Forschungsgegenstand dieser Arbeit sind literarische Darstellungen von Gegenwartskunst in ausgewählten Texten des Spätwerks Don DeLillos. Neben renommierten Arbeiten, wie Douglas Gordons Videoinstallation 24 Hour Psycho in Point Omega oder Gerhard Richters Gemäldezyklus 18. Oktober 1977 in der Kurzgeschichte „Baader-Meinhof“, ist auch frei erfundene Kunst, wie die Performance des Falling Man im gleichnamigen Roman, Gegenstand der Analyse. Mit Ekphrasis als zentralem Arbeitsbegriff dieser Studie werden die literarischen Kunstdarstellungen terminologisch greifbar gemacht. Der antike Terminus, ursprünglich ein Begriff der Rhetorik, stellt in seiner literarischen Verwendung ein wichtiges Konzept zum Studium des Verhältnisses verbaler und visueller Repräsentationsformen dar. In dieser Arbeit wird er auch gebraucht, um den ästhetischen Diskurs über konzeptuelle und performative Praktiken zur Entgrenzung der Werkform zu erschließen, wie sie seit den späten 1960er Jahren die Kunst bestimmen. Ziel der Arbeit ist es, die spezifische Form ekphrastischer Darstellung in der Literatur DeLillos zu bestimmen und den ästhetischen und kunsttheoretischen Reflexionsraum zu konturieren, den sie eröffnen. Zwei übergreifende Fragestellungen sind dabei für die Analyse des Diskurses leitend: Einerseits gilt es, die Erkenntnisse, die aus DeLillos Darstellungen von Gegenwartskunst gezogen werden, in der Frage zusammenzuführen, wie er die medialen Möglichkeiten des Romans definiert und die Literatur im „erweiterten Feld“ (Rosalind Krauss) der Künste positioniert. Andererseits wird die politische Dimension des ästhetischen Diskurses herausgearbeitet, indem die ekphrastischen Darstellungen in ihrem Bezug zum zeitgeschichtlichen Geschehen – den Anschlägen vom 11. September und dem Zweiten Irakkrieg – interpretiert werden. Damit wird der Frage nachgegangen, wie ästhetische und politische Praxis hier interagieren, und auf welcher Grundlage sich der Autonomieanspruch der Kunst formuliert. Im ersten Teil wird der begriffsgeschichtliche Wandel von der Antike bis zur Gegenwart nachgezeichnet. Mit Ekphrasis, definiert als sprachliche Bezugnahme auf nichtsprachliche Kunst, ist ein Arbeitsbegriff gewählt worden, der in vielfacher Hinsicht aufschlussreich für die Analyse des ästhetischen Diskurses ist. Der Modus zeichnet sich durch eine hohe selbstreflexive Potenz aus, so dass Ekphrasis als eine Form der Selbstbeschreibung der eigenen Poetik betrachtet werden muss. Damit eröffnen sich weitere Erklärungszusammenhänge, um die in der Forschung vorgenommene literaturhistorische Verortung DeLillos als postmoderner Modernist bzw. postmoderner Realist zu spezifizieren. Wie die Ausführungen zum Realisationsmodus zeigen, findet Ekphrasis in verschiedenen Disziplinen Anwendung und stellt eine Form der Kunstkritik dar. Eine wesentliche Leistung dieser Arbeit besteht darin, die vielen Übereinstimmungen und Bezugspunkte zwischen Literatur und Kunstkritik sichtbar zu machen. DeLillo wird als versierter Kunstkritiker ausgewiesen, und der ästhetische Diskurs gewinnt, gerade in der Darstellung real existierender Kunst, an Tiefe, Tragweite und Durchschlagskraft. Des Weiteren erlaubt es der Begriff, die starke Polarisierung, die sich in der Rezeption des Spätwerks zeigt, neu zu kontextualisieren. Das Spätwerk zeichnet sich durch eine poetische Verdichtung und Lyrizität aus, die eine Überschreitung der Gattungsgrenzen bzw. Hybridisierung der Romanform bedeuten. Entsprechend formuliert sich die Kritik am Spätwerk als Kritik an der Überschreitung medialer Grenzen, die den Roman konventionellen Vorstellungen nach definieren. Sowohl in der antiken Definition als Beschreibungskunst wie in der modernen, spezifisch literarischen, als Kunstbeschreibung, sind Grenzüberschreitungen und -zuschreibungen zentraler Gegenstand von Ekphrasis. Medienästhetische Theorien und die Mediengebundenheit ästhetischer Erfahrung werden im