Einleitung: Langzeitaufenthalte in der Antarktis sind durch Isolation, Beengtsein und Monotonie gekennzeichnet und dienen als Analogmodell zur Erforschung der Auswirkungen von Weltraummissionen auf den menschlichen Organismus. Die extremen Bedingungen während einer Überwinterung in der Antarktis können zu einer erheblichen Beeinträchtigung der physischen und psychischen Gesundheit führen. Bereits in früheren Studien konnte gezeigt werden, dass es während Aufenthalten in extremen Umwelten zu einer Aufrechterhaltung der Stressreaktion kommen kann, welche mit einer gesteigerten Cortisolsekretion einhergeht. Wissenschaftliche Studien konnten in der Vergangenheit zeigen, dass innerhalb des Gehirns insbesondere die Struktur und Funktion des Hippocampus durch Stress gefährdet ist. Neben erhöhten Cortisolwerten werden auch Veränderungen der Expression der neurotrophen Wachstumsfaktoren BDNF und VEGF als mitverursachend vermutet. Ziel dieser Arbeit ist es, den Einfluss eines 14-monatigen Aufenthaltes in der Antarktis auf die hippocampale Struktur, die zu Grunde liegenden neurophysiologischen Veränderungen und die kognitiven Fähigkeiten zu untersuchen.
Methoden: Im Rahmen der 33. Überwinterungskampagne wurden an neun Expeditionsteilnehmern vor und nach der Überwinterung in der Antarktis MRT-Aufnahmen des Hippocampus durchgeführt, um das Volumen der Hippocampussegmente zu bestimmen. Zusätzlich erfolgten vor, während und nach der Überwinterung in regelmäßigen Abständen Entnahmen von Speichelproben und Blutproben zur Bestimmung von Cortisolwerten und Serumkonzentrationen der Wachstumsfaktoren BDNF und VEGF. Die kognitive Leistungsfähigkeit wurde mittels standardisierter computerbasierter Testverfahren ermittelt. Die Daten der Überwinterer wurden mit den Ergebnissen einer Kontrollgruppe, welche nicht an der Überwinterung teilnahm, verglichen. Die erhobenen Daten wurden mittels gemischt linearem Modell analysiert. Das Signifikanzniveau wurde für alle Tests auf 0,05 festgelegt.
Ergebnisse: Die Analyse mittels linear gemischtem Modell ergab für die Überwinterer eine signifikante Zunahme der Cortisolkonzentration während des Antarktisaufenthaltes. Für die neurotrophen Wachstumsfaktoren BDNF und VEGF konnte eine signifikante Abnahme im Verlauf nachgewiesen werden. Das Gyrus dentatus-Volumen der Überwinterer zeigte in der Nachmessung eine signifikante Volumenreduktion, die mit einem signifikanten Wechselwirkungseffekt für die Faktoren Zeit und Gruppe einherging. Die Abnahme des Gyrus dentatus-Volumens korrelierte dabei mit der Leistung in den kognitiven Testverfahren.
Schlussfolgerung: Die vorliegende Arbeit bietet Hinweise, dass ein Langzeitaufenthalt in der Antarktis mit einer Aufrechterhaltung der Stressreaktion sowie einer Verringerung der Serumkonzentrationen neurotropher Wachstumsfaktoren einhergeht und darüber hinaus zu strukturellen hippocampalen Veränderungen und funktionellen kognitiven Veränderungen führt. Einhergehend mit der Literatur scheinen insbesondere die psychosozialen Stressoren ursächlich verantwortlich zu sein.
Introduction: Long-term stays in the Antarctic are characterized by isolation, confinement and monotony and they serve as an analogue model to study the effects of space missions on the human body. The extreme conditions during wintering in the Antarctic can lead to a significant impairment of the physical and above all the mental health. Previous studies have shown that during long-term stays in extreme environments the stress response associated with increased cortisol secretion may be maintained. Scientific studies have shown that in particular the structure and function of the hippocampus within the brain is endangered by stress. In addition to elevated cortisol levels changes in the expression of the neurotrophic growth factors BDNF and VEGF are also believed to be contributing factors. The aim of this work is to investigate the influence of a 14-month stay in the Antarctic on the hippocampal structure, the underlying neurophysiological changes and the cognitive function.
Methods: As part of the 33rd wintering campaign, MRI images of the hippocampus were taken from nine expedition participants before and after overwintering in the Antarctic to determine the volume of the hippocampus segments. In addition, samples of saliva and blood were taken at regular intervals before, during and after overwintering to determine cortisol levels and serum concentrations of the growth factors BDNF and VEGF. Cognitive performance was assessed using standardized computer-based testing. The data of the overwinterers were compared with the results of a control group, which stayed in Germany during the wintering period. The collected data were analyzed by a linear mixed model. The significance level was set to 0.05 for all tests.
Results: Mixed model analysis revealed a significant increase over time for the cortisol concentration of the Antarctic expeditioners. For the neurotrophic growth factors BDNF and VEGF a significant decrease during the course of the overwintering could be detected. Moreover the gyrus dentate volume of the expeditioners showed a significant volume reduction in the postmeasurement, which was associated with a significant interaction effect for the factors time and group. The decrease of the gyrus dentate volume correlated with the performance in the cognitive test procedure.
Conclusion: The present work suggests that long-term stay in the Antarctic is associated with a persistent activation of the stress response and neurotrophic growth factor impairment, as well as structural hippocampal changes and functional cognitive changes. Along with the literature, the psychosocial stressors in particular appear to be causally responsible.