Diese Arbeit untersucht die Lehre der „geistigen Wahrnehmung“ (GW), bzw. der „geistigen Sinne“, im spätantiken Christentum aus historischer und philosophischer Perspektive. Spätestens seit dem 3. Jh. n. Chr. wurde die GW-Theorie von christlichen Theologen und Asketen benutzt, um die Unmittelbarkeit der mystischen Erkenntnis Gottes zum Ausdruck zu bringen. Das Hauptanliegen der Untersuchung ist es zu zeigen, dass der αἴσθησις–Begriff, der diesen Theorien zugrundeliegt, eine erkenntnistheoretische Fundierung besitzt, die mit der aristotelischen (und platonischen) Wahrnehmungslehre kompatibel ist. Außerdem soll die Studie zeigen, dass bezüglich der GW-Lehre eine bemerkenswerte Kontinuität zwischen der griechischen und der ostsyrischen Askese zwischen dem 4. und dem 8. Jh. besteht. Die Arbeit besteht aus zwei Hauptteilen: Im ersten Teil werden zwei bedeutende griechische asketische Schrifsteller behandelt, die eine komplexe GW-Theorie entwickelt haben, Evagrios Pontikos und Pseudo-Makarios. Der zweite Teil behandelt die Frage der geistigen Wahrnehmung im syrischen Christentum, zuerst in der frühsyrischen Literatur, schließlich in der syro-orientalischen Mystik des 7. und 8. Jahrhunderts, insbesondere bei den Autoren Babai der Große, Isaak von Ninive und Josef Hazzaya.