In der historisch-archäologischen Forschung des Alten Orients sticht das assyrische Reich hervor, das sich ab etwa 900 v.Chr. zu dem ersten Weltreich der Geschichte entwickelte. Bekannt durch die aufsehenerregende Architektur seiner im heutigen Iraq liegenden ausgegrabenen Hauptstädte Assur, Nimrud, Chorsabad und Ninive ist die wissenschaftliche Sichtweise von diesen Zentren geprägt, während die Kenntnis über das Leben und die Verwaltung der Provinzen noch sehr bruchstückhaft ist. Angeregt durch eine Zufallsentdeckung war das Ziel des Langzeit-Forschungsprojektes „Ausgrabung in Tell Schech Hamad, Syrien“ dieses Defizit zu verringern. In Kooperation mit der Eberhardt-Karls-Universität Tübingen und dem National Museum Deir ez-Zor der syrischen Antikenverwaltung (Direction Générale des Antiquités et des Musées, DGAM) hat das Institut für Vorderasiatische Altertumskunde der Freie Universität Berlin unter der Federführung von Prof. Dr. Hartmut Kühne von 1978 bis 2010 Ausgrabungen auf dem Tell Schech Hamad (Tall Šēḫ Ḥamad) am Ost-Ufer des Unteren Chabur (Ḫābūr), dem größten Nebenfluss des Euphrats, in Ost-Syrien durchgeführt. Der Ort ist mit einer intramuralen Fläche von etwa 45 Hektar der größte altweltliche Siedlungsplatz im 150 km langen Flussabschnitt. Er liegt ungefähr 250 Kilometer westlich der assyrischen Hauptstädte. Oberflächenfunde zeigen an, dass er seit dem letzten Drittel des 4. Jahrtausends v.Chr. („Späte Uruk-Zeit“) besiedelt war. Das Forschungsinteresse galt schwerpunktmäßig der assyrischen Stadt Dur-Katlimmu (1300 – 540 v.Chr.), die 1977 durch die glückliche Bergung und anschließende Lesung von 32 Keilschrifttexten mit dem modernen Ort identifiziert werden konnte. Die nachfolgende Ausgrabung von zwei Archiven aus dem 13. und dem 7. Jahrh. v.Chr. bestehend aus Keilschrift- und aramäischen Buchstabenschrift-Dokumenten hat diese Identifikation bestätigt. In den Texten des 7. Jahrh. ist der aramäische Zweitname Magdalu für die Stadt belegt, der – leicht abgewandelt in Magdala – bis in die römische Kaiserzeit (3. Jahrh. n.Chr.) Verwendung fand. Sehr wahrscheinlich hat die Verheerung des Chabur-Tales durch den sasanidischen Königs Schapur I (240/242-270 n.Chr.) in der Mitte des 3. Jahrhunderts zu einer langsamen Aufgabe / Auflassung der Stadt geführt. Die Ausgrabung erfolgte in drei großen Abschnitten mit jeweils mindestens zwei Grabungsstellen. Der erste Grabungsabschnitt (1978, 1980-1984, 1987-1988) war der Zitadelle (dem Tall) gewidmet. Die beiden anderen Grabungsabschnitte liegen in der Unterstadt II: Der zweite in der Nordost-Ecke (1978, 1981-1990) und der dritte in dem mittleren Teil (1984-1987, 1992-2010). Die assyrische Stadt Dur-Katlimmu war eine Neugründung, die wahrscheinlich von dem mittelassyrischen König Adad-nirari I (1297-1265 v.Chr.) auf der von ihm eroberten Stadt Dur-Iggit-Lim vorgenommen wurde. Iggit-Lim war ein König der Dynastie von Chana im 14. Jahrh. v.Chr., der seinerseits dem Ort seinen Namen gegeben hatte. Wie der Ort vor dieser Namengebung hieß, ist unbekannt. Die Assyrer schliffen die repräsentativen Vorgängerbauten auf der Zitadelle und errichteten einen neuen Palast und einen Tempel. Ausgegraben wurde die Kanzlei des Palastes. Der Stadtgott von Dur-Katlimmu war der bis dato unbekannte