Die orale HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) ist eine seit relativ kurzer Zeit breit verfügbare, wirksame und sichere Form der Prävention von HIV-Infektionen für Personen, die ein substanzielles HIV-Risiko aufweisen. Im Rahmen der vorliegenden kumulativen Habilitationsschrift wurden der Status quo, Verbesserungspotenziale und Barrieren zur Implementierung der PrEP unter Männern, die Sex mit Männern haben, (MSM) und trans* Personen in Deutschland untersucht.
Es besteht in Deutschland eine erhebliche Lücke zwischen der Indikation und der tatsächlichen Nutzung der PrEP, die unter anderem durch mangelnde Kenntnisse und Informationen zur PrEP seitens der potenziellen Nutzer:innen erklärbar ist. Eine Möglichkeit, den festgestellten Bedarf zu adressieren, besteht in der proaktiven Beratung von MSM und trans* Personen, die eine Indikation zur Einnahme der PrEP aufweisen. Sowohl auf Seiten der Berater:innen und Ärzt:innen in HIV- und STI-Test- und Beratungsstellen und Gesundheitsämtern als auch auf Seiten niedergelassener Ärzt:innen relevanter Fachrichtungen sind jedoch sowohl die Kenntnisse und Einstellungen als auch die selbstberichtete Beratungspraxis zur PrEP heterogen. Da die Beratungspraxis deutlich mit den Kenntnissen assoziiert ist, ergeben sich Verbesserungspotenziale und Anknüpfungspunkte für eine Verbesserung der indikationsgeleiteten Beratung. Die Inzidenz verschiedener sexuell übertragbarer Infektionen (STIs) unter MSM und trans* Personen, die ein substanzielles Risiko für eine HIV-Infektion aufweisen, ist hoch. Dies verdeutlicht die Relevanz von STIs u.a. als Merkmal zur Identifikation von Personen mit hohem HIV-Risiko und somit mit Indikation zur Einnahme der PrEP. Ärzt:innen und Berater:innen, die in die Diagnostik und Therapie von STIs involviert sind, sollten dies, gemäß den Empfehlungen der deutsch-österreichischen PrEP-Leitlinie, im Sinne einer indikationsgeleiteten proaktiven Beratung zur PrEP berücksichtigen. Das Spektrum an Motivationen zur Einnahme der PrEP unter MSM ist vielfältig und reicht von pragmatischen Überlegungen, die sich vordergründig auf den Schutz vor einer HIV-Infektion beziehen, bis hin zu psychosozialen Aspekten im Sinne einer Reduktion von Angst und Sorgen oder einem Gewinn an Selbstwirksamkeit, sexueller Freiheit und Lebensqualität. Gesundheitsversorger:innen sollten in Beratungsgesprächen daher einen ganzheitlichen Ansatz wählen, der neben dem Schutz vor HIV auch Aspekte der psychischen Gesundheit, Selbstwirksamkeit und der Lebensqualität berücksichtigt.
Die im Rahmen dieser Habilitationsschrift vorgestellten eigenen Arbeiten verweisen auf den Bedarf, PrEP als Bestandteil einer HIV-Präventionsstrategie für Risikogruppen in Deutschland besser zu implementieren, und zeigen konkrete Verbesserungspotenziale und Anknüpfungspunkte in der ärztlichen und beraterischen Tätigkeit auf. Diese Erkenntnisse können für eine Verbesserung der Gesundheitskompetenz von MSM und trans* Personen mit Indikation zur Einnahme der PrEP genutzt werden und dazu beitragen, informierte Entscheidungen in Bezug auf die persönlich präferierte Strategie zur Prävention von HIV und anderen STIs zu fördern.