Die Teilnahme an Weiterbildung ist unauflöslich mit Zeit verbunden – Erwachsene investieren Zeit als Ressource in Weiterbildung; politische Akteure fordern ein lebenslanges Lernen als umfassendes Zeitregime des Lernens Erwachsener; Bildungsurlaubs- und Freistellungsgesetze legitimieren einen gesetzlichen Anspruch auf bezahlte Freistellung zur Teilnahme an Weiterbildung; Weiterbildungsorganisationen planen die Zeitstruktur von Angeboten und Programmen; Betriebe investieren Arbeitszeit in die Weiterbildung von Beschäftigten. Die Relevanz eines lebenslangen Lernens ist unumstritten in Wissenschaft, Politik und Praxis. Ebenso unumstritten ist, dass die Teilnahme an Weiterbildung die Verfügbarkeit von Zeit voraussetzt, deren Verwendung im Erwachsenenalter in Konkurrenz zur Arbeits- und Freizeit steht. Zeit ist eine entscheidende aber zugleich knappe Ressource. Durch die Verfügbarkeit von Zeit ergeben sich Gelegenheitsstrukturen und Opportunitäten, um an Weiterbildung teilnehmen zu können. Entsprechend strukturiert die zeitliche Dimension von Gelegenheitsstrukturen für Weiterbildung das Verhältnis von Weiterbildungszeit zu anderen, konkurrierenden Inhalten der Zeitnutzung und beeinflusst damit entscheidend die Teilnahme an Weiterbildung.
In der aktuellen erwachsenenpädagogischen Literatur wird die Vorstellung einer Mehrebenen-struktur des Weiterbildungssystems dazu verwendet, um die Teilnahme an Weiterbildung zu beschreiben und zu erklären. Das Mehrebenensystem der Weiterbildung umfasst Teilnehmende, Weiterbildungsorganisationen und Betriebe als Anbieter von Weiterbildung sowie politische Akteure. In der Mehrebenenperspektive können vor allem die Anbieter von Weiterbildung und politische Akteure in ihrem Handeln die Gelegenheitsstrukturen für Weiterbildung beeinflussen und verändern – auch im Hinblick auf Zeit. Mit der Verfügbarkeit von Zeitressourcen sind somit auch Steuerungspotenziale im Mehrebenensystem der Weiterbildung verbunden, die in der aktuellen Forschungsliteratur zum Einfluss von Zeit auf die Teilnahme an Weiterbildung bisher nur unzureichend adressiert werden, die im Hinblick auf den Zugang zum Lebenslangen Lernen jedoch von großer Bedeutung sind. In diesem Zusammenhang wird Zeit zu einem Steuerungsmedium der Teilnahme im Mehrebenensystem der Weiterbildung.
Um diese Forschungslücke zu adressieren, wird in der vorliegenden kumulativen Dissertation ein neuer Zugang zur Erforschung des Einflusses von Zeit auf die Teilnahme an Weiterbildung entwickelt, der anschlussfähig an theoretische Konzepte der Teilnahme und Steuerung im Mehrebenensystem der Weiterbildung ist. Ich schlage vor, das Handeln von Akteuren im Mehrebenensystem der Weiterbildung, welches die zeitlichen Bedingungen der Teilnahme an Weiterbildung im Verhältnis von Arbeits- und Freizeit einerseits und Weiterbildungszeit andererseits adressiert, als Intervention in die zeitliche Dimension von Gelegenheitsstrukturen zu verstehen. Dabei können politische Akteure und die Anbieter von Weiterbildung die Gelegenheitsstrukturen für Weiterbildung durch unterschiedliche Interventionen beeinflussen und verändern, die unterschiedlichen Steuerungsformen folgen. Anhand von drei konkreten Interventionen – (1) Gesetz zur Bildungsfreistellung; (2) Zeitstruktur von Programmen und Angeboten an Volkshochschulen; (3) betriebliche Freistellungsbereitschaft – werden mögliche Wirkungen von Interventionen in die zeitliche Dimension von Gelegenheitsstrukturen auf die Teilnahme an Weiterbildung untersucht.
Ein Forschungsvorhaben, das mit dem Ziel verbunden ist, Steuerungswissen zu den Wirkungen von Veränderungen in der zeitlichen Dimension von Gelegenheitsstrukturen auf die Teilnahme an Weiterbildung zu generieren, setzt einerseits Datengrundlagen voraus, in denen sich Angebots- und Beteiligungsstrukturen von Weiterbildung längsschnittlich rekonstruieren lassen und erfordert andererseits robuste und belastbare Methoden, mit denen die aus den Fragestellungen und Theorien abgeleitete Hypothesen im Sinne kausaler Inferenz getestet werden können.
