Zusammenfassung:
Neue Erkenntnisse der Embryologie zur Entwicklung des Herzens . Eine Literaturstudie
Das Herz entsteht als erstes funktionales Organ im Vertebratenembryo. Die eminente Bedeutung für Human- und Veterinärmedizin in Verbindung mit sich stetig verbessernden labortechnischen Methoden haben die Erforschung der Genese dieses Organs im Verlauf des letzten Jahrhunderts massiv vorangetrieben. Gängige Lehrbücher der Veterinärmedizin berücksichtigen zeitgemäße wissenschaftliche Fakten zur Kardiogenese jedoch kaum und verbreiten überholte Paradigmen sowie didaktisch ungeeignetes, gar irreführendes Bildmaterial. Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Schwachstellen überlieferter Anschauungen und bietet ein schlüssiges, auf aktuellem Stand der Wissenschaft beruhendes Gesamtkonzept der Kardio-genese, das die Morphogenese im Zusammenhang mit den beteiligten molekularen Regula-tionsmechanismen erfasst.
Dazu wurde nach der Recherche in elektronischen Datenbanken, Katalogen und Portalen englisch- und deutschsprachige Fachliteratur zu diesem Sachgebiet ausgewertet. Die gesammelten Daten wurden anschließend unter Einbeziehung zahlreicher Abbildungen in einem fortlaufenden Text teils chronologisch, teils systematisch dargestellt.
Nach der Ankunft der aus dem posterioren Epiblasten stammenden kardiovaskulären Vorläuferzellen im Primitivstreifen erfolgt durch die Aktivierung des Transkriptionsfaktors Mesp1 die Festlegung auf ein kardiogenes Schicksal sowie die Restriktion ihrer Entwicklungspotenz. Im Zuge der Gastrulation siedeln sie sich im Seitenplattenmesoderm als kardiogenes Mesoderm an. Die BMP2-induzierte Expression des Transkriptionsfaktors und „Master-Regulators“ der Kardiogenese, Nkx2.5, determiniert die kardiogenen Vorläuferzellen endgültig und leitet die Differenzierung ein. Nach der Rotation des kardiogenen Mesoderms fusioniert es in der ventralen Mittellinie zum geraden Herzschlauch, der lediglich die Vorläuferzellen des linken Ventrikels enthält. Das weitere Wachstum erfolgt durch die Akquirierung von Vorläuferzellen aus einem Zellpool, der sich vom kranialen zum kaudalen Herzpol über die Dorsalwand der Perikardhöhle erstreckt, dem sogenannten Zweiten Herzfeld. Die Vorläuferzellen des primitiven Herz-schlauchs werden demgegenüber als Erstes Herzfeld bezeichnet. Der bereits vor der Gastrulation am Primitivknoten initiierte Bruch mit der bilateralen Symmetrie des Embryos vollzieht sich auf genetischer Ebene über eine Kaskade, an deren Ende die linksseitige Pitx2C-Expression steht. Dieser Transkriptionsfaktor ist ein entscheidender Regulator der asymmetrischen Morphogenese des Herzens. Während seiner Elongation rotiert der Herzschlauch in der engen Perikardhöhle entgegen dem Uhrzeigersinn. An der äußeren Kurvatur des durch fortgesetztes Wachstum S-förmigen Herzschlauchs wölben sich durch massive Proliferation die atrialen und ventrikulären Regionen hervor. Weitere Konformationsänderungen bringen schließlich die Herzkompar-timente in ihre definitiven topographischen Beziehungen zueinander. Die an diesem Prozess beteiligten intrinsischen und extrinsischen Kräfte sind äußerst vielfältig und ihre Verknüpfung miteinander noch unzureichend verstanden. Das Epikard, die äußere Umhüllung des Herzens, bildet sich während des Loopings aus einer Proliferationszone der kaudalen Wand der Perikardhöhle, die ihren Ursprung im kardiogenen Mesoderm hat. Diese durch frühzeitigen Verlust der Nkx2.5-Expression und Expression der Transkriptionsfaktoren Tbx18 und WT1 genotypisch einzigartige kardiogene Progenitorpopu-lation versorgt auch den Sinus venosus mit Vorläuferzellen. Am Ende des Loopings beginnen die eng miteinander verwobenen Vorgänge der Septierung von Vor- und Hauptkammern, des Atrioventrikularkanals sowie des Ausflusstrakts und der Herzklappenbildung. Die Vorläuferzellen des Septum interatriale rekrutieren sich via dorsalem Mesokard aus dem Zweiten Herzfeld. Das Septum interventriculare entsteht eher passiv durch die Aneinanderlagerung der fortwährend apikal expandierenden Wände von linkem und rechtem Ventrikel am Sulcus interventricularis. Seine Position wird durch die Grenze zwischen den Expressionsdomänen der Transkriptionsfaktoren Tbx5 und Tbx20 , der den linken resp. den rechten Ventrikel spezifiziert, festgelegt. Mit dem Einsetzen der Septierungvorgänge in Atrien und Ventrikeln entstehen an den Wänden des Atrioventrikularkanals dorsal und ventral sich gegenüberliegend zwei Endokard-kissen. Nach ihrer Fusion zum Septum atrioventriculare bilden rechts- und linksventrikuläre Auswüchse entlang des muskulären Ventrikelseptums die Grundlage für die septalen Klap-penblätter der Atrioventrikularklappen. Die wandständigen Klappenblätter entstehen etwas später aus neu gebildeten Endokardkissen im Atrioventrikularkanal. Durch Reorganisation und Kondensation von Zellen der Endokardkissen und des darunterliegenden Myokards sowie des extrazellulären Materials