Die traditionelle Dreigliedrigkeit des deutschen Schulsystems soll die Förderung von Kindern und Jugendlichen erleichtern, indem diese basierend auf schulischen Leistungen nach der Primarstufe auf Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien aufgeteilt werden. Durch sozialschichtabhängige und migrationsbezogene Unterschiede in den Leistungen der Kinder sowie in den Bildungsentscheidungen ihrer Eltern ist die intendierte Leistungsselektion allerdings auch mit einer sozialen und ethnisch-kulturellen Segregation der Schülerschaft verbunden. Selektion und Segregation lassen differenzielle Lernumgebungen entstehen, die herkunftsbedingte Bildungsungleichheiten verstärken können. Heute haben 11 von 16 Bundesländern zweigliedrige Schulsysteme, die nicht zuletzt entstanden sind, um die Konzentration von Risikofaktoren an weniger anspruchsvollen Schularten zu vermeiden und die Bildungschancen benachteiligter Schülergruppen zu verbessern.
Die vorliegende Dissertation geht anhand von Daten der IQB-Ländervergleichsstudie 2008/09 sowie des IQB-Bildungstrends 2015 der Frage nach, inwiefern unterschiedliche Formen der Gliederung des Schulsystems in der Sekundarstufe I mit schulischer Segregation zusammenhängen. Teilstudie I beschreibt die soziale und zuwanderungsbezogene Zusammensetzung der Schülerschaft und soziokulturelle Segregation zwischen den Sekundarschularten in Bundesländern mit etabliert zwei- bzw. dreigliedrigen Schulsystemen und sog. Reformländern. Als solche werden die Bundesländer Berlin, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein zusammengefasst, die im Jahr 2009 bzw. 2010 zweigliedrige Schulsysteme eingeführt haben. Teilstudie II betrachtet Unterschiede im Schulartbesuch zwischen Jugendlichen mit und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund sowie ihre Veränderung mit der Umstellung der Schulsysteme in den drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Durch statistische Kontrolle von Indikatoren für Leistung und Sozialstatus wird untersucht, welche Rolle differenzielle Bildungsentscheidungen von zugewanderten gegenüber in Deutschland geborenen Eltern in mehr oder weniger stark gegliederten Schulsystemen für ethnische Segregation zwischen Schularten spielen. In Teilstudie III wird abschließend die soziale Segregation an Schulen in den drei Stadtstaaten genauer untersucht. Analytisch unterscheidet die Studie vertikale Segregation zwischen den Schularten und horizontale Segregation zwischen einzelnen Schulen derselben Schulart. Insgesamt liefern die empirischen Analysen Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Gliederung des Schulsystems und schulischer Segregation sowie mögliche Erklärungsansätze zu den zugrundeliegenden Mechanismen. Die Ergebnisse werden unter Berücksichtigung der Reformziele diskutiert und hinsichtlich ihrer bildungspolitischen Relevanz eingeordnet.
The traditional three-tiered structure of the German school system intends to increase the effectiveness of teaching by grouping students based on their primary school achievement into vertically ordered secondary schools, called Hauptschule, Realschule, and Gymnasium. However, due to social and ethnic differences in the children’s educational performance and in their parents’ educational decisions, the intended academic selection is associated with a segregation of students along social and ethnic lines. Selection and segregation give rise to differential learning environments that provide different educational opportunities and can reinforce educational inequalities. Today, 11 of 16 German states have two-tier school systems which have been implemented not least to prevent the concentration of risk factors at lower school types and to increase the educational opportunities of disadvantaged students.
Using data from the national assessment studies carried out by the Institute for Educational Quality Improvement (IQB) in 2009 and 2015, this dissertation project investigates to which extent the degree of vertical differentiation of school systems is related to school segregation. The first substudy describes the social and ethnic composition of the student body as well as sociocultural segregation across different secondary school types in federal states with two- or three-tier school systems and so-called reform states. The reform states are Berlin, Bremen, Hamburg, Rhineland-Palatinate, and Schleswig-Holstein, which introduced two-tier school systems in 2009 or 2010. The second substudy assesses differences in school type attendance of students with and without immigrant background and their change with the school structural reforms in Germany’s three city-states Berlin, Bremen, and Hamburg. Controlling statistically for indicators of achievement and social status, the study examines the role of differential school choice procedures of immigrant compared to non-immigrant parents in more or less differentiated school systems for ethnic segregation across the school types. Finally, the third substudy takes a closer look at social segregation across schools in the three city-states by distincting vertical segregation between different school types and horizontal segregation between individual schools of the same school type. Overall, the empirical analyses indicate an association between the structure of school systems and school segregation as well as possible explanations for the underlying mechanisms. The results are discussed considering the reform goals and their relevance for educational policy.