Rahmen ekphrastischer Darstellung formuliert und verhandelt. Das Durcharbeiten medienspezifischer Zuschreibungen ist integraler Bestandteil ekphrastischen Schreibens (ekphrastische Ambivalenz), ebenso wie die Austragung eines Wettstreits der Künste (paragone) in der Darstellung des Anderen. In dieser Arbeit wird die Fiktionalisierung ästhetischer Erfahrung als primärer Realisationsmodus von Ekphrasis im Werk DeLillos bestimmt. Damit bildet ein performativer Repräsentationsbegriff die Definitionsgrundlage. Im Rückgriff auf die antike Begriffsgeschichte kann gezeigt werden, dass Inszenierungen imaginärer Transfers schon immer integraler Bestandteil des Modus waren. Die herausgehobene Bedeutung der Kategorie der ästhetischen Erfahrung findet ihre Entsprechung im rezeptionsästhetischen Ansatz dieser Arbeit, leitet sich aber auch aus den Entgrenzungstendenzen in der Gegenwartskunst ab, für die sie von zentraler Relevanz zur Bestimmung des Ästhetischen ist. Den Entgrenzungstendenzen, die eine Destabilisierung der Grenze zwischen den Künsten und der Grenze zwischen Kunst und Leben bedeuten, wird mit der Erweiterung des Referenzbereichs von Ekphrasis Rechnung getragen. Dies geschieht auch durch die postmoderne Definition von Ekphrasis als Remedialisierung. Im Sinne der Selbstreflexivität des Modus ist Remedialisierung nicht nur ein bestimmendes Prinzip der Poetik DeLillos, sondern auch der dargestellten künstlerischen Arbeiten. In seiner polarisierenden Inszenierung ästhetischer Erfahrungen reflektiert DeLillo die Konsequenzen der Entgrenzungstendenzen in der Gegenwartskunst. Seine Inszenierungen variieren zwischen Indifferenz und Immersion. Mit diesem Spannungsverhältnis verhandelt DeLillo nicht nur zentrale Herausforderungen, mit denen sich Theorien ästhetischer Erfahrungen im Zeichen der Entgrenzung der Künste konfrontiert sehen. Auf einer Meta-Ebene nimmt er damit gleichzeitig die Rezeption seines Spätwerks vorweg, die sich ebenfalls durch eine solche Polarisierung auszeichnet. Die Analyse des ästhetischen Diskurses zeigt, dass DeLillos Erweiterungen der Grenzen der Romangattung im Kontext der Performatisierungsschübe in der Gegenwartskunst zu betrachten sind. In der reduzierten Formgestaltung seiner fiktionalen Welten zeigt sich zudem der Einfluss der Konzeptkunst. Im Sinne ekphrastischer Ambivalenz wird deutlich, dass DeLillo konzeptuelle Praktiken für ihre mangelnde formale Gestaltung der künstlerischen Arbeiten kritisiert. Die Freistellung reiner Ideen bedeutet einen unendlichen Regress und die Wiederholung vormals innovativer Strategien, die als künstlerische Interventionen ihr kritisches Potenzial verloren haben. In seiner Darstellung performativer Praktiken holt er die Grenzaufhebung von Kunst und Leben, die sie betreiben, ein, indem er ihre Angewiesenheit auf klassische visuelle und verbale Repräsentations- bzw. Dokumentationsformen hervorhebt, und ihren Status als „reale Inszenierungen“ aufzeigt. Im Hinblick auf den Wettstreit der Künste arbeitet DeLillo die Potenz literarischer Darstellung, zugleich inwendig und intellektorientiert, sinnlich und performativ sein zu können, heraus. Gleichzeitig legt seine Fiktionalisierung der Gemälde Richters und Morandis nahe, dass die alte Rivalität zwischen Literatur und Malerei, die traditionell qua Ekphrasis ausgetragen wird, einer neuen Allianz weicht. In der Engführung von ästhetischem und politischem Diskurs wird deutlich, dass DeLillo das kommunikative Potenzial des Romans zur Verhandlung politischer Krisenereignisse nutzt. Die anhaltende kulturelle Relevanz des Mediums begründet er zudem durch seinen Gebrauch von Ekphrasis als einer Form der Kunstkritik. Seine nuancierten Reflektionen zum Ästhetischen, von denen seine Darstellungen verschiedener Medien, künstlerischer Praktiken und Formen ästhetischer Erfahrung zeugen, weisen ihn als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Gegenwartsliteratur aus.