Seit dem öffentlichen Übertritt Johann Sigismunds zur reformierten Konfession im Jahr 1613 gab es im Kurfürstentum Brandenburg neben der mehrheitlich lutherischen Bevölkerung eine kleine, aber privilegierte Minderheit von Reformierten, aus der sich im 17. und frühen 18. Jahrhundert die Hof- und Verwaltungselite der Hohenzollern-Fürsten rekrutierte. Eine weiterführende 'Zweite Reformation' war jedoch am geschlossenen Widerstand der lutherischen Landstände, die den Landesherrn zum Verzicht auf die Ausübung seines ius reformandi zwangen, gescheitert. Trotz dieser ständisch-konstitutionellen Beschränkung des landesherrlichen Reformationsrechts sollten die brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige nicht nur dauerhaft am reformierten Bekenntnis festhalten, sondern auch den Anspruch auf die alleinige Verfügung über das Kirchenregiment als höchstes Regal behaupten, was zu einer aus religionshistorischer Perspektive recht ungewöhnlichen Konstellation führte. Im Zentrum dieser Arbeit steht das Verhältnis von Konfession und Herrschaft in Brandenburg-Preußen, wie es sich nach der unabgeschlossenen 'Zweiten Reformation' im Laufe des 17. und frühen 18. Jahrhunderts entwickelt hatte. Der Übergang von einer konfessionell geprägten zu einer überkonfessionellen Politik- und Gesellschaftsordnung wird auf verschiedenen Ebenen aus einer historischen Perspektive verfolgt: im Staatskirchenrecht, in der Kirchenverfassung und -verwaltung, in der kirchen- und religionspolitischen Praxis sowie in der höfischen Kultur. Dabei werden die interkonfessionellen Beziehungen zwischen Lutheranern und Reformierten im Kontext herrschaftlicher Kirchen- und Religionspolitik analysiert. Deren praktische Umsetzung wird exemplarisch an den Themenkomplexen der Liturgiegesetzgebung, der Simultankirchen sowie der Besetzung von Pfarrstellen untersucht. Diese von der landesgeschichtlichen Forschung weitgehend vernachlässigten Themen stellten wichtige Experimentierfelder obrigkeitlicher Reformpolitik dar, die allen Beteiligten eine konfessionelle Selbstverortung und Positionierung abforderten. Anders als in der mündlich und schriftlich vorgetragenen kontroverstheologischen Polemik der Geistlichen eröffnet sich hier ein differenziertes Bild interkonfessioneller Beziehungen, in denen auch eine frömmigkeitspraktische Dimension greifbar wird. Über die Fokussierung auf die reformierten Entscheidungsträger in Hof und Verwaltung (Minister, Regierungsräte, Hofprediger) werden herkömmliche sozial-, kirchen- und verwaltungsgeschichtliche Forschungen um einen akteursorientierten Ansatz erweitert. Durch den Vergleich der Territorien Kurmark, Neumark und Herzogtum Kleve werden die unterschiedlichen Möglichkeiten und Bedingungen von Herrschaft im Territorialverband Brandenburg-Preußens aufgezeigt. Es wird davon ausgegangen, dass die klassische historiographische Meistererzählung einer mehr oder weniger linearen Entwicklung vom Konfessionsstaat zum säkularen Toleranzstaat für die brandenburgischen Verhältnisse nicht zutreffend ist. Von Beginn an standen hier konfessionelle und überkonfessionelle, religiöse und säkulare Entwürfe für die gesellschaftliche und politische Ordnung des Gemeinwesens in einem Konkurrenz- und Spannungsverhältnis zueinander. Die allmähliche Durchsetzung der überkonfessionell-politischen Toleranzkonzeption, so eine grundlegende These dieser Arbeit, war das Ergebnis von wiederkehrenden, mühsamen und konfliktgeladenen Aushandlungsprozessen zwischen den historischen Akteuren, auf deren Grundlage sich erst langfristig politische Leitprinzipien entwickelten, die Allgemeingültigkeit beanspruchen konnten und somit einen konstitutiven Charakter für das Gemeinwesen gewannen. Gleichwohl lässt sich im Beobachtungszeitraum auf verschiedenen Ebenen ein Vorgang der Entkonfessionalisierung in der Politik und Gesellschaftsordnung feststellen.
Since Johann Sigismund's conversion to the reformed creed in 1613, the population of the electorate of Brandenburg was divided between a majority of Lutheran Protestants, and a privileged minority group of Reformed Protestants from which the princes of Hohenzollern recruited their administrative staff during the 17th and 18th century. However, the enforcement of a 'Second Reformation' failed due to the estates' adamant resistance, forcing the ruler to abstain from the exertion of his ius reformandi. Subsequently, despite this constitutional limitation of their sovereign rights, the prince-electors of Brandenburg and kings of Prussia held on to the reformed creed and managed to maintain the State's exclusive rule over the Church, which led to an unusual constellation from the perspective of religious history. This thesis addresses the relation between confession and rulership in Brandenburg-Prussia after the failed 'Second Reformation' in the 17th and early 18th century. It examines on different levels (public church law, constitution and aministration of Church, political practice, and court culture) the transition from a confessional towards a multiconfessional order of state and society, exploring the interconfessional relations between Lutheran and Reformed Protestants in the context of governmental policies of church and religion. In addition to traditional approaches in research, including church history, administrative history, and social history, it focuses on the agency of the reformed decision-makers at court and in the territorial administration (ministers, private councillors, court chaplains). Contrasting the different territories of Kurmark, Neumark, and the duchy of Cleves, a comparative approach shows the different possibilities and constraints of rulership in the composite monarchy. Dismissing the traditional historiographic narrative that postulates a linear progress from the confessional state towards the secular state, this thesis stresses the ambivalence of early-modern religious policy. Since the beginning, different competing concepts for the organization of the polity, confessional and transconfessional, religious and secular, existed simultaneously. The gradual success of the secular conception of tolerance was the result of continual, difficult and often conflictual processes of negotiation between historical actors, which formed the foundation for the polities' universal guiding principles. Nonetheless, a trend towards deconfessionalization becomes noticeable on different levels of the order of politics and society during the observation period.