Im Rahmen der allgemein fortschreitenden Digitalisierung ist die amtliche Statistik gefordert, neue Datenquellen zu erforschen und zu integrieren. In der Nutzung neuer digitaler Daten wird Potenzial für eine möglicherweise schnellere und präzisere amtliche Statistikproduktion gesehen. Für eine faktengestützte Politikgestaltung müssen valide, aktuelle und kleinräumige Daten vorliegen. Beispielsweise wird die geografische Verteilung der aktuellen Bevölkerung, der Erwerbslosenquote oder des Pendlerverhaltens der Bevölkerung dazu verwendet, Entscheidungen über die Verteilung von Ressourcen zu treffen. Die amtliche Statistik übernimmt als Statistikproduzentin eine wichtige Funktion in diesem Entscheidungsprozess. Aufgrund des Stichprobencharakters vieler Erhebungen und der geringen Stichprobenanzahl in den meisten Statistiken können Aussagen zu kleinräumigen Regionen oder unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nicht getätigt werden. Die kontinuierliche und zeitnahe Erhebung ist mit traditionellen Erhebungsmethoden nicht gewährleistet. Hierzu wird eine Kombination aus alternativen Datenquellen sowie administrativen Daten und Befragungsdaten erforderlich. Dies muss grundsätzlich unter Beachtung des Adäquationsproblems erfolgen. Unter Adäquation wird dabei die Übertragung idealtypischer theoretischer Probleme in statistische Begriffe durch dafür erhobene Daten verstanden, die dem Zweck empirischer Untersuchungen dienen (Grohmann, 1985). Dies trifft jedoch nur auf Primärerhebungen in der amtlichen Statistik zu, wohingegen neue digitale Daten wie z.B. Mobilfunkdaten nicht für statistische Zwecke erfasst werden und daher nicht dem Prinzip der Adäquation folgen. Damit wird das Adäquationsproblem erst nach dem Datenerhalt aufgegriffen, da hierbei initial geprüft werden muss, ob und inwieweit die neue Datenquelle notwendige Informationen zur Beschreibung der interessierenden Realität besitzt (Rendtel et al., 2022). Um dies beantworten zu können, werden die hier betrachteten amtlichen Statistiken als Maßstab für die Untersuchung der zur Verfügung stehenden Mobilfunkdaten verwendet, um den zu interessierenden Teil der Daten für die Untersuchungen herausfiltern zu können und einen ersten Ansatz für die jeweilige Fragestellung und das Unterstützungspotenzial der amtlichen Statistik herauszuarbeiten. Angesichts der hohen Penetrationsrate mobiler Endgeräte in der Bevölkerung nach dem Statistischen Bundesamt (2021a) kann ein Teil der genannten Herausforderungen durch die Verwendung von Mobilfunkdaten ggf. bewerkstelligt werden. Hierbei muss beachtet werden, dass Mobilfunkdaten durch die hohe Penetrationsrate in Deutschland die realen Aufenthaltsorte der Bevölkerung ggf. adäquater abbilden können, als es die amtliche Bevölkerungsstatistik aufgrund einer idealisierten Datenerhebung ermöglicht. Die Herausforderung in dieser Arbeit besteht daher mitunter darin, die Mobilfunkdaten derart zu definieren und aufzubereiten, um einerseits die amtliche Statistik zu unterstützen und andererseits den Vorteil dieser Datenquelle hinsichtlich realer Bevölkerungsverhältnisse durch die Hilfestellung des Benchmarkings bzw. der Maßstabssetzung anhand der amtlichen Statistik nicht zu verlieren. Durch die Kombination von Mobilfunkdaten und Daten der amtlichen Statistik können sodann Schätzungen mittels verschiedener prädiktiver Verfahren für tiefer gegliederte Gebietseinheiten ausgegeben werden. Um die Potenziale dieser Datenquelle einschätzen und benennen zu können, werden in dieser Arbeit konkrete Anwendungsfelder von Mobilfunkdaten in der amtlichen Statistik ermittelt und ihre Einsatzmöglichkeiten in der amtlichen Statistikproduktion beurteilt. Da sich Mobilfunkdaten durch ihre hohe räumliche und zeitliche Auflösung auszeichnen, liegt der Fokus hierbei auf der Einbindung der statischen und der dynamischen Bevölkerung aus Mobilfunkdaten deutscher Mobilfunkanbieter. Aufgrund datenschutzrechtlicher Regelungen erhält das Statistische Bundesamt in Zusammenarbeit mit verschiedenen Mobilfunkdatenanbietern am deutschen Mobilfunkmarkt nur anonymisierte, aggregierte Mobilfunkdaten, welche anhand der Forschungsfragen entsprechend aufbereitet sind. Ein Vergleich unterschiedlich aufbereiteter Mobilfunkdaten soll bewusst zeigen, dass insbesondere verschiedene Datenaufbereitungsarten die Einsatzmöglichkeiten in der amtlichen Statistik bestmöglich gewährleisten. Das beigefügte Glossar (siehe S. 131) bietet weiterhin die Möglichkeit, die wichtigsten Fachbegriffe aus dem Bereich der Mobilfunkdaten, der verwendeten Fachstatistiken sowie aus der Statistik und Geowissenschaft nachzulesen. Konkret werden in Teil I Anwendungsfelder im Zusammenhang mit Bevölkerungsdarstellungen