Die Ergebnisse der Einzelbeiträge zeigen, dass Volkshochschulen und Betriebe als Anbieter von Weiterbildung die identifizierten Steuerungspotenziale im Hinblick auf Interventionen in die zeitliche Dimension von Gelegenheitsstrukturen handlungswirksam umsetzen und die Teilnahme an Weiterbildung signifikant beeinflussen können. Im Gegensatz dazu zeigen die Ergebnisse in Manuskript#1 keine signifikanten Effekte der Implementierung eines Gesetzes zur Bildungsfreistellung am Beispiel des Bildungszeitgesetzes in Baden-Württemberg auf das individuelle Teilnahmeverhalten an Weiterbildung der nach dem Gesetz anspruchsberechtigen Beschäftigten. Der Effekt wird basierend auf Paneldaten des nationalen Bildungspanels (NEPS) und in Anwendung einer Differenz-von-Differenzen-Schätzstrategie mit Propensity-Score Matching und einer Instrumentenvariable geschätzt. In Manuskript#2 werden mögliche Effekte von Veränderungen in den Zeitstrukturen von Programmen und Angeboten an Volkshochschulen auf Belegungszahlen untersucht. Die Ergebnisse zeigen in Anwendung von Random- und Fixed-Effects Modellen und basierend auf Paneldaten der Volkshochschul-Statistik signifikante positive Effekte einer zunehmenden Programmbreite und Flexibilisierung in Bezug auf zeitliche Formate von Angeboten sowie der Erhöhung der durchschnittlichen Dauer von Angeboten in einzelnen Programmbereichen auf die Belegungszahlen. Die Ergebnisse in Manuskript#3 zum Effekt der betrieblichen Freistellungsbereitschaft auf das individuelle Teilnahmeverhalten der im Betrieb Beschäftigten an beruflicher Weiterbildung zeigen in Anwendung von Hybrid-Modellen und basierend auf Paneldaten des nationalen Bildungspanels (NEPS) signifikante positive Effekte der arbeitgeberseitigen Aufbringung von zeitlichen, aber auch finanziellen Ressourcen auf das individuelle Teilnahmeverhalten.
Insgesamt leistet die vorliegende Dissertation in ihren drei Einzelbeiträgen einen wichtigen Beitrag zur Forschungsliteratur zum Einfluss von Zeit auf die Teilnahme an Weiterbildung. Die Implikationen der Ergebnisse für anschließende Forschungsvorhaben, Anforderungen an Datenstrukturen und Methoden sowie der handlungstheoretischen Erklärung des individuellen Teilnahmeverhaltens an Weiterbildung werden diskutiert.
Participation in adult learning and education (ALE) is inextricably linked to time – Adults invest time as a resource in educational activities, policymakers call for a lifelong learning as a holistic time regime regarding the participation of adults in educational activities, laws on educational leave legitimize an exemption for employees to participate in ALE, timing and duration of courses is part of the program planning process in education institutions, companies invest paid working time in employees' educational activities. Nowadays, the relevance of lifelong learning is widely acknowledged – in academia, politics, and practice. Equally acknowledged is the fact that participation in educational activities requires the availability of time. Time is a deciding factor but also a scarce resource for ALE participation. As a result of the availability of temporal resources, different opportunity structures for ALE participation arise. The temporal dimension of opportunity structures influences individual participation in ALE by affecting the ratio of the time that is required to participate in ALE and the time spend at work, for family or recreation. However, the research base on the effects of time on ALE participation is only sparse and methodologically limited in current literature.
Academia currently argues for approaching ALE participation as the result of interactions between individuals, educational institutions, companies, and the broader social and policy context. In this perspective, educational institutions, companies, and policymakers can affect the opportunity structures arising for adults to participate in ALE – also in terms of time. Thus, affecting the availability of potential participants' temporal resources is linked to the potential for educational institutions, companies, and policymakers to affect ALE participation by intervening in the temporal dimension of opportunity structures. Despite their great importance regarding lifelong learning participation, these potentials have not been addressed in the current literature. To address this research gap, my dissertation studies how ALE participation is affected by changing opportunity structures due to the implementation of interventions in the temporal dimension of opportunity structures by policymakers, educational institutions, and companies. Using three interventions – (1) implementation of a law on educational leave; (2) timing and duration of courses in public adult education centers (Volkshochschulen – VHS); (3) employer offered leave of work – possible effects of these interventions in the temporal dimension of opportunity structures on ALE participation are investigated.
To investigate such effects requires data in which the patterns of course supply and participation in ALE are surveyed longitudinally and methods to investigate the hypotheses derived from theoretical approaches that aim at causal inferences.
The results of the three distinct studies provide support for the assumption, that especially providers of educational activities such as public adult education centers (Volkshochschulen – VHS) as well as companies can significantly influence ALE participation by providing specific timeframes for adults to participate. Manuscript#1 addresses the impact of the implementation of a law on educational leave in the German federal state of Baden-Württemberg in 2015 on individual participation in ALE. Drawing on panel data from the German National Educational Panel Study (NEPS), a difference-in-differences estimation strategy with propensity score matching and instrumental variable is employed. The results reveal no significant positive effect of the implementation of the Bildungszeitgesetz on the participation behavior of eligible employees in ALE. Manuscript#2 addresses the impact of timing and course duration on participation counts in public adult education centers (Volkshochschulen – VHS). Building on panel data from German VHS statistics, random and fixed effects models are applied. The results reveal significant positive effects on participation counts between increasing program breadth in terms of temporal formats and increasing average course duration on the level of different subject-areas. In Manuscript#3, effects of employer offered leave of work on participation of employees in continuing vocational education and training (CVET) are investigated. Drawing on panel data from the German National Educational Panel Study (NEPS), hybrid logit models are applied. The results reveal that the employer can affect individual participa-tion behavior in CVET significantly by providing financial contributions and by offering timeframes for CVET in terms of a leave of work.
Overall, the present studies and findings contribute to the literature on the effects of time on ALE participation. The implications of the findings for future research, requirements for data and methods as well as the action-theoretical explanation of individual participation behavior in ALE are discussed.