Der Rechtskonflikt um den polnischen Braunkohletagebau Turów stellt den zentralen Untersuchungsgegenstand dieser Einzelfallstudie dar. Das Forschungsinteresse konzentriert sich auf das Verhalten der Europäischen Kommission angesichts der Noncompliance Polens innerhalb dieser seltenen Konstellation eines internationalen Rechtskonflikts in der EU. Es wird der Forschungsfrage nachgegangen, warum die Kommission trotz einer bestehenden Noncompliance Polens mit EU-Recht nicht mit einem eigenen Vertragsverletzungsverfahren aktiv wurde. Hierfür wird auf theoretische Überlegungen von Falkner (2018) und Zhang (2022a) zurückgegriffen, die sich mit einer strategischen Zurückhaltung der Kommission in Fällen von Noncompliance empirisch beschäftigt haben. Es werden mittels dieser theoretischen Ansätze in Verbindung mit empirischen Quellen Erklärungsansätze für das Verhalten der Kommission im Fall herausgearbeitet. Es zeigt sich hier, dass die Kommission sich an ihren offiziellen Strategien zur Durchsetzung des EU-Rechts orientierte und eine einvernehmliche Lösung des Rechtskonfliktes präferierte. Die Einordnung des Falls in das theoretische Konzept Toleration of Noncompliance (ToN) von Zhang (2022a) gelingt in der Analyse aufgrund der atypischen Eigenschaften des Falls nur bedingt.