Perzeptuelle Inferenz beschreibt die Mechanismen unseres Gehirns, mittels derer ein kohärenter Wahrnehmungseindruck aus sensorischen Informationen erzeugt wird. In einem integrativen System beeinflussen Kontext, Erwartungen und Überzeugungen die Wahrnehmung (Top-down). Die so generierten Vorhersagen werden durch neue Evidenz kontinuierlich adaptiert (Bottom-up). Nach dieser Predictive Processing-Theorie könnten Störungen der Inferenzmechanismen die Pathogenese von Psychosen und ihren Kernsymptomen Wahn und Halluzinationen erklären. Ziel der vorliegenden Dissertation war es, die Rolle von Erwartungen bei visueller Wahrnehmung an einer Stichprobe von unmedizierten Patient*innen mit psychotischen Erkrankungen mit Verhaltensexperimenten und funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) zu untersuchen. In einem Verhaltensexperiment wurde anhand der intermittierenden Präsentation eines ambiguen Stimulus der Einfluss von sensorischen Erwartungen auf die visuelle Wahrnehmung getestet. Hier konnte ein Effekt zur Perzeptstabilität aus einer Studie mit medizierten Patient*innen mit Schizophrenie repliziert werden: Bei unmedizierten Patient*innen mit psychotischen Erkrankungen war der stabilisierende Einfluss sensorischer Erwartungen auf die Wahrnehmung ambiguer Reize geringer als bei der Kontrollgruppe. Ein Zusammenhang dieses Effektes mit psychotischer Symptomatik wurde nicht gefunden. Ein Teil der Stichprobe nahm an einem weiteren Experiment teil, welches als fMRT-Experiment durchgeführt wurde. In diesem Paradigma wurde ein kontinuierlich präsentierter ambiguer Stimulus mit einer ‘Placebo-Brille‘ kombiniert. Mittels dieser Manipulation sollten bei den Teilnehmer*innen Erwartungen induziert werden, deren Einfluss auf die Wahrnehmung in Verhaltensdaten und funktioneller Bildgebung gemessen wurde. Hierfür wurde in den fMRT-Daten der Zusammenhang von Erwartungen mit Aktivität im orbitofrontalen Kortex sowie die Konnektivität zwischen frontalen und sensorischen, okzipitalen Hirnregionen analysiert. Entgegen der Annahme, dass bei Psychosen Erwartungen aus höheren neuronalen Ebenen einen kompensatorisch stärkeren Einfluss auf die Wahrnehmung haben, konnte in der Patient*innengruppe weder in den Verhaltensdaten noch in der fMRT ein solcher 9 Effekt detektiert werden. Da der Verhaltenseffekt der bereits erprobten Manipulation in der Kontrollgruppe nicht repliziert werden konnte, ist die Interpretation der Ergebnisse des zweiten Experimentes nur eingeschränkt möglich. Eine weitere Limitation ist die Stichprobengröße der Patient*innen-Gruppe. Die vorliegende Arbeit ergänzt die Datenlage zur Theorie einer gestörten perzeptuellen Inferenz bei Psychose und untermauert die Hypothese von schwächeren Vorhersagen auf sensorischer Ebene bei dieser Gruppe von Erkrankungen. Es bedarf weiterer Studien, die computationale Methoden mit Verhaltensexperimenten und Bildgebungsmethoden gezielt kombinieren, um die Hypothesen bezüglich veränderter Inferenzmechanismen auf verschiedenen hierarchischen Ebenen des Gehirns zu untersuchen und die Pathomechanismen der Psychose weiter aufzuklären.
Perceptual inference refers to the mechanisms applied by our brain to form a coherent perceptual experience from sensory input. Within this integrative system, perception is influenced by context, expectations, and beliefs through top-down mechanisms. By the same token, predictions generated within the system are constantly updated by new sensory evidence through bottom-up signalling. According to the theory of predictive processing, disturbances of these inferential mechanisms might explain the pathogenesis of psychosis and its core symptoms, delusions and hallucinations. The aim of this dissertation was to investigate the role of expectations in visual perception in a sample of unmedicated patients with psychosis using behavioral experiments and functional magnetic resonance imaging (fMRI). In a behavioral experiment, the intermittent presentation of an ambiguous stimulus was used to test the influence of sensory predictions on visual perception. Here, an effect previously found in medicated patients with schizophrenia was replicated: Unmedicated patients with psychosis exhibited weaker perceptual stability and, hence, weaker influence of low-level priors on the perception of ambiguous stimuli than healthy controls. No association was found between this effect and the severity of psychotic symptoms. 10 A sub-sample participated in a second experiment, which was conducted as an fMRI study. Here, a continuously presented ambiguous stimulus was combined with the application of ‘placebo glasses’. This manipulation served to induce expectations in the participants, the effect of which was measured in behavioral and fMRI data. To this end, we examined the influence of expectations on reported perception together with the expectation-related activity in orbitofrontal regions and their connectivity to sensory occipital regions. Contrary to our hypothesis, no evidence for a stronger influence of high-level expectations on visual perception was found in psychotic individuals. The results of this experiment may only be interpreted to a limited extent, since the basic behavioral effect of the placebo manipulation was not replicated in the control group. The patient sample size makes for another limitation of the second part of the study. This work significantly adds to the empirical evidence for the theory of disturbed perceptual inference in psychosis. Its results substantiate the hypothesis of weaker sensory predictions in psychotic disorders. There is a need for more studies combining computational approaches with behavioral experiments and imaging methods to specifically examine inferential mechanisms on hierarchical neuronal levels and thus to further enlighten the pathomechanisms of psychosis.