Die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Republik China (1912–1949) ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der „Nationalen Volkspartei Chinas“ (KMT bzw. Kuomintang). Die KMT definierte sich, trotz prominenter christlicher und anderer religiöser Mitglieder, stets als säkulare Bewegung und setzte es sich zum Ziel, ein auf Wissenschaft und Rationalität ausgerichtetes „neues China“ zu schaffen. Besonders in den Jahren 1927–1937 kam es somit zu umfangreichen Kampagnen gegen Aberglauben, von denen auch die buddhistische Gemeinschaft betroffen war.
Die Diskurspositionen innerhalb der Kuomintang zur Frage, welche Rolle dem Buddhismus beim nationalen Aufbau zugedacht werden soll, sind jedoch wesentlich differenzierter. Dies soll anhand zweier bedeutender Theoretiker der KMT, Wu Zhihui (1865–1953) und Dai Jitao (1891–1949), analysiert werden. Sie beide eint ihre Zugehörigkeit zum sogenannten „rechten Flügel“ der Partei, welcher sich gegen eine Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Chinas engagierte. Auf intellektuell-weltanschaulicher Ebene waren beide Vertreter aber höchst unterschiedlich: Wu Zhihui gilt allgemein als stark vom Szientismus geprägter, religionskritischer Gelehrter, wohingegen Dai Jitao in seinen späteren Lebensjahren eine starke Affinität zum Buddhismus zeigte. Aufgrund der unterschiedlichen ideologischen Akzentsetzung lassen sich beide spezifischen Parteiungen innerhalb des rechten Parteiflügels zuordnen. Insgesamt vertritt dieser Artikel die These, dass sich die KMT mit dem Begriff der „Volkspartei“ beschreiben lässt, welche die Existenz verschiedener, weltanschaulicher Parteiungen durchaus toleriert hat, solange sich diese an die Vorgaben über „anerkannte Religion(en)“ hielten.
Diese Vorgänge sind nur zu verstehen in Hinblick auf die komplexen Transfer- und Adaptionsprozesse von Strukturen der westlichen Moderne. Dies betrifft insbesondere die Genese von politischen Institutionen, aber auch die konzeptuelle Ausdeutung von Neologismen wie „Religion“, „Aberglauben“, „Wissenschaft“ und „Partei“.
The political and social development of the Republic of China (1912–1949) was deeply entangled with the history of the “Chinese Nationalist Party” (Kuomintang; KMT). The KMT, even though it had Christians and other religious actors among its members, would mostly define itself as a secular movement with the goal of establishing a “new China” founded on science and rationality. Especially during the years 1927–1937 there were far-reaching campaigns against superstition that would also effect the Buddhist community.
However, the discursive positions in the KMT on the question of which role Buddhism could play in the national reconstruction were much more diverse. This will be analyzed on the basis of the chief theoreticians Wu Zhihui (1865–1953) and Dai Jitao (1891–1949). What both have in common is their affiliation with the “right wing” of the party, which was committed against the cooperation with the Communist Party of China. However, regarding their intellectual framework and worldview, both members were highly different: Wu Zhihui is mostly considered a thinker with strong anti-religious positions coming from scientism, whereas Dai Jitao later showed a strong affinity with Buddhism. Due to their different ideological weighting both can be attributed to specific factions within the right wing of the KMT.
Overall, this article argues that the KMT can be described as a “Volkspartei” which tolerated different ideological factions as long as they adhered to what the party had defined as “acknowledged religion(s)”. These constellations can only be understood with regards to the transfer of structures of Western modernity. This holds true not only for the formation of political institutions but also for the conceptual interpretation of neologisms like “religion”, “superstition”, “science” and “party”.