Die Major Depression (MD) geht mit veränderten Annäherungs- und Vermeidungstendenzen einher und wird mit Störungen der zentralen Stressregulation in Verbindung gebracht. Frühe traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend (FT) wie körperlicher oder sexueller Missbrauch stellen dabei einen bedeutenden Risikofaktor für die spätere Entstehung einer MD dar. Eine vermittelnde Rolle spielt hier möglicherweise eine Dysregulation des Locus coeruleus-noradrenergen Systems. Diese führt im Rahmen der MD vermutlich durch eine pathologische Aufregulation zentraler, inhibitorischer α2-Rezeptoren zu einer Verminderung der zentralen noradrenergen Aktivität, die als mögliche Ursache für zahlreiche kognitive und verhaltensbezogene Beeinträchtigungen betrachtet wird. Um den Zusammenhang zwischen einer Dysregulation zentraler α2-Adrenorezeptoren und veränderten Annäherungs- und Vermeidungstendenzen im Rahmen der MD und der FT zu untersuchen, absolvierten depressive Patienten und gesunde Probanden mit und ohne FT (MD+ / FT+: N = 27, MD+ / FT–: N = 26, MD– / FT+: N = 30, MD– / FT–: N = 48) nach doppelt-verblindeter Gabe des α2-Rezeptorantagonisten Yohimbin bzw. eines Placebos an zwei separaten Tagen ein computerbasiertes Approach-Avoidance-Paradigma, anhand dessen die automatischen Verhaltenstendenzen der Probanden erfasst wurden. Als Parameter für die Performanz der Probanden wurden Reaktionszeit, Antwortlatenz und Antwortrichtigkeit in der Approach-Avoidance Task (AAT) erhoben. Die noradrenerge Stimulation wurde anhand physiologischer Parameter (Blutdruck, Herzfrequenz, und Speichel-α-Amylase) überprüft. Nach Yohimbin-Applikation ließ sich anhand erhöhter Blutdruckwerte und einer Konzentrationssteigerung der Speichel-α-Amylase gruppenübergreifend eine erhöhte noradrenerge Aktivierung nachweisen. Als Nachweis für die Validität des genutzten Paradigmas konnten gruppenübergreifend kürzere Reaktions- und Antwortlatenzzeiten sowie eine höhere Antwortrichtigkeit in der kongruenten Testbedingung beobachtet werden. Gruppenübergreifend zeigten sich keine Veränderungen der Reaktionszeit, Antwortlatenz oder Antwortrichtigkeit nach Yohimbin-Gabe. Es konnten zudem weder unter Yohimbin- noch unter Placebo-Bedingungen Unterschiede zwischen den Probandengruppen nachgewiesen werden. Die noradrenerge Stimulation durch Yohimbin führte zu keiner Veränderung bzw. Verbesserung der Annäherungs- und Vermeidungstendenzen der Probanden. Darüber hinaus zeigten sich auch unabhängig von der Yohimbin-Gabe keine Unterschiede hinsichtlich der anhand der AAT erhobenen Annäherungs- und Vermeidungstendenzen zwischen den jeweiligen Gruppen. Der vermutete noradrenerge Einfluss auf die motivationalen Verhaltenstendenzen depressiver Patienten und gesunder Personen mit FT konnte demnach nicht bestätigt werden. Aufgrund der zahlreichen, in der Literatur beschriebenen Überschneidungen zwischen depressiven Erkrankungen, frühen traumatischen Erfahrungen, veränderten Verhaltenstendenzen und Dysregulationen der Stressphysiologie sollten dennoch mögliche Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren, insbesondere unter Berücksichtigung des Zusammenspiels der einzelnen Stressregulationssysteme, weiter erforscht werden. Zukünftige Ergebnisse könnten zu einem besseren Krankheitsverständnis sowie zur Etablierung neuer, gezielter Behandlungskonzepte für die Therapie der MD beitragen.
Major depressive disorder (MDD) is characterized by aberrant approach-avoidance tendencies and has been associated with alterations in the biological stress response systems. Adverse childhood experiences (ACE), such as physical and sexual abuse, are a major risk factor for the onset of MDD in later life, and related dysregulations in the stress systems as in the locus coeruleus noradrenergic system may be a possible mediating mechanism. Pathological upregulation of central inhibitory α2-receptors, which may lead to decreased central noradrenergic activity in depressed patients, could be responsible for a range of cognitive and behavioral impairments associated with MDD. To investigate the connection between a dysregulation of central α2-receptors and aberrant approach-avoidance-tendencies in MDD and ACE, MDD patients and healthy participants with and without ACE (MDD+ / ACE+: N = 27, MDD+ / ACE–: N = 26, MDD– / ACE+: N = 30, MDD– / ACE–: N = 48) completed a computerized approach-avoidance paradigm after double-blind administration of the α2-receptor antagonist yohimbine versus placebo on two separate days. Reaction times, response latency, and response accuracy were taken as outcome measures of the approach-avoidance task (AAT). Blood pressure, heart rate, and saliva α-amylase were measured as indicators of noradrenergic activation. After yohimbine administration, increased noradrenergic activity, measured by elevated blood pressure and α-amylase, was found across all groups. In the AAT, faster reaction times, shorter response latencies, and higher response accuracy were observed in the congruent condition across all groups, indicating the validity of the used paradigm. However, no differences in reaction time, response latency or accuracy could be observed among groups after yohimbine administration. In addition, there were no differences between groups in the placebo condition. Noradrenergic stimulation with yohimbine did not affect or improve approach-avoidance tendencies in either of the groups. Furthermore, MDD patients and participants with ACE did not differ from healthy participants, irrespective of yohimbine administration. The presumed noradrenergic influence on motivational behavioral tendencies in depressed patients and healthy individuals with ACE could therefore not be confirmed. However, given the substantial overlap between MDD, ACE, aberrant behavioral tendencies, and dysregulated physiological stress systems indicated by literature, the connection between these factors should be further investigated, particularly taking into account the interaction of the individual stress regulation systems. Further research in this direction may contribute to a better understanding of the disease as well as the development of new, more targeted treatment concepts for the therapy of MDD.