Die Möglichkeiten der objektiven Stimmanalyse haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Im Gegensatz dazu kann festgestellt werden, dass die Gesangspädagogik die meist computergestützten Analysemöglichkeiten der Gesangsstimme vergleichsweise langsam für sich auswertet und gewinnbringend in eine moderne Pädagogik integriert. In dem hier vorgestellten interdisziplinären Forschungsprojekt wurde eine Datenbank mit 1723 Klangbeispielen aus 30 Opern, einem Oratorium und 73 Gesangsübungen zusammengestellt. Die Klangsequenzen aus den Opern und dem Oratorium wurden veröffentlichten Gesamtaufnahmen entnommen, die 73 Gesangsübungen wurden von professionellen Opernsängerinnen live für die Stimmanalyse eingesungen. Alle Beispiele können einem typisch dramatischen oder einem typisch lyrischen Stimmfach in den Stimmlagen Sopran, Tenor, Bariton und Bass zugeordnet werden. Jedes Beispiel dieser umfangreichen Datenbank enthält einen Ton mit einer Mindestlänge von 6 Sekunden, der ohne oder mit nur sehr wenig Orchesterbegleitung zu hören ist. Damit sind die Voraussetzungen erfüllt, um sowohl in der Zeit-Domäne als auch in der Frequenz-Domäne differenzierte Analysen durchzuführen. In einer für die Datenbank bereit¬gestellten Matlab-Umgebung wurden Merkmale entwickelt, mit denen innerhalb jeder Stimmlage eine Klassifizierung in die Stimmstruktur lyrisch und dramatisch vorgenommen werden kann. In der vorliegenden Ausarbeitung des Projekts wird das Vibrato als ein wertvolles Merkmal für die Klassifikation von Opernstimmen vorgestellt. Die in die Matlab-Umgebung implementierten Algorithmen berechnen die Vibrato-Frequenz (VR) und die Vibrato-Amplitude (VE). In den Stimmlagen Sopran und Tenor konnte gezeigt werden, dass VE in den dramatischen Stimmfächern größer ist und VR kleiner ist als in den lyrischen Stimmfächern. Bei den Baritonstimmen ergab sich eine unerwartete Besonderheit: VE war bei den lyrischen Stimmen signifikant größer als bei den dramatischen. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die höheren Stimmlagen eine geringfügig größere VR haben als die tieferen. Durch Untersuchungen in der Frequenz-Domäne konnte gezeigt werden, dass eine Klassifizierung mit dem hier vorgestellten Ansatz in der Stimmlage Bass wissenschaftlich nicht nachvollziehbar ist. Im Kontext der gesamten Matlab-Umgebung lassen sich auf der Basis dieser Ergebnisse gesangspädagogisch wertvolle Hinweise für die Stimmfachbeurteilung ableiten. Da zu jedem Klangbeispiel auch das Datum der Aufnahme in der Datenbank abgelegt wurde, ermöglicht die Auswertung der Ergebnisse auch Aussagen über intraindividuelle Entwicklungen der Sänger-persönlichkeiten und über eine allgemeine stilistische Entwicklung im Laufe der Zeit. Zusätzlich konnte als methodischer Ansatz eine Modellmethode mit synthetisch manipulierten Dateien entwickelt werden, die auf den Analysen der Datenbank basiert.
The possibilities of objective voice analysis have developed rapidly in recent years. In contrast, it can be stated that vocal pedagogy has been comparatively slow in evaluating the mostly computer-aided analysis possibilities of the singing voice for itself and profitably integrating them into a modern pedagogy. In the interdisciplinary research project presented here, a database of 1723 sound samples from 30 operas, one oratorio, and 73 vocal exercises was compiled. The sound sequences from the operas and the oratorio were taken from published complete recordings, and the 73 vocal exercises were sung live by professional opera singers for vocal analysis. All examples can be assigned to a typically dramatic or a typically lyric voice type in the soprano, tenor, baritone and bass vocal register. Each example in this extensive database contains a single tone with a minimum length of 6 seconds, which can be heard without or with very little orchestral accompaniment. This fulfills the prerequisites for performing differentiated analyses in both the time domain and the frequency domain. In a Matlab environment provided for the database, features were developed to classify into the voice structure lyric and dramatic within each vocal register. In this elaboration of the project, vibrato is presented as a valuable feature for the classification of operatic voices. The algorithms implemented in the Matlab environment calculate the vibrato rate (VR) and vibrato extent (VE). In the soprano and tenor vocal registers, VE was shown to be larger and VR smaller in the dramatic voice type compared to the lyric voice type. In the baritone voices, an unexpected special feature emerged: VE was significantly larger in the lyric voices than in the dramatic ones. Overall, it was shown that the higher vocal registers had a slightly larger VR than the lower registers. By investigations in the frequency domain it could be shown that a classification with the approach presented here is not scientifically comprehensible in the bass vocal register. In the context of the entire Matlab environment, valuable indications for the evaluation of voice types can be derived on the basis of these results. Since the recording date was also stored in the database for each sound sample, the evaluation of the results also allows statements to be made about intraindividual developments of the singers' personalities and about a general stylistic development over time. In addition, as a methodological approach, it was possible to develop a model method with synthetically manipulated files based on the analyses of the database.