Hintergrund Das „Multilevel Contracture Release“ (MLCR) nach Rideau, bei dem gezielt beginnende Kontrakturen an der unteren Extremität chirurgisch gelöst werden, findet seit über 30 Jahren Anwendung in der Behandlung von Jungen mit Muskeldystrophie Duchenne (Duchenne Muscular Dystrophy (DMD)). Obwohl bereits bekannt ist, dass die Gehfähigkeit von Jungen mit DMD durch das MLCR verlängert wird, existieren bisher keine Untersuchungen mittels instrumenteller dreidimensionaler Ganganalyse (3GDA) über die biomechanischen Effekte auf die Gangfunktion. Das Ziel dieser Studie war es daher herauszufinden, welche Veränderungen der Gangfunktion nach MLCR auftreten. Methoden Es wurden Gangdaten von 11 Jungen mit DMD, die sich in einer funktionell frühen Phase der Erkrankungen befanden vor und drei Monate nach MLCR mittels 3GDA erhoben und analysiert. Zur Orientierung wurden die Daten mit denen von 10 typisch entwickelten Kindern (TDC) verglichen. Nebst der Bestimmung der konventionellen räumlich-zeitlichen (TSP), kinematischen und kinetischen Gangparameter, wurde auch ein Datenreduktionsverfahren zur Errechnung von Ganggraphen Asymmetrie- und Deviation Indizes (GGDI, GGAI) angewandt. Ergebnisse Postoperativ kam es zu einer signifikanten Zunahme der größennormalisierten Schrittlänge (p = 0,003) und Gehgeschwindigkeit (p = 0,01). Obwohl es postoperativ zu keiner Veränderung der Hüft- und Kniegelenkkinematik kam, stiegen das Hüftextensionsmoment (p = 0,05) und die Leistungsgeneration im Kniegelenk (p = 0,02) während der Standphase signifikant an. In der frühen Standphase (p = 0,1) und in der terminalen Schwungphase (p = 0,01) nahmen eine erhöhte Leistungsgeneration im Hüftgelenk postoperativ ab. Ein pathologischer initialer Vorfußkontakt kehrte sich postoperativ zu einem typischen Fersenrocker um. Über den gesamten Gangzyklus wurde außerdem eine Zunahme der Dorsalextension observiert. 6 Während sich die maximale Dorsalextension in der Standphase (p = 0,08) nicht signifikant veränderte, nahm die maximale Plantarflexion (p = 0,01) in der Schwungphase signifikant ab. Anhand des Datenreduktionsverfahrens ließen sich keine relevanten Veränderungen der Gangfunktion nachweisen. Die Jungen mit DMD zeigten vor allem im Sprunggelenk erhöhte Deviationswerte (GGDI) gegenüber den TDC. Die Asymmetrie zwischen linker und rechter Seite (GGAI) lag prä- und postoperativ in einem normalen Bereich. Schlussfolgerung Drei Monate nach MLCR ergaben sich mittels 3GDA keine Hinweise auf eine Verschlechterung der Gangfunktion. Ganz im Gegenteil zeigten sich sogar tendenzielle Verbesserungen im Bereich der proximalen Kinetik sowie eine Verbesserung der Sprunggelenkkinematik. Die biomechanischen Ergebnisse dieser Studie und die bereits nachgewiesene Verlängerungen der Gehfähigkeit bei gleichzeitig niedriger Komplikationsrate des Eingriffes, deuten auf eine empfehlenswerte Behandlung der DMD durch MLCR hin. Es sollten zukünftig weitere Studie mit einer größeren Patientenzahl zur Verifizierung der Ergebnisse dieser explorativen Studie durchgeführt werden.
Background Since over 30 years multilevel contracture release (MLCR) according to Rideau is a surgical treatment option in Duchenne Muscular Dystrophy (DMD). It is performed by severing or lengthening fasciae and tendons of defined lower limb muscles. Although it is well known that MLCR leads to prolongation of ambulation, little is known about its biomechanical effects on gait function. Up to now, no study was carried out using instrumented three-dimensional gait analysis (3DGA) to investigate the changes in gait of boys with DMD. The aim of the study was to explore the biomechanical changes in gait in boys with DMD after MLCR. Methods In a prospective study using 3DGA the changes in gait of boys with DMD three months after MLCR were investigated. The preoperative and postoperative gait data of 11 boys with DMD were analyzed and related to those of 10 typically developing children (TDC). In addition to the conventionally used spatiotemporal, kinematic and kinetic parameters, gait graph asymmetry and deviation indices (GGAI, GGDI) were generated. Results The temporal spatial parameters (TSP) normalized stride length (p = 0.003) and normalized speed (p = 0.01) increased significantly. Although hip and knee kinematics did not change, hip extension moment (p = 0.05) and knee power generation (p = 0.02) in stance increased significantly. Dorsiflexion increased slightly over the entire gait cycle while maximum plantar flexion during swing decreased significantly (p = 0.01). A dynamic pes equinus which was observed at initial contact was replaced by a typical first rocker. Using GGDI and GGDI no deteriorations of gait after MLCR was found. The deviation (GGDI) of the sagittal ankle kinematic was increased before and after MLCR. Expect of this all other GGDI and GGAI values ranged within the normal area. Conclusion Overall, no considerable worsening of gait function was found three months after MLCR. Quite the contrary, a tendency toward improved hip muscle function and ankle kinematic were found. Taking together the biomechanical results of this study with the previously reported prolongation of walking and the low complication rate of the procedure, MLCR seems to be a safe and advisable treatment option at the early stage of DMD. Further studies with higher participants numbers should be performed to verify the findings of this explorative study.