zu bestimmten Zeitpunkten analysiert, indem grundlegend die Unterstützung der Bevölkerungsstatistik mit Hilfe von Mobilfunkdaten analysiert wird. Mit anonymisierten aggregierten statischen Mobilfunkdaten kann die Tages- und Wohnbevölkerung in Deutschland zeitnah und kleinräumig abgebildet werden, wie in Kapitel 1 dargelegt wird. Unter Verwendung einer nicht-parametrischen Kerndichteschätzung wird zudem die Möglichkeit geboten, die Mobilfunkdaten auf weitere interessierende Regionen – unabhängig von der zugrundeliegenden räumlichen Einheit – umzuverteilen und die Bevölkerungsverteilung valide wiederzugeben. Hierbei wird ein starker und positiver Zusammenhang der kleinräumigen statischen Mobilfunkdaten mit den georeferenzierten Bevölkerungszahlen des Zensus 2011 nachgewiesen. Diese Erkenntnis wird genutzt, um darauf aufbauend in Kapitel 2 die aktuelle Bevölkerungszahl basierend auf der Bevölkerungsfortschreibung mit Hilfe von Mobilfunkdaten kleinräumig auf einem INSPIRE-konformen Raster umzuverteilen und als experimentelles georeferenziertes Produkt zu nutzen, bis die erste amtliche georeferenzierte Bevölkerungszahl des Zensus 2022 vorliegt. Anhand eines einfach umzusetzenden Verteilungsverfahrens durch die gruppenspezifischen Ziehungswahrscheinlichkeiten innerhalb der Mobilfunkdaten sowie einem speziellen Rundungsverfahren ist es möglich die aktuelle Bevölkerungszahl der Bevölkerungsfortschreibung kleinräumig valide zu verteilen und gleichzeitig die Eckwerte der Bevölkerungsfortschreibung auf einer höher aggregierten Ebene zu garantieren. Durch die Verwendung zusätzlicher Geodaten des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie kann die experimentelle georeferenzierte Bevölkerungszahl je Gitterzelle auf Plausibilität geprüft werden. Dynamische Mobilfunkdaten dagegen geben die Bewegung eines Mobilfunkgerätes im Raum in einem 24-Stunden-Zeitintervall durch sogenannte Quelle-Ziel-Matrizen wieder, wodurch sich Aussagen zum Mobilitätsverhalten der Mobilfunknutzenden tätigen lassen. In Teil II werden folglich Nutzungsmöglichkeiten von Mobilfunkdaten in Zusammenhang mit der Bevölkerungsmobilität untersucht. Hierbei werden Quelle-Ziel-Matrizen verwendet, um in Kapitel 3 die Unterstützungsmöglichkeiten von Mobilfunkdaten in der amtlichen Pendlerrechnung zu ermitteln. Durch die Generierung und Filterung bestimmter Bewegungsströme aus den Mobilfunkdaten werden Ansätze hergeleitet, um das Bewegungsverhalten von Pendlern abzubilden. In Kapitel 4 werden Mobilfunkdaten weiterführend als Hilfsinformationen zusätzlich zu den bereits erhobenen (Befragungs-)Daten genutzt, um die Erwerbslosenquote der Arbeitskräfteerhebung, auch bekannt als Labour Force Survey, im Rahmen eines Small-Area-Verfahrens kleinräumiger zu schätzen. Die Arbeitskräfteerhebung ist darauf ausgerichtet, verlässliche Schätzungen zu Indikatoren bezüglich der zivilen Erwerbsbevölkerung auf einer groben räumlichen Auflösung in Deutschland wiederzugeben. Um politische Handlungsempfehlungen beispielsweise für Kommunen formulieren zu können, müssen die Schätzungen der Indikatoren für räumlich disaggregierte Ebenen abgeleitet werden. Unter Verwendung eines transformierten Fay-Herriot-Modells mit Bias-Korrektur wird die Erwerbslosenquote auf kleinräumiger Ebene der städtischen Gebiete geschätzt. Gleichzeitig sind Rückschlüsse auf Pendlerbewegungen in die Schätzung eingeflossen, um einerseits die pendelnde Bevölkerung in die Schätzung und andererseits das Phänomen der Stadtzuwanderung in Zusammenhang mit höheren Erwerbslosenquoten in städtischen Gebieten als im Umland einzubeziehen. Mobilfunkdaten greifen hierbei erstmals aktiv in die Schätzung eines amtlichen Indikators ein, bei der zum einen kleinräumig verlässliche Schätzer resultieren sowie im Rahmen einer alternativen Erwerbslosenquote den Aspekt der dynamischen Bevölkerung bzw. genauer der Pendler einfließen lässt. Zusammenfassend stellen Kapitel 1 und 3 damit praktische Anwendungsfälle für eine primäre Nutzung von Mobilfunkdaten dar. Darunter werden Aussagen bzw. Ergebnisse zu den entsprechenden Fragestellungen verstanden, die ausschließlich auf Basis der ausgewerteten Mobilfunkdaten getätigt werden. Kapitel 2 und 4 bauen auf die primären Nutzungsmöglichkeiten von Mobilfunkdaten aus Kapitel 1 und auch 3 auf, wobei Mobilfunkdaten weiterführend als Hilfsinformationen genutzt werden, um aktiv eine bestehende amtliche Statistik bzw. die Ergebnisse kleinräumiger valide zu schätzen und als experimentelles Produkt zu veröffentlichen. Diese Arbeit legt insgesamt dar, wie bestehende amtliche Statistiken in Kombination mit Mobilfunkdaten sowie verschiedenen Herangehensweisen erweitert bzw. unterstützt werden können.