Hintergrund: Taube Menschen begegnen als sprachliche Minderheit im psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungssystem zahlreichen Barrieren. Mental Health Literacy (MHL), die für Erkennen, Behandlung und Hilfesuchverhalten bei psychischen Störungen essenziell ist und den Umgang mit Belastungen prägt, wurde bei Tauben Menschen bislang nicht untersucht. Material und Methoden: Taube Menschen (n = 390) wurden online zur MHL und der Einschätzung der Angebote des psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungssystems befragt. Dafür wurde eine in deutsche Gebärdensprache übersetzte Version des Mental Health Literacy Questionnaire genutzt. Der Einfluss des Spracherwerbszeitpunktes und der Gebärdensprache als natürlicher Erstsprache auf die MHL wurden mithilfe von Welch-Tests und Cohens d untersucht. Ergebnisse: Das durchschnittliche Alter der Teilnehmenden war 32,6 Jahre (SD = 11,0) und ein Großteil (69%) bezeichnete sich als weiblich. In Bezug auf den Ertaubungszeitpunkt wurden 78,7% der Teilnehmenden Taub/schwerhörig geboren und 14,1% sind vor dem vierten Geburtstag ertaubt. Ein früher Spracherwerb (p >0,001) sowie das Erlernen einer Gebärdensprache als Erstsprache (p = 0,02) waren mit einer höher ausgeprägten MHL assoziiert. Die Zufriedenheit mit dem Versorgungssystem bezüglich verschiedener Aspekte (z. B. Eingebundenheit in Behandlung) wurden beschrieben. Diskussion: Die MHL bei Tauben Menschen ist erhöht, wenn ein früher Spracherwerb gegeben ist sowie eine Gebärdensprache als Erstsprache erlernt wurde. Daraus abgeleitet sind gesellschaftliche und gesundheitspolitische Anstrengungen notwendig, um einen frühen Spracherwerb und den Zugang zu Gebärdensprache für Taube Kleinkinder zu ermöglichen. Als zusätzliche Maßnahmen können mögliche Defizite der MHL mit einer erleichterten Zugänglichkeit zu psychischen Gesundheitsinformationen vermindert werden. Dabei könnten die Verfügbarkeit von Informationsmaterialien in Gebärdensprache und die Verbesserung der Ausbildung für Taubes Personal und Gebärdensprachdolmetschende eine wichtige Rolle spielen.
Background:: Deaf people encounter numerous barriers as a linguistic minority in mental health services. Mental health literacy (MHL), which is essential for recognition, treatment, and help-seeking behavior in mental disorders, and shapes how people cope with stressors, has not yet been studied in deaf people. Material and Methods:: Deaf people (n = 390) were surveyed online about MHL and perception of mental health services. A version of the Mental Health Literacy Questionnaire translated into German sign language was used for this purpose. The influence of the timepoint of language acquisition and sign language as a natural first language on MHL were investigated using Welch tests and Cohen’s d. Results:: The mean age of participants was 32.6 years (SD = 11.0) and a large proportion (69%) described themselves as female. In terms of time of deafness, 78.7% of participants were born deaf/hard of hearing and 14.1% became deaf before their fourth birthday. Early language acquisition (p > 0.001) and learning a sign language as a first language (p = 0.02) were associated with higher levels of MHL. Perception of the care system related to various aspects (e.g., involvement in treatment) was described. Discussion:: MHL in deaf people is increased when early language acquisition is given, as well as when sign language was learned as a first language. Consequently, societal and health policy efforts are necessary to enable early language acquisition and access to sign language for deaf infants. As additional measures, possible deficits in MHL can be addressed with improved accessibility to mental health information. The availability of information materials in sign language and improved training for deaf staff and sign language interpreters could play an important role in this regard.