Die Kompetenz zur Ausgestaltung der direkten Steuern und damit auch des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts steht den Mitgliedstaaten zu und wurde nicht auf die Europäische Union übertragen. Zur Herausbildung eines europäisch einheitlichen Gemeinnützigkeitsrechts durch positive Integration ist es bislang nicht gekommen. Als ein in seinem Kernbereich nicht wirtschaftlich zentriertes Rechtsgebiet konnte sich das Gemeinnützigkeitsrecht des Einflusses der europäischen Integration lange weitgehend entziehen. Die Internationalisierung gemeinnützigkeitsrechtlicher Sachverhalte hat den Regelungsbereich jedoch zum Ziel negativer Integration gemacht. Durch die Entwicklung der Europäischen Union über eine Wirtschafts- und Währungsunion hinaus und die Herausbildung gemeinsamer Ziele und Werte wird zivilgesellschaftliches Engagement als Aspekt des gesellschaftlichen Lebens in Europa entgrenzt. Die Förderung verschiedener steuerbegünstigter Zwecke ist in Zeiten eines zusammenwachsenden Europas auf nationaler Ebene nicht mehr nationalstaatlich eingegrenzt zu verwirklichen. Eine ausländische Körperschaft kann die gemeinnützigen Zwecke der Abgabenordnung ebenso wie eine inländische Körperschaft verwirklichen, und eine steuerbegünstigte Körperschaft kann auch im Ausland tätig werden, was die Frage nach der steuerlichen Berücksichtigung dieser grenzüberschreitenden Tätigkeiten und der Zuwendung an diese Körperschaften aufwirft. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf die Regelungen des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts angenommen und durch seine Rechtsprechung festgelegt, wie die Berücksichtigung grenzüberschreitender gemeinnütziger Tätigkeiten durch die Mitgliedstaaten auszugestalten ist und welche Regelungsbefugnisse den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Kompetenzen zustehen. Auf diese Vorgaben hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren mit der mehrfachen Reform des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts reagiert, ohne jedoch eine grundlegende systematische Änderung der traditionellen Anforderungen des Rechtsgebiets herbeizuführen. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben wurde versucht, die bestehenden Regelungsspielräume dahingehend auszunutzen, das Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht entgegen einer umfassenden Europäisierung zur renationalisieren. Zuletzt reformierte der Gesetzgeber das Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 (JStG 2020). Zu einer umfassenden Überarbeitung der Regelungen bezüglich grenzüberschreitender Sachverhalte kam es dabei nicht. Insbesondere Änderungen in § 58 AO und die Einführung von Regelungen, um ein zentrales und öffentliches Zuwendungsempfängerregister unter zentraler Zuständigkeit des Bundeszentralamtes für Steuern zu schaffen, entfalten ihre Wirkung jedoch auch im Rahmen grenzüberschreitender gemeinnützigkeitsrechtlicher Sachverhalte. Die gegenwärtigen Regelungen des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts enthalten weiterhin Verstöße gegen die unionsrechtlichen Grundfreiheiten und behindern grenzüberschreitendes zivilgesellschaftliches Engagement – insbesondere für im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften. Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wird ein Überblick über die Regelungen des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts in ihrer gegenwärtigen Fassung gegeben (B.), um die grundlegenden Prinzipien und Inhalte der steuerlich förderungswürdigen Betätigungen nach nationalem Recht aufzuzeigen. Daraufhin wird der Einfluss der unionsrechtlichen Grundfreiheiten auf diese Materie betrachtet (C.). Dazu werden der Ursprung der negativen Integrationswirkung der Grundfreiheiten (C. I.), der Inhalt der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH (C. II.) sowie die gesetzlichen Maßnahmen untersucht, die der Gesetzgeber zur Umsetzung dieser Vorgaben ergriffen hat (C. III.). Sodann werden die noch bestehenden Verstöße gegen die festgestellten grundfreiheitlichen Vorgaben im geltenden Recht beleuchtet (C.IV.) und Reformvorschläge zur steuerlichen Berücksichtigung grenzüberschreitender gemeinnütziger Tätigkeiten erarbeitet (D.). Zuletzt wird ein zusammenfassendes Fazit formuliert (E.).