Die Dissertation beleuchtet die Zusammenhänge zwischen sowjetischer Innen- bzw. Nationalitätenpolitik in den Jahren 1955-1991, der Ausreise- und Bürgerrechtsbewegung der deutschen Minderheit in der Sowjetunion und den bilateralen Beziehungen der UdSSR zu den beiden deutschen Staaten, Bundesrepublik Deutschland und DDR. Basis dafür ist die Chronologie der Initiativen und bilateralen Gespräche in diesem Zeitraum. Die durch die Deportation verstreut und vor allem in russischer Umgebung lebende deutsche Minderheit hatte bis zum Ende der UdSSR unter Russifizierung und massiver Diskriminierung zu leiden. Sie reagierte Mitte der 1960er Jahre mit einer Petitionsbewegung und, nach deren Scheitern, zu Beginn der 70er Jahre mit einer breiten Ausreisebewegung. Die Bundesrepublik Deutschland trat gegenüber der Sowjetunion ab Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1955 als "Anwalt" der Sowjetdeutschen auf und setzte sich bis 1987 intensiv für deren Ausreise ein. Die sowjetische Führung dagegen machte ihre innenpolitischen Schritte zur Rehabilitierung der Deutschen bis zum Beginn der Perestrojka von der Qualität der bilateralen Beziehungen abhängig bzw. orientierte Ausreisezahlen an internationalen Klima-Schwankungen und Konferenzen wie der KSZE, um Wohlverhalten oder Härte zu demonstrieren. Um Verbesserungen für alle Sowjetdeutschen zu erreichen, brachte die Bundesregierung die Thematik der Familienzusammenführung und des Minderheitenschutzes in multilaterale Konferenzen ein und setzte sich in der KSZE erfolgreich für die Festschreibung minderheitenspezifischer Standards und Regelungen zur Familienzusammenführung ein. Zwar akzeptierte die sowjetische Seite diese einzige konkrete Berufungsgrundlage ab 1986, war aber erst zwei Jahre später willens, tatsächlich neue Wege einzuschlagen. Die nationalitätenpolitischen Weichenstellungen kamen jedoch zu spät, und die angedachten Maßnahmen waren nicht weitgehend genug, um den Deutschen ein Verbleiben in der UdSSR attraktiv zu machen.
An dem im Gesamtkontext der politischen Entwicklungen der Perestrojka-Zeit zwar eher unbedeutenden Prozess der Rehabilitierung der Sowjetdeutschen und der gescheiterten Wiederherstellung ihrer Rechte spiegelt sich der Zerfall der UdSSR repräsentativ wider. Maßnahmen kamen nicht mehr in Gang, die Perestrojka-UdSSR konnte sich zudem von der jahrzehntelangen sowjetischen Tabuisierungspolitik zu den Sowjetdeutschen nicht lösen. Trotz Glasnost' blieb der Schuldvorwurf von 1941 zur angeblichen Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland ungetilgt, die (Teil-) Rehabilitierungen der Sowjetdeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Gesellschaft unbekannt. Zudem versuchte Moskau zunächst, beide deutsche Staaten auf diesem Politikfeld gegeneinander auszuspielen: Die UdSSR gab dem bundesdeutschen Drängen auf den Beginn umfassender Hilfen erst nach, als sich die Hoffnungen auf die Anfang 1989 von der DDR eingeforderten Maßnahmen endgültig zerschlagen hatten. Diese Verzögerung bundesdeutscher Hilfen um mehr als ein Jahr trug ebenfalls dazu bei, die Weichenstellung zugunsten des Verbleibs der Sowjetdeutschen in ihrer angestammten Heimat zu verhindern.
The dissertation illuminates the connections between Soviet domestic and nationalities policy in the years 1955-1991, the departure and civil rights movement of the German minority in the Soviet Union and the USSR's bilateral relations with the two German states, the Federal Republic of Germany and the GDR. Basis of the analysis is the exact chronology of talks and initiatives. The German minority, scattered by deportation and living mainly in Russian surroundings, suffered from russification and massive discrimination until the end of the USSR. It reacted in the mid-1960s with a petition movement and, after its failure, at the beginning of the 1970s with a broad emigration movement. The Federal Republic of Germany acted as an "advocate" for Soviet Germans vis-à-vis the Soviet Union from the time diplomatic relations were established in 1955 and campaigned intensively for their emigration until 1987. The Soviet leadership, on the other hand, made its domestic policy steps to rehabilitate the Germans dependent on the quality of bilateral relations until the beginning of Perestroika, and oriented departure figures to international climate fluctuations and conferences such as the CSCE in order to demonstrate good will or harshness. In order to achieve improvements for all Soviet Germans, the German government had brought the issue of family reunification and the protection of minorities to multilateral conferences and successfully campaigned in the CSCE for the establishment of minority-specific standards and regulations on family reunification. Although the Soviet side had accepted this only concrete basis for appeal as of 1986, it was not until two years later that it was willing to actually embark on new paths. The course set in terms of nationality policy came too late, and the measures envisaged were not far-reaching enough to make it attractive for Germans to remain in the USSR. The process of rehabilitating the Soviet Germans and the failed restoration of their rights, although rather insignificant in the overall context of the political developments of the Perestroika period, is a representative reflection of the disintegration of the USSR. Measures no longer got off the ground; moreover, the Perestroika USSR was unable to break away from the decades-long Soviet policy of tabooing Soviet Germans. Despite glasnost, the accusation of guilt from 1941 for alleged collaboration with National Socialist Germany remained unresolved, and the (partial) rehabilitation of Soviet Germans after the Second World War remained unknown in Soviet society. Moreover, Moscow initially tried to play both German states off against each other in this policy field: The USSR only gave in to the Federal German insistence on the start of comprehensive aid when hopes for any measures taken by the GDR had finally been dashed. This delay in German aid by more than a year contributed significantly to preventing the course from being set in favour of the Soviet Germans remaining in their ancestral homeland.