Einleitung Leitlinienempfehlungen variieren dahingehend, inwieweit Pflegende bei der Dekubitusrisikoeinschätzung Risikoskalen verwenden sollten. Um die Evidenzlage für die indirekte und direkte Bewertung des klinischen Nutzens dieser Instrumente zu verbessern, wurden folgende Fragestellungen untersucht: (1) Wie groß ist die diagnostische Genauigkeit von Risikoskalen bei der Identifizierung dekubitusgefährdeter Patienten im Vergleich zur Pflegeabhängigkeitsskala (PAS), einem generischen pflegebezogenen Assessmentinstrument? (2) Welche Patientenmerkmale berücksichtigen Pflegende bei der klinischen Einschätzung des Dekubitusrisikos von Krankenhauspatienten? (3) Welche Effekte hat die Anwendung einer Risikoskala gegenüber der klinischen Risikoeinschätzung auf die Dekubitusinzidenz von Krankenhauspatienten? Methodik (Zu 1) Auf der Basis der Daten von zwei Querschnittstudien mit Krankenhauspatienten wurde die diagnostische Genauigkeit verschiedener Risikoskalen und der PAS bei der Identifizierung dekubitusgefährdeter Patienten ermittelt. (Zu 2) In einer „mixed methods“-Studie wurden quantitative Daten zu den Prädiktoren der klinischen Risikoeinschätzung von Pflegenden mit Interviewdaten zur klinischen Einschätzung trianguliert. (Zu 3) Basierend auf einer kritischen Analyse publizierter randomisiert-kontrollierter Studien (RCT) zu der Forschungsfrage wurde ein methodisch robustes Cluster-RCT zum Vergleich der Braden-Skala mit der klinischen Einschätzung hinsichtlich der Effekte auf Dekubitusinzidenz bei Krankenhauspatienten geplant. Ergebnisse (Zu 1) In beiden Studien erwies sich die diagnostische Genauigkeit der PAS als ähnlich gut bzw. schlecht wie die der jeweils am besten diskriminierenden Risikoskala. (Zu 2) Bei der klinischen Einschätzung berücksichtigen Pflegende wichtige Risikofaktoren, aber auch protektive Faktoren, insbesondere die Selbstpflegefähigkeiten von Patienten. Einige Unsicherheiten in der Interpretation von Risikofaktoren wurden deutlich. (Zu 3) Verfügbare RCT (n=2) zeigen keine signifikanten klinischen Effekte für die Anwendung einer Risikoskala, jedoch ist ihre Beweiskraft stark limitiert. Das geplante methodisch robuste Cluster-RCT erwies sich wegen eines extrem hohen erforderlichen Stichprobenumfangs (>900 Cluster und >100.000 Patienten) als nicht durchführbar. Die indirekte Nutzenbewertung mittels sogenannter „evidence linkages“ wurde als bevorzugter alternativer Evaluationsansatz identifiziert. Hierfür sind jedoch einzelne Komponenten der Risikoeinschätzungs-Präventions-Wirkungskette noch besser zu untersuchen. Schlussfolgerung Die Ergebnisse liefern keine Hinweise auf eine Über- oder Unterlegenheit von Risikoskalen hinsichtlich des Informationsertrags im Vergleich zu anderen Einschätzungsverfahren (PAS, klinische Einschätzung). Der klinische Nutzen von Risikoskalen gegenüber der klinischen Einschätzung bleibt jedoch offen und lässt sich vermutlich nicht direkt mittels robuster experimenteller Untersuchungen bestimmen. Indirekte Nutzenbewertungen basierend auf dem „evidence linkages“-Ansatz erscheinen dagegen als machbar und geeignet, valide Effektschätzungen zu generieren. Dieser Ansatz bietet zudem einen Rahmen für die weitere Evidenzbildung zu wichtigen Komponenten der Risikoeinschätzungs-Präventions-Wirkungskette.
Introduction Guideline recommendations vary concerning the role of pressure ulcer (PU) risk assessment scales (PURAS) in nurses’ risk assessment. To improve the evidence for indirect and direct assessment of these tools’ clinical benefits, following research questions were addressed: (1) What is the diagnostic accuracy of PURAS in identifying patients at PU compared to the Care Dependency Scale (CDS), a generic nursing assessment tool? (2) Which patient characteristics guide nurses’ clinical judgement on PU risk? (3) What are the effects of PURAS on the incidence of PUs in hospital patients compared to nurses’ clinical judgement? Methods (Ad 1) Based on cross-sectional data from two hospital samples, the diagnostic accuracy of several PURAS and the CDS was estimated. (Ad 2) Mixed methods study: Quantitative data on predictors of nurses’ clinical judgement on PU risk were triangulated with interview data on nurses’ clinical judgement. (Ad 3) Based on a critical review of available randomised-controlled trials (RCT) targeting the research question of interest, a methodologically robust cluster-RCT (cRCT) was planned to assess the Braden Scale’s impact on PU incidence compared to nurses’ clinical judgement. Results (Ad 1) In both studies, the CDS showed similar diagnostic accuracy compared to either best discriminating PURAS. (Ad 2) For their clinical judgement, nurses draw on well-established risk factors, but also on protective conditions, mainly patients’ self-care abilities. Some uncertainties concerning nurses’ interpretation of risk factors were noted. (Ad 3) Available trials (n=2) do not indicate a significant effect of PURAS on PU incidence, but results are limited through serious methodological weaknesses. A methodologically robust cRCT was found to be infeasible due to the sample size needed (>900 clusters, >100,000 patients). Alternatively, indirect assessment of clinical benefits using evidence linkages seems to be a promising way for further evaluation. However, to apply this method, more robust empirical data on single attributes of the risk assessment prevention pathway are needed. Conclusions With respect to the retrieval of diagnostic information, PURAS seem to be neither superior nor inferior to other risk assessment methods (CDS, clinical judgement). However, the clinical benefits of PURAS compared to nurses’ clinical judgement remain unclear and may be not amenable to direct evaluation using robust experimental trials. Instead, indirect evaluation using evidence linkages appears to be a feasible and suitable method for establishing valid effect estimates. This approach also offers an analytical framework for future research targeting the risk assessment-prevention pathway.