In dieser Dissertation wird die Arbeit jener Experten untersucht, die unter der Herrschaft König Chulalongkorns (1868-1910) Fachwissen europäischen Ursprungs nach Siam (dem heutigen Thailand) transportierten. Es wird dabei der Interpretation widersprochen, dass diese Expertenarbeit Teil einer kolonialen, imperialistischen Durchdringung Siams gewesen sei. Die Auswertung zahlreicher in der Forschung bislang weitgehend ungenutzter Quellen zeigt, dass Experten ohne eine Agenda europäischer Regierungen nach Siam kamen, dass ihre Rolle nicht der eines heimlichen Herrschers, sondern der eines Angestellten entsprach, und dass ihre Ratschläge oft genug ignoriert wurden. Sie kritisierten sowohl europäische Imperialisten als auch die Bangkoker Zentralisierungspolitik. Ihre Lebenswelt war unterdessen nicht durch rassistische Selbstabschottung bestimmt, sondern durch die Nähe zu der sie umgebenden Gesellschaft und durch die beobachtende Vertiefung in ihre zweite Heimat. Durch eine dichte und umfassende Analyse der Quellen untersucht diese Dissertation erstmals die Lebenswirklichkeit der Expertengruppe und verdeutlicht, dass Imperialismus, Orientalismus und Zivilisierungsmission zwar die Kulisse ihres Daseins und ihrer gesamten Epoche bildeten, nicht aber ihr Handeln lenkten und ihre Gedanken bestimmten. Statt vom Diskurs in Europa und den Kolonien, von den Berichten der Händler und Reiseschriftsteller oder vom Zeitgeist des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf die Strukturen und Eigenschaften der Expertenarbeit in Siam zu schließen, werden die Experten selbst als Akteure und Beobachter in den Blick genommen. Ihre Wege nach Siam, ihre Konflikte und ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit stehen gemeinsam für den von persönlichen Erkenntnisprozessen und Bestrebungen bestimmten, den gedanklichen Stoßrichtungen ihrer Zeit oftmals entgegengesetzten Aspekt ihres Daseins, der in direkten Widerspruch zu dem vermeintlichen Gruppenbewusstein einer zivilierungsmissionarischen Speerspitze imperialer Absichten tritt, das ihnen für gewöhnlich zugeschrieben wird.