In Schnitzlers Erzählung „Wohltaten still und rein gegeben“ geht es zentral um das Betteln. Die Hauptfigur erhält eine größere Geldgabe, will aber die Dankesschuld nicht übernehmen, die damit verbunden ist. Der Empfänger der Gabe glaubt, durch das Akzeptieren der Dankesschuld den Status eines Bettlers zugewiesen zu bekommen. Der Beitrag interpretiert Schnitzlers Erzählung neu, und zwar stärker gabentheoretisch. Dies erlaubt eine andere Perspektive als die von Nisters auf die Asymmetrien, die durch Wohltaten entstehen, und wirft die Frage auf, in welchen Fällen sie ausgeglichen werden sollten, falls sie überhaupt ausgeglichen werden können.
Beim Betteln gibt es auf beiden Seiten Unsicherheiten über die Bewertung der Größe der Gabe; in der Erzählung kippt die Bewertung von „zu groß“ in „zu wenig“. Allgemein ist beim Geben, so die These, „zu viel“ ebenso problematisch wie „zu wenig“: Im ersten Fall verpflichtet der Gebende den Empfänger in unstatthafter Weise, nämlich so, dass er sich nicht revanchieren kann und sich dadurch erniedrigt fühlt. Im zweiten kommt der Geber einer unausgesprochenen Verpflichtung nicht nach, dem Anderen vom eigenen Wohlstand in angemessener Weise abzugeben und demütigt den Empfänger durch die Geringfügigkeit. Beim Ausgleich von Gabe und Gegengabe, auch durch Dankbarkeit, geht es nicht um exakte Symmetrie, sondern um Angemessenheit an die Situation.
Eine Dankesschuld, zu der man sich gegen den eigenen Willen und damit zu Unrecht verpflichtet fühlt, kann als dunkle Seite der Dankbarkeit verstanden werden. Eine solche Schuld verwandelt das Gefühl von Dankbarkeit in Ärger.