 2011; Painter et al., 2010; Rubin,
Potts, & Michie, 2011; Schensul, Radda, Coman, & Vazquez, 2009; Updegraff,
Emanuel, Gallagher, & Steinman, 2011). In Kapitel 5 wurde in der vorliegenden
längsschnittlichen Studie das HAPA (Schwarzer, 2008) als
gesundheitspsychologisches Modell zur Verhaltensvorhersage angewandt. Die
Verhaltensprädiktion sollte jedoch mit einem Modell, das für das Impfverhalten
angepasst wurde, verbessert werden. Die (strukturellen) Annahmen des HAPAs zur
Verhaltensvorhersage konnten bestätigt werden (z.B., Chiu, Lynch, Chan, &
Berven, 2011; Craciun, Schüz, Lippke, & Schwarzer, 2011; Schwarzer, 2008;
Schwarzer & Renner, 2008; Teng & Mak, 2011): Selbstwirksamkeit,
Handlungsergebniserwartungen und Risikowahrnehmung prädizierten Intention und
vermittelt über Intention indirekt das Verhalten. Planung mediierte zwischen
Intention und Verhalten. Dies demonstriert die Bedeutung postintentionaler
Faktoren für die Umsetzung einer Intention (Gollwitzer, et al., 2006; Milkman,
Beshears, Choi, Laibson, & Madrian, 2011; Reuter, Ziegelmann, Wiedemann, &
Lippke, 2008) in Verhalten. Jedoch schien die Intentions-Verhaltens-Lücke
geringer zu sein, als bei anderen Verhaltensweisen (Schwarzer, 2008; Sheeran,
2002; Sniehotta, Scholz, & Schwarzer, 2005). Möglicherweise reduzierten die
Rahmenbedingungen der Studie die selbstregulativen Anforderungen. Zum Beispiel
war für die Impfung keine Terminvereinbarung nötig. Der Vergleich mit dem
adjustierten Modell zeigte jedoch, dass durch die Zusatzannahmen eine bessere
Komposition sozial-kognitiver Variablen zur Verhaltensvorhersage erreicht
wurde. Risikowahrnehmung war über die motivationale Funktion hinaus auch für
volitionale Prozesse bedeutsam: Risikowahrnehmung war mit Planung assoziiert
und sie sagte indirekt (über Planung vermittelt) sowie direkt das spätere
Impfverhalten vorher. Damit ergänzte die vorliegende Studie Befunde aus
anderen Bereichen des Gesundheitsverhaltens (Craciun, Schüz, Lippke, &
Schwarzer, 2010; Duckworth, Frank-Stromborg, Oleckno, Duffy, & Burns, 2002)
und unterstrich die zentrale Bedeutung von Risikowahrnehmung für das
Impfverhalten (Bish, et al., 2011; Brewer et al., 2007; Capolongo, daCosta
DiBonaventura, & Chapman, 2006; Weinstein, et al., 2007). Die zweite Anpassung
des Modells bezog sich auf die negativen Handlungsergebniserwartungen. Die
wahrgenommenen Kosten bzw. Nachteile der Impfung (hier: Nebenwirkungen)
zeigten den erwarteten direkten Einfluss auf das Verhalten. In Übereinstimmung
mit dem “omission bias” (die Wahrnehmung, dass es schlimmer ist, durch
Handlungen Schaden anzurichten, als durch die Unterlassung einer Handlung,
Asch et al., 1994; Spranca, Minsk, & Baron, 1991) erwiesen sich die negativen
Ergebniserwartungen bis zur Impfteilnahme als bedeutsam, was ferner konform
mit den Annahmen der Sozial-kognitiven Theorie ist (Bandura, 1997). Die
Ergebnisse indizierten, dass die Vorhersage des Impfverhaltens durch das HAPA-
basierte Modell durch impfverhaltensspezifische Zusatzannahmen sinnvoll
verbessert werden konnte. Diese Annahmen müssen jedoch in experimentellen
Studien validiert werden. Es gilt zu prüfen, ob Veränderungen in den
entsprechenden Kognitionen zu Veränderungen im Verhalten führen. In
Interventionen zur Förderung der Impfteilnahme sollte berücksichtigt werden,
wo sich eine Person im Prozess der Verhaltensänderung befindet
("stadienspezifische Intervention", Lippke, Schwarzer, Ziegelmann, Scholz, &
Schuz, 2010; Schüz, Sniehotta, & Schwarzer, 2007; Wiedemann et al., 2009).
