Die Diagnose neurologischer Erkrankungen bei Vögeln ist oft herausfordernd. Die neurologische Untersuchung stellt einen wesentlichen diagnostischen Schritt dar, der zur Lokalisation der symptomauslösenden Läsion innerhalb des Nervensystems führt und damit die Basis für die Einschätzung möglicher Differenzialdiagnosen bildet. Allerdings sind Daten bezüglich der Anwendbarkeit neurologischer Tests bei Vogelarten nur sehr begrenzt in der Fachliteratur verfügbar. Darüber hinaus sind klinische Beschreibungen von Krankheitsbildern bei Wildvögeln oft nur spärlich vorhanden. Das Ziel dieser Dissertation bestand darin, die neurologische Untersuchung sowie die Diagnosestellung von Erkrankungen mit neurologischen Symptomen bei Vögeln zu verbessern. In der ersten Studie wurden physiologische Reflexantworten und Reaktionen im Rahmen der neurologischen Untersuchung klinisch gesunder Individuen verschiedener Vogelarten ermittelt. Bei 42 Tauben (Columba livia domestica), 42 Höckerschwänen (Cygnus olor) und 42 Greifvögeln, darunter zwölf Mäusebussarde (Buteo buteo), 24 Turmfalken (Falco tinnunculus) und sechs Habichte (Accipiter gentilis), wurde eine neurologische Untersuchung durchgeführt. Eine Reihe von neurologischen Tests konnte artenunterschiedlich als geeignet für die untersuchten Spezies identifiziert werden. Bei Tauben und Höckerschwänen wurden bei fast allen Haltungs- und Stellreaktionen reproduzierbar zuverlässige Reaktionen beobachtet. Im Gegensatz dazu waren die Haltungs- und Stellreaktionen der Hintergliedmaßen bei Greifvögeln aufgrund von Abwehrverhalten oft nicht durchführbar. Die Überprüfung der Kopfnerven und der meisten spinalen Reflexe ergaben artspezifisch variable Ergebnisse. Insbesondere der Gastrocnemiusreflex war bei keinem Individuum der Studie auslösbar. Die Ergebnisse deuten darauf, dass es vogelartspezifisch sowohl Unterschiede in der Durchführbarkeit der neurologischen Untersuchung als auch in der Auslösbarkeit und Ausprägung der Antworten im Rahmen der verschiedenen Tests gibt. In einer weiteren Studie wurden die klinischen, pathologischen und virologischen Aspekte von Infektionen mit dem West-Nil-Virus (WNV) bei zehn freilebenden Habichten aus Deutschland beschrieben. Das WNV ist ein zoonotisches Arbovirus, das erstmals 2018 in Deutschland nachgewiesen wurde und zu einer neuroinvasiven Erkrankung mit erhöhter Mortalität bei Vögeln, Menschen und anderen Säugetieren führen kann. Habichte sind besonders empfänglich für eine klinische Erkrankung und gelten als Indikatorart für das Auftreten des WNV in Europa. Aus diesem Grund sind Daten über das klinische Erscheinungsbild von großer Bedeutung für die frühzeitige Identifizierung von Verdachtsfällen. Zwischen Juli und September 2019 wurden insgesamt zehn freilebende Habichte (8/10 waren juvenil und 9/10 weiblich) in die Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin verbracht und umfassend untersucht. Die klinischen Befunde, die im Laufe des stationären Aufenthaltes erhoben wurden, waren Apathie und Inappetenz (10/10), ein schlechter Ernährungszustand (10/10), eingeschränkter Visus ohne okuläre Befunde (4/7), Uveitis (3/7), Hyphäma (1/7) und eine Hornhauterosion (1/7). Alle Tiere entwickelten im Verlauf neurologische Symptome, darunter Stupor (3/10), Krampfanfälle (3/10), Kopftremor (2/10), Kopfschiefhaltung (2/10), Monoplegie eines Beines (2/10) und Ataxie (2/10) und eine neurologische Untersuchung ergab eine multifokale neuroanatomische Lokalisation (8/9) oder eine fokale Lokalisation auf das Großhirn (1/9). Zusätzlich wurden Aerosacculitiden oder Pneumonien (7/10), traumatische Verletzungen (3/10) wie z.B. Frakturen der Carina sterni, klinisch apparente Infektionen mit Eucoleus spp. und Trichomonas spp. (3/10) sowie Myiasis (2/10) festgestellt. Trotz symptomatischer Behandlung verschlechterte sich der Zustand der Vögel, was zum Tod oder zur Euthanasie bei einer medianen Überlebenszeit von zwei Tagen führte. Die häufigsten histopathologischen Befunde waren eine Meningoenzephalitis (9/10), Myokarditis (8/10), Iridozyklitis (8/8) und Myositis (7/10). Die WNV-Infektion wurde mittels quantitativer Echtzeit-Polymerase-Kettenreaktion mit reverser Transkription (RT-qPCR) in Organproben (10/10) und Blut (6/8) diagnostiziert und durch serologische und immunhistochemische Untersuchungen bestätigt. Die Ergebnisse dieser kumulativen Dissertation beschreiben artspezifische, physiologische Reflexantworten und Reaktionen im Rahmen der neurologischen Untersuchung bei verschiedenen Vogelarten. Diese sollten bei der Interpretation neurologischer Tests bei den entsprechenden Spezies beachtet werden, um die Untersuchung möglichst aussagekräftig und stressarm für den Patienten zu gestalten. Dieser Untersuchungsgang konnte in einem weiteren Teil der kumulativen Dissertation bei Habichten mit neurologischen Symptomen ebenfalls angewendet und eine, in Deutschland relativ neue, Infektionserkrankung durch das WNV bei zehn freilebenden Habichten umfassend klinisch, pathologisch und virologisch charakterisiert werden. Diese Erkrankung sollte bei Habichten mit entsprechenden neurologischen Symptomen, insbesondere im Sommer, als wichtige Differenzialdiagnose Berücksichtigung finden. Insgesamt tragen diese Untersuchungen zur besseren Diagnosestellung neurologischer Erkrankungen bei Vögeln bei.