Die Myasthenia gravis gilt als Prototyp einer Antikörper-vermittelten Autoimmunerkrankung mit dem Leitsymptom der belastungsabhängigen Muskelschwäche. Die Effektormechanismen der „klassischen“ AchR-Autoantikörper sind gut charakterisiert. Dies gilt jedoch nicht für die Pathomechanismen bei der seronegativen MG und auch die pathogenetischen Prozesse, welche letztendlich zur Antikörper-Produktion führen, sind weitgehend unverstanden. Die klinische Erfahrung zeigt, dass eine Reduktion der Symptomatik auf die belastungsabhängige Muskelschwäche zu kurz greift und weder das klinische Bild noch die daraus für die MG-Patient*innen resultierende Krankheitslast adäquat abbilden. Im Rahmen dieser Habilitationsschrift werden daher sowohl experimentelle als auch klinische Publikationen zusammengetragen, deren Ergebnisse sowohl das pathophysiologische als auch klinische Spektrum der MG erweitern und zu einem besseren Verständnis des „snow flake disease“ beitragen. So ist es bspw. durch den Nachweis von IgG1- und Komplementablagerungen an der neuromuskulären Endplatte gelungen, einen relevanten Beitrag zum pathophysiologischen Verständnis der seronegativen Myasthenia gravis zu leisten. Dieses Ergebnis hat bereits Einzug in die klinische Praxis im Sinne einer erweiterten Diagnostik mittels Interkostalmuskelbiopsien bei der seronegativen MG geführt. Der Nachweis einer erhöhten Frequenz von antikörperproduzierenden Plasmazellen zeigt eine pathologische Aktivierung der humoralen Immunantwort bei MG-Patient*innen. Diese war ebenfalls unter Therapie mit Langzeit-Immunsuppressiva (z.B. Azathioprin) nachweisbar, nicht jedoch unter Kortikosteroid-Therapie. Die Plasmazell-gerichteten Effekte von Kortikosteroiden könnten deren rasche und sehr zuverlässige Wirkung erklären. Eine gezielte Plasmazellinhibition (z.B. mit dem gegen CD38 gerichteten therapeutischen monoklonalen Antikörper Daratumumab) könnte daher eine zukünftige Therapiestrategie bei der MG darstellen und wurde durch uns im Falle eines therapierefraktären MG-Patienten mit hochaktiver Verlaufsform bereits erfolgreich off label eingesetzt. Die Erkenntnis einer hohen Prävalenz von Fatigue bei MG in der bis dahin größten klinischen Studie zu diesem Thema wurde seither durch weitere Studien repliziert und Fatigue wird mittlerweile als Teil des klinischen Spektrums der Myasthenia gravis akzeptiert und auch als Outcome-Parameter in Interventionsstudien untersucht. Der Nachweis einer hohen Krankheitslast bei der MG und deren Assoziation mit demographischen, sozialen, physischen und psychischen Faktoren erfordert neben den myastheniespezifischen medikamentösen Therapien auch biopsychosoziale Behandlungsstrategien, die jedoch bislang im klinischen Alltag kaum Anwendung finden.