Gott Salmanu. Da sein Name als Element im Königsnamen Salmanu-aschared erscheint, der von fünf assyrischen Königen angenommen worden ist (zwischen 1264 und 726 v.Chr.), kann der Stadt eine besondere Bedeutung im Verhältnis zum assyrischen Königshaus zugesprochen werden. Mit der östlich und südlich anliegenden Unterstadt dehnte sich das Stadtgebiet über eine Fläche von maximal 15 Hektar aus. Die erste Blütezeit der Stadt Dur-Katlimmu lag im 13. Jahrhunderts v.Chr.; über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren war sie die zweitwichtigste Stadt des mittelassyrischen Reiches, weil ihren Protagonisten die Verwaltung, Konsolidierung und Sicherung des neu eroberten West-Reiches im Gebiet der heutigen Djezire oblag. Im 10./9. Jahrh. v.Chr. erfolgte auf einer Fläche von 30 Hektar eine Stadterweiterung um die Unterstadt II. Da die Ruinen direkt unter der Oberfläche anstanden, galt das Forschungsinteresse der Untersuchung der urbanen Struktur und Funktion der im neuassyrischen Reich als Provinzzentrum und Garnisonsstandort fungierenden Stadt Dur-Katlimmu/Magdalu. Flächengrabungen auf etwa 22.000 qm wurden durch geomagnetische Aufnahmen ergänzt. Das Ergebnis zeigt, dass nicht – wie erwartet – die Bevölkerung in der Stadterweiterung angesiedelt war, sondern die Amtsträger und Eliten. Die Bevölkerung lebte offensichtlich in den extramuralen Vorstädten und in den umliegenden Dörfern. In der zweiten Blütezeit der Stadt im 8./7. Jahrh. v.Chr. belegen die Textfunde, dass die Stadt polyglott aufgestellt war. Fünf Sprachen liegen verschriftet vor: Assyrisch, Aramäisch, Babylonisch, Phönizisch und Proto-Arabisch. Vier weltweit einmalige Keilschrifttexte haben Licht in das Dunkel geworfen, das der spektakuläre Zusammenbruch der assyrischen Reichsregierung im Jahr 612 v.Chr. hervorgebracht hat. Ungleich der assyrischen Hauptstädte überstand die Stadt das Ende dieses ersten Weltreiches schadlos. Der neue Souverän, der babylonische König, beließ die lokalen assyrischen Eliten im Amt. Sie ermöglichten die Fortsetzung der Vollbesiedelung; erst gegen Ende des spätbabylonischen Reiches schrumpfte die Stadt. In der Zeit des achämenidischen Großreiches (6.-4. Jahrh.v.Chr.) war die Unterstadt II nur noch punktuell besiedelt. Die Hauptsiedlung dehnte sich über den Bereich der Zitadelle und der Unterstadt I aus. Ab der hellenistisch/frühparthischen Zeit (3./2. Jahrh. v.Chr.) diente die Unterstadt II als Bestattungsgrund. Etwa 800 Gräber wurden ausgegraben. Das Material bietet eine einmalige Vielfalt an Informationen. Parallel zu dem DFG-geförderten Langzeit-Ausgrabungsprojekt ist im Rahmen eines von der Freien Universität Berlin geförderten interdisziplinären Projektes Grundlagenforschung zur Rekonstruktion der Paläo-Umwelt des Spätholozäns im Flussabschnitt des Unteren Habur (Ost-Syrien) geleistet worden. Die aktuell erhobenen Daten zur Flora, Fauna, Geomorphologie, Sedimentologie, Pedologie etc. wurden mit den Paläodaten aus der Ausgrabung und aus Bohrungen verglichen um ein Bild von den Umweltbedingungen und natürlichen Ressourcen im 2. und 1. Jahrtausend v.Chr. zu bekommen. Die Veröffentlichungen der Ergebnisse der Ausgrabung erfolgen in der Serie „Berichte der Ausgrabung Tall Schech Hamad“ (BATSH). Bis 2020 sind 17 Bände erschienen.