Gemessen an den Bewertungsmaßstäben einer sich interdisziplinär und humanistisch verstehenden Arbeitswissenschaft klafft ein tiefer Abgrund zwischen dem erreichten Wissensstand einer nachhaltigen Arbeitsgestaltung und der dokumentierten Arbeitswirklichkeit am Beginn der globalen Lieferketten. Dieser kommentierende Beitrag lädt deshalb zum interdisziplinären Dialog zwischen der Arbeitswissenschaft und ihren sozialwissenschaftlichen Schwesterdisziplinen ein, um die arbeitswissenschaftliche Forschung zu globalen Lieferketten zu erweitern. Vor dem Hintergrund der Berichte der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wird zunächst dargestellt, wie die Lücke zwischen formaler Standardsetzung einerseits und der Einhaltung der Regeln in der Praxis andererseits in der derzeitigen sozialwissenschaftlichen Literatur interpretiert wird. Zudem werden anhand der privaten Zulieferaudits und der öffentlichen Arbeitsinspektion einzelne Befunde betrachtet, die Hinweise auf besondere Beiträge der Arbeitswissenschaft zur Thematik geben können. Der Beitrag schließt mit Überlegungen, wie die Arbeitswissenschaft die Internationalisierung ihrer Forschung ausdehnen kann, um in der Debatte um die Durchsetzung globaler Arbeitsstandards – etwa durch das Lieferkettengesetz – Gehör zu finden.
Measured against the standards of an interdisciplinary and humanistic ergonomics concept, there is a deep chasm between the level of knowledge achieved in sustainable work design and the documented work reality at the beginning of global supply chains. This commentary article therefore invites an interdisciplinary dialogue between ergonomics and its neighbor disciplines in the social sciences to expand ergonomics research on global supply chains. Against the background of the reports of the International Labor Organization (ILO), it is first presented how the gap between formal standard-setting on the one hand and compliance with the rules in practice on the other hand is interpreted in the current social science literature. In addition, individual findings are considered about private supplier audits and the public labor inspection, which can provide indications of special contributions of ergonomics to the topic. The article concludes with reflections on how ergonomics can expand the internationalization of its research to be heard in the debate on the enforcement of global labor standards—for example through the German Supply Chain Act.