Der landwirtschaftliche Strukturwandel in Deutschland beinhaltet eine tendenzielle Entwicklung von milchproduzierenden Betrieben zu steigender Tierzahl und höherer Milchleistung sowie zu mehr Spezialisierung und größerem Fachwissen der Landwirte. Dieser Fortschritt wirkt sich auch auf angrenzende Wirtschaftszweige der Landwirtschaft aus, wie zum Beispiel auf die Veterinärmedizin. Tierärzte wurden seit jeher für die Tiergesundheit auf landwirtschaftlichen Betrieben zu Rate gezogen, jedoch wird von vielen Quellen beschrieben, dass Nutztierveterinäre immer weniger zu kurativen Notfällen als zu beratenden Aspekten benötigt werden. Diese Beraterposition birgt mögliche Konkurrenzsituationen zu dem Fachwissen der Landwirte selbst und externen Fachberatern, außerdem stellt sie das bisherige Ausbildungsprogramm junger Tierärzte infrage.
Ziel dieser Studie ist es zu ermitteln, für welche Aspekte milchliefernde Landwirte der Bundesrepublik Deutschland Tierärzte derzeit benötigen und wie sie den Bedarf an tierärztlicher Tätigkeit in zehn Jahren einschätzen.
Durchgeführt wurde eine online-Umfrage von Anfang Oktober bis Ende November 2018, die über verschiedene Vereine, Verbände, Landwirtschaftskammern und Zeitschriften den Landwirten zugänglich gemacht wurde. In der Umfrage werden die Teilnehmer überwiegend nach Charakteristika und Leistungen eines für sie idealen Tierarztes in der heutigen Zeit und in der Zukunft befragt. Die Ergebnisse der 1053 teilgenommenen Landwirte werden mittels MS Excel und SPSS Statistik-Programm analysiert und Unterschiede zwischen den Resultaten mit Chi-Quadrat-Tests auf Signifikanzen überprüft. Die Probanden werden nach verschiedenen Kriterien in Gruppen eingeteilt: Bis zu 30 Jahre alte Teilnehmer werden als junge Landwirte bezeichnet, deren Antworten für die Fragestellung der zukünftigen tierärztlichen Tätigkeiten von besonderer Relevanz sind. Betriebe, die eine Milchleistung von über 10.000 kg angeben und über 500 Kühe halten, bilden die Gruppe der progressiven Betriebe, die im Rahmen des Strukturwandels den Betrieb der Zukunft darstellen. Des Weiteren werden die Teilnehmer nach Standort ihres Betriebes in die Regionen Nord-West, Ost und Süd gegliedert, um regionale Tendenzen ausmachen zu können.
Die Mehrheit der Befragten bewertet es als wichtig, dass eine ideale Tierarztpraxis rund um die Uhr für Notfälle erreichbar ist (83%), eine kurzfristige Medikamentenabgabe ermöglicht (82%), Fachtierärzte für Rinder beschäftigt (78%) und auf Milchrinder spezialisiert ist (73%). Mit dem tiermedizinischen Leistungsangebot ihrer Region zeigen sich 63% der Landwirte zufrieden. Ein idealer Tierarzt sollte ein verlässlicher Partner in schwierigen Zeiten sein (89%), sich Zeit für Diskussionen und Gespräche nehmen (84%) und eine Fachtierarztausbildung für Rinder absolviert haben (67%). In Zukunft wird für 71% der teilnehmenden Landwirte der Tierarzt als verlässlicher Partner und für 63% der Fachtierarzt für Rinder an Bedeutung zunehmen. Dass die Landwirte Medikamente zur eigenständigen Behandlungsfortführung erhalten, ist 85% von ihnen wichtig.
Acht der zehn erfragten kurativen tierärztlichen Leistungen sind für mehr als die Hälfte der Teilnehmer wichtig, sowohl Notfallmaßnahmen wie das Beheben von Geburtskomplikationen (89%) und das Durchführen von Operationen (88%), als auch Routineleistungen wie die Behandlungen von Milchfieber (69%) oder Mastitiden (68%). Keine der Leistungen wird in der Zukunft für die Mehrzahl der Teilnehmer an Wichtigkeit gewinnen. Tendenziell wird die kurative tierärztliche Arbeit von Landwirten, die an einer ITB teilnahmen oder daran Interesse zeigen, wichtiger bewertet.
An einer ITB nehmen 50% der Landwirte teil und von denjenigen, die nicht teilnehmen, bekunden aber 55% Interesse. Fünf der neun erfragten möglichen Leistungen in der ITB werden von der Mehrheit der Teilnehmer als wichtig bewertet – vor Allem das Erkennen und Bekämpfen subklinischer Erkrankungen (72%) und die Tiergesundheitsprophylaxe (70%). In Zukunft wird hauptsächlich die Tiergesundheitsprophylaxe (62%) und die Fruchtbarkeitsberatung (54%) an Bedeutung zunehmen.
Im Falle eines neuen Herdenproblems ist den Teilnehmern das Beraten mit ihrem Tierarzt (84%), das selbständige Auswerten von Herdendaten (59%) und das Beraten mit einem entsprechenden Fachberater (57%) am wichtigsten. Besteht ein Herdenproblem schon über einen langen Zeitraum, so bewerten 73% der Landwirte das Beraten mit ihrem Tierarzt, 60% das Beraten mit dem Fachberater und 51% das eigenständige Auswerten von Herdendaten als bedeutsam.
Die Mehrzahl der Landwirte sieht Gründe für eine Reduktion tierärztlicher Bedeutung in einem besseren Management, das Krankheitsfälle verhindern (67%) und in einer besseren technischen Ausstattung, die Krankheitsanzeichen früher erkennen wird (62%).
Unseren Ergebnissen nach genießt der Tierarzt unter deutschen Landwirten ein hohes Ansehen. Sowohl kurative als auch beratende Tätigkeiten werden als sehr bedeutsam eingestuft. Die kurativen Leistungen verlieren zukünftig nicht an Relevanz, aber vermutlich an Frequenz. Die Beratungsthemen werden sich überwiegend auf Tiergesundheitsaspekte beschränken. Insbesondere zwischen den Regionen zeigen sich große Unterschiede in den Bewertungen der tierärztlichen Leistungen. Die ITB stellt ein wirksames Instrument dar, Landwirte kurativ und beratend zu binden und eine langfristige Zusammenarbeit zu sichern. Ziel sollte die fachliche Qualifizierung und Spezialisierung von Tierärzten sein, um den stetig steigenden Ansprüchen der Klienten gerecht zu werden.