Selbstwirksamkeit könnte bspw. mithilfe von Rollenmodellen gesteigert werden,
um Personen zur Impfteilnahme zu motivieren (Bandura, 1997). Personen, die
bereits motiviert sind, sollten in der Verhaltensausübung unterstützt werden,
indem sie bspw. Planungshilfen erhalten. Risikowahrnehmung erwies sich in
beiden Phasen der Verhaltensänderung als bedeutsam und sollte entsprechend
adressiert werden (Abraham & Michie, 2008; Michie, et al., 2008). Dabei sollte
darauf geachtet werden, das Verständnis für Risikostatistiken sicherzustellen
(Gigerenzer, Gaissmaier, Kurz-Milcke, Schwartz, & Woloshin, 2007).
Zusammenfassend konnten die Untersuchungsergebnisse bereichernde Einblicke in
motivationale und volitionale Prozesse des Impfverhaltens geben und zeigen,
dass die Berücksichtigung verhaltensspezifischer Charakteristika in
bestehenden theoretischen Modellen, wie dem HAPA, sinnvoll sein kann. Ferner
wurde die Bedeutung risikobezogener Kognitionen und postintentionaler Faktoren
(Planung) für das Verhalten deutlich. In den Analysen in Kapitel 6 standen
volitionale Prozesse des Impfverhaltens im Fokus. Es wurde eine HAPA-basierte
(Schwarzer, 2008) Interventionsstudie zur Förderung der Impfteilnahme im
Betrieb in einer randomisierten kontrollierten Studie (Willis, 2001)
implementiert. Ferner wurden kompensatorische Gesundheitsüberzeugungen
(compensatory health beliefs; CHB) als potenziell hemmender Faktor der
Intentions-Verhaltens-Beziehung untersucht. Das Hauptziel der Studie war die
Untersuchung der Fragestellung, ob eine gesundheitsförderliche
selbstregulative Intervention dem vermeintlich negativen Einfluss von
kompensatorischen Gesundheitsüberzeugungen auf das Verhalten entgegenwirken
kann. Zunächst konnten kompensatorische Gesundheitsüberzeugungen als Mediator
zwischen Intention und Verhalten bestätigt werden. Sie stellen eine
gesundheitsbedrohliche selbstregulative Strategie dar, die es gestattet, ein
gesundheitsschädigendes Verhalten auszuüben (resp. förderliches Verhalten zu
unterlassen), weil die Person annimmt, dass sie dieses durch die Ausübung
eines anderen gesundheitsförderlichen Verhaltens kompensieren oder
neutralisieren kann (Knäuper, Rabiau, Cohen, & Patriciu, 2004; Rabiau,
Knäuper, & Miquelon, 2006; Radtke, Scholz, Keller, Knäuper, & Hornung, 2011).
