Seit den Untersuchungen von Robert Koch ist Bacillus anthracis als der Erreger von Milzbrand bekannt. Die verschiedenen Stämme sind genetisch sehr ähnlich und besitzen spezifische chromosomale Marker sowie zwei Virulenzplasmide, pXO1 und pXO2, die die Synthese von Toxinen bzw. Kapsel kodieren. Es war darum eine Überraschung, als ab 2001 der neuartige Erreger Bacillus cereus biovar anthracis (Bcbva) aus Menschenaffen und anderen Säugetieren isoliert wurde, die in Regenwaldgebieten der Elfenbeinküste (Stamm CI) und anderen afrikanischen Ländern, u.a. in Kamerun (Stamm CA), an einer Milzbrand-ähnlichen Erkrankung verstorben waren. Bcbva kombiniert den chromosomalen Hintergrund von Bacillus cereus mit den beiden Virulenzplasmiden von B. anthracis und weist auf bakteriologischer Ebene Merkmale beider Spezies auf. Sowohl in B. anthracis als auch in Bcbva wird die Expression von Toxin- und Kapselgenen durch den pXO1-kodierten globalen Regulator AtxA kontrolliert und unter wirtsähnlichen Wachstumsbedingungen, die durch Bikarbonatzusatz im Medium und CO2-haltige Atmosphäre simuliert werden können, hochreguliert. In der vorliegenden Arbeit wurden die Primärisolate Bcbva CI und CA mittels Genexpressionsanalysen und einer Sekretomanalyse näher charakterisiert und mit zwei Vertretern von B. anthracis (Laborstamm B. anthracis Vollum und Wildisolat B. anthracis Dobichau) verglichen, wobei vor allem die Untersuchung der Virulenzmechanismen im Vordergrund stand. Es wurde eine Transkriptomanalyse (RNA-Sequenzierung) zum Vergleich der globalen Genexpression unter Umgebungsbedingungen und wirtsähnlichen Bedingungen mit jeweils drei biologischen Replikaten pro Stamm durchgeführt. Dabei wurden 24 Gene mit einem mindestens vierfachen Expressionsanstieg unter CO2-Bedingung bei allen vier Stämmen detektiert, darunter bekannte hochregulierte Virulenzgene wie die Kapselgene, wodurch die Validität der Ergebnisse bestätigt wurde. Plasmidgene wurden in CO2-Atmosphäre fast ausschließlich hoch- anstatt herunterreguliert, wobei die Anzahl pXO2-lokalisierter Gene die der pXO1-lokalisierten überstieg. Die Zahl der differentiell exprimierten Gene lag im Falle der hochregulierten Gene bei den Bcbva-Stämmen und bei B. anthracis Dobichau deutlich höher als bei B. anthracis Vollum. Für 41 Gene, darunter mehrere Gene für ABC-Transporter, wurde nur bei den beiden Bcbva-Stämmen, aber nicht bei B. anthracis, ein mindestens vierfacher Expressionsanstieg gezeigt. Hier gilt es zukünftig beispielsweise über die Herstellung von Deletionsmutanten zu klären, ob es sich bei den in Bcbva hochregulierten Genen um Virulenzfaktoren handelt. Die Analyse deckte weiterhin gravierende Unterschiede hinsichtlich der Anzahl an hoch- und herunterregulierten Genen zwischen den beiden Bcbva-Isolaten auf, die auf eine verschiedenartige Genregulation unter wirtsähnlichen Bedingungen hindeuten. Dies sollte in Untersuchungen mit weiteren Isolaten von Bcbva CI und CA überprüft werden, und mit Hilfe einer AtxA-Deletionsmutante könnte festgestellt werden, ob wirklich alle differentiell exprimierten Gene über AtxA reguliert werden. Die massenspektrometrische Sekretomanalyse nach Anzucht unter wirtsähnlichen Bedingungen ermöglichte die Identifizierung von 33 potentiell diskriminierenden Proteinen, die spezifisch im Überstand der untersuchten Bcbva-Stämme vorkamen. Hierzu zählte auch das pXO2-60 Protein, ein bekanntes Bcbva-spezifisches Antigen, dessen Nachweis die generierten Daten verifizierte. Es konnte allerdings kein weiteres Bcbva-spezifisches Antigen eindeutig detektiert werden. Obwohl teilweise geringe Sequenzidentitäten zu B. anthracis vorliegen, besitzen alle Proteine eine fast identische Proteinsequenz zu Homologen aus anderen Spezies innerhalb der B. cereus-Gruppe und ihr Vorkommen ist weit verbreitet. Es bleibt offen, ob die betreffenden Proteine bei diesen Spezies ebenfalls sekretiert werden. Die Untersuchung der Genexpression während der Sporulation erfolgte mittels qPCR ausgewählter Sporulationsgene. Dafür wurde RNA zu Beginn der stationären Wachstumsphase sowie ein und zwei Stunden danach isoliert, und die Genexpression über relative Quantifizierung gegen ein konstitutiv exprimiertes Haushaltsgen analysiert. Es konnte gezeigt werden, dass die hierarchisch ablaufende Genexpression während der Sporulation bei Bcbva und B. anthracis vergleichbar ist und dem allgemeinen Wissensstand über die Versporung des Modellkeims B. subtilis entspricht. Die Initiation der Sporenbildung erfolgte in der vorliegenden Arbeit bei den untersuchten Bcbva-Stämmen eine Stunde früher, was auf eine tendenziell schnellere Reaktion auf nährstofflimitierende Umwelteinflüsse bei Bcbva im Vergleich zu B. anthracis schließen lässt. Bcbva besitzt im Gegensatz zu B. anthracis eine Insertion im Gen für den Sigmafaktor σK. Das dafür notwendige Ausschneiden der Insertion aus dem sigK-Gen scheint jedoch keinen limitierenden Einfluss auf die Kinetik der Versporung zu nehmen. Elektronenmikroskopisch wurde die schnellere Initiation der Sporenbildung bei Bcbva bestätigt, aber es konnten keine morphologischen Unterschiede der einzelnen Sporulationsstadien zwischen den beiden Spezies festgestellt werden. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass die Genregulation bei den untersuchten Stämmen von Bcbva und B. anthracis weitgehend ähnlich abläuft, aber auch einige gravierende Unterschiede aufweist. Inwieweit das auf die verschiedenen „Habitate“ der Erreger zurückzuführen ist, bedarf weiterer Klärung. Dafür stellt diese Arbeit eine sehr gute Grundlage dar.