Die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt, nichtinvasiv und patientenindividuell zu identifizieren, ist das Ziel der Präzisionsmedizin. Durch den stetigen Fortschritt sowohl im Bereich der Bildgebung als auch in mathematischen Modellierungstechniken sowie einer zunehmenden Verfügbarkeit von leistungsstarker Informationstechnologie, gewinnen in silico (angelehnt an das Lateinische „in silicio“, also „in silicium“ bzw. im übertragenden Sinne im Computer ablaufende) Modellierungsverfahren eine immer größere Bedeutung auch im Bereich der kardiovaskulären Medizin.
Die bildbasierte in silico Modellierung von Hämodynamik und Funktion des Herzens kann dabei einerseits helfen, die diagnostische Aussagekraft unterschiedlicher Bildgebungsmodalitäten zu erweitern, andererseits aber auch, verschiedene Parameter der postinterventionellen bzw. postoperativen Funktion vorherzusagen und so das geeignetste patientenindividuelle Therapieverfahren zu identifizieren.
Im Bereich der pädiatrischen Kardiologie, insbesondere bei Patient*innen mit komplexen angeborenen Herzfehlern, ist eine individualisierte Therapieplanung zudem von ganz besonderer Bedeutung. Da die Anatomie des kardiovaskulären Systems in diesem Patientenkollektiv hoch individuell ist, gibt es häufig keine für das jeweilige Krankheitsbild einheitliche Therapie. Die virtuelle Behandlungsplanung bietet hier ein großes Potential für die multimodale Therapiefindung.
Die Translation solcher Modellierungsansätze in die Klinik stellt jedoch eine große Hürde dar. Einerseits muss die Genauigkeit der jeweiligen Simulationsmethode quantifiziert und die Methode selbst validiert werden. Dafür benötigt es in der Regel eine hohe Anzahl an Patientendaten, die insbesondere in der Kinderkardiologie, aber auch aufgrund zunehmend strengerer Datenschutzrichtlinien häufig nicht zur Verfügung stehen. Andererseits sind die Simulationsverfahren sehr komplex und verlangen neben einer hohen technischen Expertise auch beachtliche Rechenkapazitäten und -laufzeiten, wodurch sich ihr routinemäßiger Einsatz in der Klinik ebenfalls verkompliziert.
Das Problem der hohen Komplexität könnte durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) überwunden werden. Fehlende klinische Daten wiederum könnten mittels synthetischer Patientenkohorten augmentiert werden, sodass sowohl für mögliche Validierungsstudien als auch zum Trainieren des maschinellen Algorithmus‘ ein ausreichend großer Datensatz zur Verfügung stünde.
In der vorliegenden Habilitationsschrift werden die Inhalte von fünf wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Präzisionsmedizin in der Kinder- und Erwachsenenkardiologie auf Grundlage bildbasierter in silico Modellierung vorgestellt. Dabei wird in Form einer Proof of Concept Studie die prinzipielle Durchführbarkeit der bildbasierten in silico Modellierung am Beispiel verschiedener Parameter der aortalen Hämodynamik gezeigt sowie die Validierung der Methodik gegen den klinischen Goldstandard des Herzkatheters präsentiert. An komplexen Patient*innen aus dem Bereich der Kinderkardiologie wird die bildbasierte in silico Modellierung für eine konkrete klinische Fragestellung angewandt. Zuletzt werden zwei Optimierungsansätze vorgestellt, die einerseits den komplexen Arbeitsablauf der bildbasierten in silico Modellierung mittels KI vereinfachen sowie andererseits das Problem der existierenden klinischen Datenlücken überwinden sollen.