Die Geschichte der „Schocktherapien“ und Leukotomie in Deutschland war lange ein vernachlässigtes Kapitel der Psychiatriegeschichte. Vorurteile behinderten über Jahre hinweg eine detaillierte Aufarbeitung. Die in dieser Habilitationsschrift zusammengefassten Recherchen widerlegen die unter Historikern weit verbreitete These, die deutsche Psychiatrie während des Nationalsozialismus habe die in den 1930ern entwickelten somatischen sog. „heroischen“ Therapien Insulinkoma, Cardialzolkrampf, Elektrokrampftherapie und Leukotomie im internationalen Vergleich ausgesprochen schnell eingeführt und radikal eingesetzt, im Sinne einer vor nichts zurückschreckenden Anwendung mutmaßlich grausamer Therapiemethoden als letztem Schritt vor der „Euthanasie“. Während die Einführung der Elektrokrampftherapie im Deutschen Reich u.a. auch durch kriegsbedingte Hindernisse eher langsam und kaum flächendeckend erfolgte, wurde die Leukotomie erst in der Nachkriegszeit aufgegriffen. Der in die USA emigrierte Berliner Nervenarzt Lothar Kalinowsky unterstützte über Veröffentlichungen, Gastvorlesungen, Begleitung von wissenschaftlichen Reisen amerikanischer Psychiater, Neurologen und Neurochirurgen, die weitere Verbreitung und Anwendung der Elektrokrampftherapie und der Leukotomie. Da die tatsächliche psychiatrische Praxis häufig von der jeweils aus wissenschaftlichen Artikeln, Büchern, Kongressberichten etc. herauslesbaren Lehrmeinung abweicht, war für die hier dargestellte Untersuchung die quantitative und qualitative Auswertung von Krankenakten unverzichtbar. Der Erhalt der alten Krankenakten, idealerweise innerhalb der Kliniken selbst, wäre daher dringend wünschenswert.