Der Beitrag untersucht in kunst- und wissensgeschichtlicher sowie literaturwissenschaftlicher Perspektive Gregorio Comaninis Dialog Il Figino. Die Analyse zielt darauf, dieses bisher in der Forschung wenig beachtete Buch auf seine textuelle Verfasstheit sowie auf die Verhandlung von unterschiedlichen Wissensformen hin zu erfassen. Hierzu wird der Zusammenhang von Evidenz und Episteme analysiert. Es wird der These nachgegangen, dass jene Wissensformen, die die Wirkungsästhetik von Kunstwerken sowie die mediale Alterität und die genuinen ästhetischen und epistemischen Potentiale der Malerei betreffen, durch bestimmte Veranschaulichungs- und Diskursivierungsstrategien des kunsttheoretischen Dialogs zur Geltung gebracht und in ‚mitstreitender‘ Weise imitiert und kommentiert werden. So lassen sich der Status sowie die Reflexion von Wissen untersuchen, das begrifflich nicht fassbar und in diesem Sinne elusiv ist. Der Beitrag erläutert, wie elusives Wissen im Figino gerade durch das inszenierte Vortragen von Gedichten anschaulich gemacht, reflektiert, angeeignet und transferiert wird. Auf der Ebene der ästhetischen Kategorien wird zudem deutlich, dass die Konzeption der paradoxalen sprezzatura artificiosa begrifflich die Debatte um ‚kapriziöse‘ zeitgenössische Malerei markiert, die sich an den Normen der Regelästhetik und ihrem Schönheitsbegriff reibt. Es lässt sich zeigen, dass Comaninis Text unterschiedliche Evidenzierungsstrategien nutzt, die die zeitgenössische Praxis der gelehrten Bildbetrachtung und -kommentierung in Szene setzen und die imitazione fantastica als aktuelles malereitheoretisches Thema in die frühneuzeitliche Regelästhetik einbeziehen. Der Nachahmungsmodus der imitazione fantastica wird derart mit traditionell etablierten Wissensbeständen (imitazione icastica) konsolidiert. Comaninis Dialog erweist sich somit als relevanter Beitrag im ästhetischen Diskurs des fine Cinquecento und macht mit diesem Diskurs verknüpfte mediale Reflexionen sowie den historischen Wissensbegriff der kunsttheoretischen Debatte analysierbar.