Gegeben der Annahme, dass Menschen einen gesunden Lebensstil anstreben, ließen
sich Studienteilnehmer bedeutsam seltener impfen, wenn sie der Überzeugung
waren, dass sie bereits ein gesundes Leben führen. Eine Impfung erschien
folglich unnötig, da sie ihren Lebensstil als ausreichend gesundheitsschützend
wahrnahmen. In diesem Fall stellten kompensatorische Gesundheitsüberzeugungen
eine gute Ausrede für die Nichtteilnahme dar. Künftige Interventionen sollten
folglich diese Gesundheitsüberzeugungen berücksichtigen. In der Studie
erhielten Mitarbeiter zudem zufällig eine von zwei Interventionen zur
Förderung der Impfteilnahme: in der Standardintervention wurden motivationale
Konstrukte angesprochen; in der Interventionsgruppe erhielten die Teilnehmer
zusätzliche Interventionskomponenten, die selbstregulative Kompetenzen fördern
sollten (Handlungs- und Bewältigungsplanung, Selbstwirksamkeit). Die
Ergebnisse zeigten jedoch keine Überlegenheit der Interventionsgruppe
hinsichtlich der Impfteilnahme. Dies lag möglicherweise an dem fehlenden
Interventionseffekt auf die Selbstwirksamkeitserwartung (im Gegensatz zum
indizierten Effekt auf Planung). Diese defizitäre Interventionswirkung auf
Selbstwirksamkeit könnte darüber hinaus auch auf einem zweiten, indirekten Weg
wirkungsmindernd auf Wirksamkeit der Intervention gewirkt haben: in
vergangenen Studien wurden synergistische Effekte von Selbstwirksamkeit und
Planung demonstriert, die zeigen, dass für die Entwicklung von Plänen bzw. das
Umsetzen von Plänen in Verhalten, ein bestimmtes Maß an Selbstwirksamkeit
vorhanden sein muss (Lippke, Wiedemann, Ziegelmann, Reuter, & Schwarzer, 2009;
Luszczynska, Schwarzer, Lippke, & Mazurkiewicz, 2011; Richert et al., 2010).
Trotz des mangelnden Interventionseffekt auf Selbstwirksamkeit wird für
weitere Studien empfohlen, an der Strategie, Rollenmodelle zur Steigerung der
Selbstwirksamkeit einzusetzen, festzuhalten, da dies eine effektive (Ashford,
Edmunds, & French, 2010; Bandura, 1997; Warner, Schüz, Knittle, Ziegelmann, &
Wurm, 2011) und im Kontext des Impfverhaltens eine praktikable Strategie
darstellt. Jedoch ist es ratsam, das Interventionsmaterial für künftige
Studien zu überarbeiten. Gegebenenfalls könnten auch andere Medien zur
Vermittlung der Inhalte eingesetzt werden (z.B. Videos). Zudem zeigten die
Ergebnisse, dass Selbstwirksamkeit und auch Planung späteres Impfverhalten
vorhersagten, was ihre Bedeutung für die Ausübung des Gesundheitsverhaltens
unterstreicht. Bei der Untersuchung der Forschungsfrage, ob eine mögliche
Interaktion zwischen der Art der Intervention (Intervention vs.
Standardintervention) und der gesundheitsschädigenden
Selbstregulationsstrategie (CHB) hinsichtlich der Impfteilnahme vorliegt,
konnte ein Gruppeneffekt aufgezeigt werden: Erhielten Teilnehmer mit geringen
kompensatorischen Gesundheitsüberzeugungen die Intervention mit zusätzlichen
Komponenten zur Förderung der Selbstregulation (Interventionsgruppe; hier:
wirksam für Planung), war die Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme viermal so hoch
wie in der Standardinterventionsgruppe. Die Förderung der selbstregulativen
Strategien konnte den negativen Einfluss von kompensatorischen
Gesundheitsüberzeugungen auf das Verhalten abfedern. Wurde von Teilnehmern
jedoch ein hohes Maß an kompensatorischen Gesundheitsüberzeugungen berichtet,
war in beiden Gruppen die Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme gering.
Zusammenfassend konnte die Untersuchung zeigen, dass kompensatorische
Gesundheitsüberzeugungen einen hemmenden Faktor für die Impfteilnahme
darstellen. Sie könnten als Rechtfertigung herangezogen werden, weshalb
Menschen nicht an der Impfung teilnehmen. Diese Überzeugungen sollten daher in
künftigen Interventionen explizit berücksichtigt werden, z.B., indem
gesundheitsförderliche Selbstregulationsstrategien gefördert werden.
Diesbezüglich sollte ihr Zusammenwirken mit anderen selbstregulativen
Strategien weiter näher beleuchtet werden. In Kapitel 7 werden die Ergebnisse
der einzelnen Kapitel diskutiert und hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen,
sowie Implikationen für Theorie und Praxis, näher beleuchtet.
de