Anorexia nervosa (AN) entsteht zumeist im Kindes- und Jugendalter und die Langzeit-Outcomes für Menschen mit AN sind derzeit bestenfalls als moderat zu bezeichnen. Aktuelle Behandlungsleitlinien in Deutschland, den USA und England stellen die Gewichtsrehabilitation als zentrales Therapieziel in den Vordergrund. Eine schnelle, frühe Gewichtszunahme gilt dabei als positiver Prädiktor für das längerfristige Outcome. Die ausreichende Nahrungszufuhr ist für eine angemessene Gewichtszunahme entscheidend, dennoch wird aus Furcht vor dem Refeeding-Syndrom initial oft niedrigkalorisch (z.B. < 1400 kcal/d) ernährt. In Tiermodellen wird das sogenannte Activity-Based Anorexia (ABA)-Modell untersucht: niedrige Leptinspiegel durch eine niedrige Fettmasse im Hungerzustand führen zu erhöhter, körperlicher Aktivität, welche möglicherweise die Futtersuche und das Überleben sichern könnten. Die gesteigerte, körperliche Aktivität gilt bei Patient:innen mit AN als krankheitsaufrechterhaltend. Inwiefern sich jedoch das ABA-Modell auf an AN erkrankte Personen übertragen lässt, ist ungewiss. Um die Behandlungsoutcomes für Menschen mit AN zu verbessern, ist ein tieferes Verständnis derjenigen Faktoren erforderlich, welche die Gewichtszunahme bei Patient:innen mit AN limitieren bzw. fördern. Diese Habilitationsschrift basiert auf 5 Originalarbeiten, die an 3 unterschiedlichen Patient:innen-Kohorten während der stationären Behandlung und in 2 Arbeiten im Vergleich mit altersgleichen, gesunden Kontrollproband:innen durchgeführt wurden: 2 im Kindes- und Jugendalter und eine im Erwachsenenalter. Vier Publikationen basieren auf prospektivem Studiendesign, eine auf retrospektiven Aktenanalysen. Im Fokus der Arbeit stehen mit der körperlichen Aktivität, der Körperfettmasse und der Nahrungsaufnahme ernährungsphysiologische Parameter. Zur Erfassung der körperlichen Aktivität wurde die Akzelerometrie eingesetzt, um spezifische Bewegungsmuster objektiv zu charakterisieren. Die Körperfettmasse wurde mit der Bioelektrischen Impedanzanalyse gemessen. Es konnte gezeigt werden, dass bei Patientinnen mit AN im Vergleich zu gesunden Personen vor allem die körperliche Aktivität im niedrigschwelligen Bereich erhöht ist, dass jedoch dieses Bewegungsmuster nicht auf alle Patient:innen mit AN zutrifft. Dennoch wurde ein Zusammenhang zwischen der erhöhten, körperlichen Aktivität und der niedrigeren Gewichtszunahme während der Hospitalisierung sichtbar. Zudem zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Nahrungszusammensetzung und der körperlichen Aktivität bei Patient:innen mit AN. Diese Zusammenhänge sind jedoch in den vorliegenden Artikeln nicht im Sinne einer Kausalität belegt. Ein klarer Effekt der Hypoleptinämie auf eine erhöhte Schrittzahl war nicht ersichtlich. Um die gemäß S3-Leitlinien geforderte, wöchentliche Gewichtszunahme von 0.5-1.0 kg/Woche im stationären Setting zu erreichen, war eine initiale Energiezufuhr von 2000 kcal erforderlich. Diese Energiezufuhr war bei engem, medizinischem Monitoring und Korrektur der Phosphat- und Thiaminspiegel durch Supplemente bei Bedarf, nicht mit dem Auftreten eines Refeeding-Syndroms, sondern mit einer Normalisierung der zu Beginn pathologischen Blutwerte verbunden. Eine Studie, die im ambulanten Setting kausale Beziehungen zwischen niedrigem Fettverzehr, niedrigem Leptinspiegel, gesteigerter PA und daraus resultierend mangelnder Gewichtszunahme untersucht, stellt den nächsten, wichtigen Schritt dar - auch um daraus neue, therapeutische Ansätze zu entwickeln. Um weiteren Bezug zur klinischen Relevanz der untersuchten Fragestellungen aufzuzeigen, werden im Ausblick drei neue Therapieansätze vorgestellt: eine manualisierte Intervention zur Reduktion des zwanghaften Bewegungsverhaltens, die Gabe von Metreleptin sowie die ambulante, familienbasierte Therapie für Kinder und Jugendliche mit Essstörungen (FBT). Die FBT ist ein ambulanter, intensiver und störungsspezifischer Therapieansatz, der auf eine rasche Gewichtsnormalisierung, eine Regulation des gestörten Ess- und Bewegungsverhalten sowie damit auf die Reduktion der Anorexie-spezifischen Psychopathologie abzielt. Diese Therapieansätze könnten das Potenzial aufweisen, die Outcomes für einen signifikanten Teil der Betroffenen zu verbessern.