Briefe sind wichtige Quellen für viele geschichtswissenschaftliche Teilfächer und Perspektiven, wie z.B. die Kultur-, Wissenschafts- oder Alltagsgeschichte (Jansen 2018; Budde 2020). Zum einen versprechen sie Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt der Korrespondent:innen, zum anderen wird in ihnen eine Vielzahl von Themen, Ereignissen, Personen etc. angesprochen oder kommentiert (Schmid 2001, 38; Maurer 2002). Darüber hinaus bilden historische Korrespondenzen ein – eigentlich unbegrenztes – Briefnetz (Bunzel 2013).
Deshalb werden Briefe seit langem in wissenschaftlichen Editionen erschlossen. Allerdings ist die Anzahl edierter Briefe mittlerweile so hoch, dass diese Menge schon für Experten nicht mehr zu überschauen ist (Bunzel 2013). Darüber hinaus sind (allein schon aus arbeitsökonomischen Gründen) Briefeditionen i.d.R. an einer oder zwei Korrespondent:innen orientiert. Die Erschließungsform einer Briefedition wird also – gerade in gedruckter Form – den zentralen Charakteristika der Textsorte „Brief“ nur schlecht gerecht. So lassen sich Briefe von Personen, denen keine eigene Ausgabe gewidmet ist, nur mit Mühe auffinden. Noch schwieriger sieht es aus, wenn Briefe unter systematischen – also nicht personenzentrierten – Fragestellungen als Quellen herangezogen werden sollen, z.B. bei der Frage nach der Organisation des Musikbetriebs Mitte des 19. Jahrhunderts oder wie Zeitgenoss:innen ein bestimmtes historisches Ereignis wahrnahmen und kommentierten.
Um diese methodischen Probleme im Umgang mit Briefen zu lösen, wurde bereits 2014 der Webservice correspSearch (https://correspSearch.net) entwickelt, der Briefmetadaten aus verschiedensten Editionen aggregiert und zur Recherche bereitstellt (Dumont 2016). Stand correspSearch bisher nur als Prototyp mit eingeschränkten Suchfunktionalitäten zur Verfügung, wurde im Juni 2021 die komplett neu entwickelte Version 2.0 mit vielen neuen Recherchemöglichkeiten relauncht. Unter anderem bietet das Suchergebnis (Beispiel) eine umfangreiche Auswahl an Facetten an, mit denen sich das Suchergebnis gut erkunden und weiter filtern lässt: So gibt ein Zeitdiagramm einen schnellen Überblick über die nachgewiesene Korrespondenz pro Jahr; Korrespondent:innen und Orte lassen sich anhand der Trefferanzahl oder alphabetisch sortiert anzeigen, usw. Da correspSearch Normdaten-basiert arbeitet, werden in Zukunft die Filter auch mit Informationen aus den Normdateien angereichert. Ein erstes Beispiel ist die Suche anhand des Geschlechts der Korrespondent:innen, die natürlich mit weiteren Merkmalen kombiniert werden kann. In Zukunft werden auch Suchen nach Briefen von bestimmten Berufsgruppen (Musiker, Philologen etc.) möglich werden. Darüber hinaus werden auch die Inhalte von Briefen schlagwortartig recherchierbar gemacht (Dumont u. a. 2019).
Eine völlig neue – und jetzt schon vorhandene – Recherchemöglichkeit bietet die karten-basierte Suche: hier kann auf einer Karte eine Region frei eingezeichnet werden, in der alle Orte als Schreib- oder Empfangsort gesucht werden – natürlich in Kombination mit Datumsangaben. Dadurch werden ereignisbasierte Suchen möglich. Eine beispielhafte Suche wäre die Region um Mainz (als Schreibort) herum zur Zeit der Mainzer Republik, d.h. von Oktober 1792 bis Juli 1793. Das Ergebnis bringt zahlreiche Treffer in verschiedenen Editionen hervor, darunter auch ein Brief, der wohl sonst nicht gefunden worden wäre: in ihm schildert – aus dem rheinhessischen Dorf Guntersblum – der preußische Offizier Carl Friedrich Ludwig Graf von Lehndorff die Tage unmittelbar vor der Einschließung der Festung Mainz Guntersblum im April 1793 (Huch 2019).
In der karten-basierten Suche können Nutzer:innen nicht nur frei eine Region zeichnen, sondern auch vordefinierte historische Staatsgebiete verwenden. Deren geographische Angaben werden von HistoGIS (Andorfer u. a. 2019), einem Webservice der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, bezogen. CorrespSearch folgt hier – wie auch bei Personen und Orten – dem Ansatz einer „lightweight infrastructure“, in dem sich auf die briefspezifischen Charakteristika konzentriert und andere Aspekte (Lebensdaten zu Personen, Geokoordinaten von Orten, historischen Gebieten etc.) aus anderen einschlägigen Informationsinfrastrukturen nachgenutzt werden.
CorrespSearch weist derzeit rund 140.000 Briefe nach – von der Reformation bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Die Daten werden dabei von den Editionsvorhaben und Institutionen aus den verschiedenen Fachcommunities in einem standardisierten Austauschformat – dem Correspondence Metadata Interchange Format (TEI Correspondence SIG 2015; Dumont u. a. 2019) – bereitgestellt und regelmäßig von dort neu bezogen. Um Datenbereitstellungen so einfach wie möglich zu machen, wurde auch der CMIF Creator entwickelt. In ihm können die Briefmetadaten einfach in einem Formular erfasst und Personen und Orte mit wenigen Klicks mit Normdaten-IDs ausgestattet werden.
Als Webservice bietet correspSearch die aggregierten, frei-lizenzierten Daten nicht nur in einer Rechercheoberfläche an, sondern auch zum automatisierten Abruf über eine (ebenfalls frei lizenzierte) technische Schnittstelle. Dadurch können die Briefmetadaten in anderen Kontexten umfassend nachgenutzt werden, etwa zur Analyse mit Methoden der Historischen Netzwerkforschung oder zur Integration in digitale Editionen – ein Beispiel wäre hier die Alexander von Humboldt-Chronologie in der edition humboldt digital (Schwarz 2017). Zur automatischen Vernetzung von Briefeditionen bietet der Webservice ein eigenes Javascript-Widget, csLink, an. Mit csLink kann eine digitale Edition bei einem Brief auf weitere Briefe zu einem oder mehreren Korrespondenzpartnern in anderen Editionen hinweisen.