In der vorliegenden Arbeit untersuche ich die textuelle Konstitution vorstädtischer cités HLM im Nachgang der Vorstadtunruhen vom Herbst 2005 am Beispiel von vier ausgewählten Romanen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie die Darstellung von materiellen Gegebenheiten, Figuren und Ereignissen in vorstädtischen Hochhaussiedlungen in den Mittelpunkt stellen. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, inwiefern diese Texte auf ein ‚banlieue‘-Stereotyp Bezug nehmen, das aufgrund seiner Verbreitung über die journalistischen Medien als kollektiv angesetzt werden kann und vorstädtische cités und ihre Bewohner in verschiedener Hinsicht stigmatisiert. Relevant sind hier, wie in Kap. 2 unter Verweis auf medienwissenschaftliche, sozialgeographische, und diskursanalytische Untersuchungen dargestellt wird, zirkulär reproduzierte, standardisierte Inhalte und Denkmuster hinsichtlich der ‚banlieue‘. Bezüglich der textanalytischen Methodik spezifiziere ich in Kap. 3 einen kognitiv basierten Ansatz mit Blick auf die Kategorie des dargestellten Raumes in dessen verschiedenen semantischen Dimensionen. Auf dieser Grundlage gehe ich modellhaft davon aus, dass im Zuge der Romanlektüre leserseitig ein mentales Modell vom dargestellten Raum entsteht und dass sich die textuelle Informationsvergabe als strategische Arbeit mit einem beim Leser vorausgesetzten ‚banlieue‘-Frame und dessen Standardfüllwerten verstehen lässt. Die leserseitige Verarbeitung von textuellen Informationen lässt sich mit dem Spektrum von Kategorisierung, Differenzierung und Individualisierung beschreiben, die in einem dynamischen Wechselverhältnis stehen. Diese unterschiedlichen Wirkungspotentiale einer textuellen Darstellung fasse ich genauer durch eine Kombination dieses Instrumentariums mit narratologischen Analysekategorien. Insgesamt erlaubt es diese Methodik, die Texte des Korpus als Auseinandersetzung mit einem vielfach vorbesprochenen sozialräumlichen Konzept zu beschreiben und dabei besonderes Augenmerk auf das Verfahren der Etablierung von Raum in fiktionalen Texten zu legen. Während der Wissenshintergrund eines leserseitig angesetzten ‚banlieue‘-Frames in allen vier Romanen als grundsätzlich relevant ausgemacht werden kann, zeigen sich die Texte unterschiedlich offensiv in der dezidierten Bezugnahme auf diese stereotypen Annahmen. So werden teils durch die vereindeutigende Nennung generischer Begriffe und/oder signifikanter Einzelmerkmale stark typisierte settings etabliert, teils die stereotypen Aspekte relativiert und hinterfragt. Dies geschieht insbesondere durch die Herausstellung differenzierter materieller Einzelmerkmale, die Betonung von alltäglicher Normalität, die Gegenüberstellung verschiedener Sichtweisen auf den Raum und die Etablierung alternativer Semantisierungen. Dass Erzähler und/oder Figuren (in je unterschiedlich explizitem Maß) Kritik an verkürzenden Berichterstattungen in den Medien üben, weist diese Darstellungen als konkreten Bezugshintergrund der Texte aus. Die Einsicht, dass die Rede von der ‚banlieue‘ sich letztlich nicht als unproblematische Referenz auf ‚Realität‘ fassen lässt, sondern als Arbeit mit kollektiven Vorstellungen, die ihrerseits diskursiv etabliert sind, findet sich in den Texten in unterschiedlichem Umfang. Insbesondere Guènes Du rêve pour les oufs und Djaïdanis Viscéral weisen das meta- und autoreflexive Potential auf, ein leserseitiges Bewusstsein über die Gemachtheit textueller Darstellungen und die damit verbundenen Möglichkeiten der subjektiven Perspektivierung, der Stilisierung und des gezielten Spiels mit Erwartungen zu befördern. Dass sich diese – grundsätzlich keineswegs neuen – Verfahren im spezifischen Kontext der ‚banlieue‘-Darstellung als aufschlussreich erweisen, weist indirekt auf die Notwendigkeit eines aufgeklärteren Umgangs mit dem Stereotyp und seinem Zustandekommen hin. Insgesamt zeigen sich somit verschiedene Dimensionen, wie die Literatur auf zeitgenössische Diskurse mit den ihr eigenen Mitteln reagieren kann.
In this paper, I examine the textual constitution of suburban cités HLM in the wake of the suburban unrest in autumn 2005. In doing so, I proceed on the basis of four selected novels that distinguish themselves by focusing on the representation of material conditions, figures and events in suburban high-rise estates. I set out with the question: to what extent do these texts refer to a ‘banlieue’ stereotype that can be considered to be held collectively due to its prevalence in journalistic media and which stigmatises suburban cités and their residents in various ways. Here, recurring standardised content and thought patterns are relevant with respect to the ‘banlieue’, as discussed in Chapter 2 with reference to medial, socio-geographic and discourse-analytical studies. As pertains the analytical methodology, in Chapter 3 I specify a cognitive approach with regard to the category of space. On this basis, I assume that a mental model of the depicted space is created by the reader in the course of reading the novels. Further, the information offered in the texts can be understood as strategic work with a ‘banlieue’ frame and its default values presumed on the part of the reader. The way in which the reader processes textual information can lead to either categorisation, differentiation or individualisation – each interacting with the others. I consider the various potential means of comprehending a textual representation more closely by combining this cognitive model with narratological analysis categories. Overall, this method enables corpus texts to be described as a critical examination of a pre-discussed concept and draws special attention to the process of establishing space in fiction. While existing knowledge of a ‘banlieue’ frame on the part of the reader can generally be considered relevant in all four novels, the texts appear unequally direct in their deliberate reference to these stereotypical premises. For instance, the unambiguous naming of generic terms and/or significant characteristics establishes highly typified settings, whereas stereotypical aspects are also relativised and questioned. This occurs in particular through the accentuation of differentiated, material characteristics, the emphasis of everyday normality, the contrasting of different perspectives of the space and the establishment of alternative semanticisations. The fact that the narrator and/or characters (each to varying explicit degrees) criticise the reductionist coverage in the media reveals these representations as the specific background context of the texts. The realisation that the term ‘banlieue’ cannot ultimately be considered an unproblematic reference to ‘reality’, but instead as a means of engaging with collective ideas, established through discourse for their part, can be found to a varying extent in the texts. In particular, Guène’s Du rêve pour les oufs and Djaïdani’s Viscéral demonstrate the meta- and auto-reflexive potential to encourage an awareness on the part of the reader for the constructed nature of textual representations and the possibilities of subjective perspective, stylisation and deliberate play with expectations. These by no means new procedures prove instructive in the specific context of the ‘banlieue’ representation and thereby indicate the necessity of a more critical handling of the stereotype and its origins. On the whole, various dimensions are revealed in which literature is able to respond to contemporary discourse in its own way.