Lernen und Gedächtnis von Musik beruht auf einer Vielzahl von perzeptuellen, motorischen, affektiven und mnestisch-autobiographischen Prozessen. Patientenstudien und bildgebende Studien weisen darauf hin, dass dem musikalischen Gedächtnis möglicherweise eigene neuronale Substrate zu Grunde liegen könnten. Aktuell wird kontrovers diskutiert, inwieweit Musikgedächtnis unabhängig von anderen Gedächtnisprozessen organisiert ist. Wir untersuchten das musikalische Gedächtnis eines professionellen 68-Jahre alten Cellisten („Patient PM“), der aufgrund einer Herpes-Enzephalitis ein schweres amnestisches Syndrom entwickelt hatte. In wiederholten bildgebenden Untersuchungen des Gehirns waren ausgedehnte Gewebsnekrosen des Temporallappens bilateral unter Einschluss des Hippokampus nachgewiesen worden. Diese Konstellation bot die einzigartige Gelegenheit, das musikalische Gedächtnis eines Patienten zu untersuchen, der ein genau definiertes prämorbides musikalisches Wissen hatte. In einer ausführlichen Batterie mit etablierten neuropsychologischen Tests untersuchten wir zunächst verbale und visuelle Gedächtnisinhalte sowie Arbeitsgedächtnis. Hier zeigte PM schwerste Defizite für semantische und episodische Gedächtnisinhalte in allen getesteten Bereichen. Anschließend testeten wir PM’s musikalische Fähigkeiten mit einer etablierten Testbatterie (Montreal Battery of Evalution of Amusia; MBEA). Hier zeigte sich, dass nicht nur die perzeptuellen musikalischen Leistungen intakt waren, sondern auch das Gedächtnis für einfache musikalische Inhalte. Wir entwickelten daraufhin drei Tests, die den Beginn der Gedächtnisstörungen unseres Patienten berücksichtigten und die sowohl das retrograde als auch das anterograde Musikgedächtnis untersuchten. Die Kontrollgruppe bestand aus aktiven Amateurmusikern und professionellen Musikern der Berliner Philharmoniker. In allen Aufgaben wurden kurze Ausschnitte klassischer Instrumentalstücke paarweise präsentiert. In Aufgabe 1 wurden Stücke, die vor 2005 - und somit vor Beginn der Amnesie des Patienten - komponiert worden waren gemeinsam mit nach 2005 komponierten Stücken präsentiert. Die Musikstücke waren hinsichtlich Charakter, Stimmung und Instrumentierung gematcht. Die Probanden wurden instruiert, das bekanntere Stück zu benennen. In Aufgabe 2 wurden zwei Musikstücke aus der gleichen Musikepoche präsentiert (komponiert vor 2005), jeweils ein bekanntes und ein unbekanntes Werk. In der dritten Aufgabe wurde das anterograde Musikgedächtnis untersucht. Hierzu mussten die Probanden unbekannte, noch nicht gehörte Stücke von kurz zuvor gehörten Stücken unterscheiden. Erstaunlicherweise zeigte PM im Vergleich zur Kontrollgruppe in allen drei Aufgaben eine intakte Musikgedächtnisleistung. In weiteren Kontrollexperimenten, die das Erinnern nonverbaler Stimuli (Gesichter, Objekte) erforderten, zeigte PM hingegen ein ausgeprägtes Gedächtnisdefizit. Zusammenfassend zeigen diese Untersuchungen, dass Lernen und Gedächtnis musikalischer Informationen tatsächlich von neuronalen Netzwerken abhängen, die sich zumindest partiell von den Netzwerken für andere episodische und semantische Gedächtnisinhalte unterscheiden. Läsionsanalysen von PM und Ergebnisse früherer Studien deuten hierbei auf den rechten Gyrus temporalis superior als ein mögliches zentrales Substrat für musikalisches Gedächtnis.
Learning and memory of music involves a multitude of perceptual, motor, affective, and autobiographical memory processes. Patient and imaging studies suggest, that musical memory may involve distinct neural substrates. However, the degree of independence from other memory domains is controversial. We have investigated a 68-year-old professional cellist, patient PM, who developed severe amnesia following encephalitis. Repeated imaging studies demonstrated extensive bilateral lesions of the temporal lobes, including the hippocampal formation. This constellation provided a unique opportunity to study musical memory in a patient with a precisely defined premorbid musical knowledge. With an extensive battery of established neuropsychological tests, we examined verbal and visual memory as well as working memory. Here, PM demonstrated severe deficits of semantic and episodic memory in every tested domain. Subsequently, we tested PM’s musical abilities with an established test battery (Montreal Battery of Evaluation of Amusia; MBEA). Not only perceptual musical abilities were unaffected, but also PMs memory for simple musical material. Hereupon we developed three tests that took the onset of his encephalitis into account and which were designed to examine his retrograde and his anterograde musical memory. The control group consisted of active amateur musicians and professional musicians of the Berlin Philharmonic Orchestra. In each task, short excerpts of classical instrumental music were presented pairwise. In a first task, musical excerpts composed before 2005, i.e. before the onset of PM’s amnesia, were presented pairwise with excerpts composed after 2005. Excerpts were matched with respect to character, mood and instrumentation. Subjects were instructed to name the more famous composition. In a second task, we presented two musical excerpts composed in the same musical era (all composed before 2005), a well-known and an unknown excerpt. In a third task, we tested anterograde musical memory. Subjects were requested to differentiate between excerpts of completely unknown musical compositions, and excerpts of unknown compositions they had just previously listened to for the first time. Surprisingly, PM showed normal performance in each of the three tasks. In control experiments, that required the ability to memorize nonverbal stimuli, PM demonstrated a severe memory deficit. In summary, these findings suggest that learning and long-term retention of musical information depends on brain networks, that are at least partially distinct from networks involved in other types of episodic and semantic memory. Lesion analyses of PM and results of previous studies point to the right superior temporal gyrus as a possible substrate for musical memory.