Seit der Humboldt’schen Bildungsreform um 1810 gilt an deutschen Universitäten das Ideal der Einheit von Forschung und Lehre. Diese Prämisse prägte die Lehre über die Jahrhunderte hinweg als wissenschaftlich orientiert. Die Bologna-Reform, die 1999 unterzeichnet wurde und praktische sowie berufsvorbereitende Ausbildungselemente in die Curricula integrierte, veränderte dieses Grundverständnis zunächst nur geringfügig. Allerdings leitete sie einen grundlegenden Veränderungsprozess an den Hochschulen ein. Ab 2010 verstärkte das Bundeswirtschaftsministerium mit der Förderlinie „EXIST Gründungskultur“ diesen Praxisbezug weiter, indem es die wirtschaftliche Ausgründung wissenschaftlicher Erkenntnisse förderte. Ziel dieser Initiative war der Aufbau einer hochschulweiten Gründungskultur an den geförderten Einrichtungen. Hochschulen, die sich um diese Förderung bewarben, mussten in ihrer Lehre Wissenschaft, Praxis und Gründungskultur miteinander verbinden. Doch wie lässt sich die Lehre zwischen dem Humboldt’schen Ideal und einer praxisnahen Ausbildung gestalten? Wie stark nehmen Lehrende diese scheinbar widersprüchlichen Anforderungen wahr, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Gestaltung der Lehre? Die vorliegende Dissertation untersucht die Implementierung von Gründungskultur an deutschen Universitäten, die traditionell vom Humboldt’schen Bildungsideal geprägt sind, unter besonderer Berücksichtigung der damit verbundenen institutionellen Spannungen und deren Einfluss auf die Lehre. Die Arbeit stützt sich theoretisch auf die Annahme, dass das Vorhandensein unterschiedlicher institutioneller Logiken zu Spannungen führt, die auf Makro-, Meso- und Mikroebene sichtbar werden. Im Rahmen einer qualitativen, eingebetteten Einzelfallstudie wird das Förderprogramm EXIST IV analysiert, das darauf abzielt, unternehmerisches Denken und Handeln an Universitäten zu fördern. Die Ergebnisse zeigen, wie Lehrende in einem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis agieren und welche Strategien sie entwickeln, um den widersprüchlichen Anforderungen gerecht zu werden. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wird ein erweitertes theoretisches Framework vorgestellt, das die Auswahl geeigneter Strategien in Situationen institutioneller Spannungen unterstützt. Die Arbeit leistet sowohl praxisrelevante Implikationen für Hochschulpolitik und Universitätsmanagement als auch konzeptionelle Beiträge zur Organisationstheorie.
Since Humboldt's educational reform around 1810, the ideal of the unity of research and teaching has applied at German universities. This premise has characterized teaching over the centuries as scientifically oriented. The Bologna reform, which was signed in 1999 and integrated practical and career-preparatory training elements into the curricula, initially changed this basic understanding only slightly. However, it initiated a fundamental process of change at universities. From 2010, the Federal Ministry of Economics further strengthened this practical orientation with the “EXIST Gründungskultur” funding line by promoting the commercial spin-off of scientific findings. The aim of this initiative was to establish a university-wide start-up culture at the funded establishments. Universities applying for this funding had to combine science, application and start-up culture in their teaching. But how can teaching be shaped between the Humboldtian ideal and practical training? To what extent do lecturers perceive these seemingly contradictory requirements and what consequences does this have for the design of lectures? This dissertation examines the implementation of a start-up culture at German universities, which are traditionally characterized by the Humboldtian educational ideal, with particular attention to the associated institutional tensions and their influence on teaching. The thesis is theoretically based on the assumption that the existence of different institutional logics leads to institutional tensions that become visible on macro, meso and micro levels. A qualitative, embedded case study is used to analyze the EXIST IV funding program, which aims to promote entrepreneurial thinking and action at universities. The results show how lecturers act in a field of tension between science and application and which strategies they develop in order to meet the contradictory requirements. Based on these findings, an extended theoretical framework is presented that supports the selection of suitable strategies in situations of institutional tension. The work provides practical implications for higher education policy and university management as well as conceptual contributions to organizational theory.