Bei der Vermittlung von Ausstellungen sind biografische Angaben zu Künstler*innen nahezu obligatorisch. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass in Ausstellungskatalogen von Geburtsdaten, Lebensgeschichte und Referenzen zu lesen ist. Solche Angaben präsentieren sich in der Regel als wertneutrale Faktizitäten. Doch bereits die Auswahl von dem, was geschrieben und so sichtbar gemacht wird, sind subjektiv. So verrät die Reproduktion biografischer Angaben Mannigfaches über die Autor*innen und die als Herausgeber*innen fungierenden Institutionen. Augenscheinlich werden derartig ungeschriebene Gesetze besonders dann, wenn es um die Darstellung derer geht, die von der Norm abweichen und nicht die normativen ‚Kategorien‘ einer Gesellschaft bedienen. Der Einfluss von Kunstpublikationen ist dabei eminent. Als maßgebliches Repräsentationsmittel gravieren sich ihre Inhalte in die Kunstgeschichtsschreibung sowie Diskurse ein, auf ihren Seiten soll das Ephemere einer Ausstellung festgehalten werden. Im Unterschied dazu bleibt die Reflexion über Ausstellungskataloge in kunsttheoretischen Diskursen dagegen häufig aus. Mit der Analyse der documenta 14-Publikation Daybook wird in vorliegender Arbeit versucht, einen kleinen Teil dieser klaffenden Lücke zu füllen. Die documenta gilt als eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihen für zeitgenössische Kunst. Sie stellt ein Kulturereignis dar, das erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft und auf den Kanon beansprucht. Welche biografischen Informationen finden Interessierte zu Teilnehmer*innen der documenta 14, wenn sie sich nachträglich im Ausstellungskatalog informieren wollen? Im Daybook ist allen Künstler*innen jeweils eine Doppelseite gewidmet. Die übergeordnete Forschungsfrage für diese Arbeit lautet: ⧫ Mit welcher Häufigkeit werden verschiedene biografische Angaben zu Künstler*innen im Daybook sichtbar gemacht? Es ergeben sich konkret folgende Unterfragen, die in Wechselwirkung zueinanderstehen: ⬧ Was bleibt unsichtbar? ⬧ Finden auch Aspekte Erwähnung, die als marginalisiert11 anzusehen sind? Diesbezüglich werden age, race sowie queerness fokussiert. Um den genannten Fragen auf den Grund zu gehen und um zu untersuchen, wie facettenreich die 142 Texte im Daybook sind, werden sie in Close Readings inspiziert. Mithilfe eines umfassenden Kategoriensystems wird ausgewertet, wie es um die Quantität verschiedener biografischer Angaben steht. Es wird untersucht, ob die Aussagen im Kontext der Ausstellung oder davon losgelöst getätigt werden. Mit einem Fokus auf marginalisierte Aspekte in Biografien werden die Informationen im Daybook stichprobenartig mit öffentlich zugänglichem Material verglichen, beispielsweise mit den offiziellen Internetpräsenzen der Künstler*innen. So soll veranschaulicht werden, was im Daybook unsichtbar bleibt. Im Vorfeld sowie während der Ausstellung publizierte die documenta 14 die Zeitschriftenreihe South as a State of Mind, auf deren Seiten ebenfalls manche im Daybook vertretenen Künstler*innen präsentiert werden. Inhaltliche Schwerpunkte wie Kolonialismus, Sexualpolitik oder gesellschaftlicher und politischer Widerstand lassen vermuten, dass marginalisierte Themen artikuliert werden. Aus diesen Gründen sollen diese Magazine teilweise ergänzend in die Analyse miteinbezogen werden. Zuletzt wird ein Blick darauf geworfen, inwiefern für Rezipient*innen transparent ist, wer die Artikel im Daybook verfasst hat und wie multiperspektivisch die Publikation ist. Zur Ergänzung des Materials wurden zwei Expert*innen-Interviews mit einer der Herausgeber*innen sowie dem Bildredakteur der documenta 14-Publikationen geführt.