entstehen die reifen Klappenblätter und deren Halteapparat. Die Semilunarklappen entstehen im Ausflusstrakt analog zu den Atrioventrikularklappen ebenfalls aus zwei Paaren von Endokardkissen, von denen das zuerst erscheinende Endokard-kissenpaar auch an der Separierung der Ausflussbahn in Aorta und Truncus pulmonalis beteiligt ist. Aus der Neuralleiste einwandernde Zellen, sog. cardiac neural crest cells, sind unerlässlich sowohl für die Septierung des Ausflusstrakts als auch für die Remodellierung der Semilunarklappen. Der sich von der Ventrikelbasis bis zur perikardialen Grenze erstreckende embryonale Ausflusstrakt ist hoch dynamisch und versteht sich eher als eine Art Transitzone für Progeni-torzellen von Myokard, glatten Muskelzellen sowie kardialen Neuralleistenzellen. Während seine myokardialen Wände zunehmend in den rechten Ventrikel inkorporiert werden und die spiraligen Ausflusstraktkissen sowie die Aortensackprotrusion miteinander fusionieren, mi-grieren Vorläuferzellen für glatte Muskulatur aus dem Sekundären Herzfeld sowie Neural-leistenzellen ein und bilden die definitiven Gefäßwände für die nachfolgend getrennten Gefäßstämme von Aorta und Truncus pulmonalis. Die definitive Form der sich umeinander windenden Arterienstämme resultiert aus einem Zusammenspiel von Rotation des Ausfluss-trakts, asymmetrischer Zellproliferation im Zweiten Herzfeld und Apoptose, was u.a. durch die Wachstumsfaktoren BMP4 und FGF8 sowie die Transkriptionsfaktoren Tbx1 und Pitx2C gesteuert wird. Auch der Einflusstrakt des Herzens ist starken Remodellierungsvorgängen unterworfen. Venae vitellinae, die initial die Hauptzuflüsse zum Herzen sind, und Venae umbilicales unterliegen tierartspezifischen Regressions- bzw. Remodellierungsvorgängen, während die Venae cardinales communes die dominanten Zuflüsse zum Herzen werden. Die myokardiale Umhüllung des Sinus venosus, einer transienten embryonalen Struktur generiert sich, wie auch das Epikard, aus dem Epithel der kaudalen Perikardhöhle mit Tbx18- und WT1-Signatur. Unter Verlängerung der linken V. cardinalis communis und Inkorporation des rechten Sinushorns verlagern sich die Eintrittsorte der venösen systemischen Zuflüsse schließlich nach rechts. Die Vena pulmonalis entsteht als endothelialer „Strang“ de novo im dorsalen Mesokard aus Isl-1- und Nkx2.5-positiven kardiogenen Progenitoren des Zweiten Herzfelds. Ihre originär bilaterale Einmündung in den Einflusstrakt wird im Zuge der Rechtsverlagerung des Sinus venosus in den linken Vorhof transponiert. Die myokardiale Hülle der Vena pulmonalis generiert sich aus nicht-atrialen mesenchymalen Zellen am Übergang zum Atrium, die proliferierend schließlich den gesamten endothelialen „Strang“ umwachsen.
Die starke Expansion von Kompaktmyokard in den apikalen Regionen auf Kosten des ursprünglichen trabekulären Myokards der Ventrikel und Atrien erfordert die Etablierung eines intrinsischen vaskulären Systems. Die Vorläuferzellen dieses Koronargefäßsystems entspringen der Proepikardialen Serosa, dem Sinus-venosus-Endothel und dem Endokard. Nach der Migration proepikardialer Zellen zur Herzoberfläche und Etablierung der Epikardschicht bilden sich in Folge eines intensiven Signalaustauschs zwischen Epi- und Myokard alsbald zunächst subepikardiale, später intra-myokardiale primitive Gefäßgeflechte aus endothelialen Vorläuferzellen. Etwas verzögert werden in mesenchymale Zellen transformierte Epikardzellen akquiriert zum Aufbau von Tunica media und adventitia der Koronargefäße. Die Fähigkeit aller Kardiomyozyten des primitiven Herzschlauchs, spontan Aktionspotentiale zu erzeugen und diese weiterzuleiten, gründet auf der spezifischen Ausstattung der Zellen mit Ionenkanälen und Gap junctions. Mit der Entstehung des Arbeitsmyokards an der äußeren Kurvatur beschränkt sich diese Eigenschaft zunehmend auf die Regionen der inneren Kurvatur und des ursprünglichen trabekulären Myokards. Endokardial produzierte Signalmoleküle sind an der Induktion der Expression Schrittmacher-typischer Gene beteiligt. Der Sinusknoten als dominanter Schrittmacher mit der höchsten Exzitationsrate entwickelt sich aus einer Subdomäne im rechten Teil des Sinus venosus. Die Schrittmacheraktivität beruht auf einem Zusammenspiel zwischen der „internen Kalziumuhr“ und plasmalemmalen Ionenkanälen. Der aus dem Myokard des Atrioventrikularkanals entstehende Atrioven-trikularknoten verzögert die Impulspropagation von den Atrien zu den Ventrikeln. Im Gegensatz dazu weisen die ventrikulären Komponenten des Reizleitungssystems, Atrio-ventrikularbündel, Bündelverzweigungen und Purkinjefasern, die aus dem ursprünglichen, trabekulären Myokard der Ventrikel hervorgehen, eine hohe Leitungsgeschwindigkeit auf.
In dieser Arbeit wurden die neuesten Erkenntnisse zur Kardiogenese bei Vögeln und Säugetieren zusammengetragen. Neben der kritischen Auseinandersetzung mit überholten Konzepten und unzeitgemäßer Nomenklatur, die auch in gegenwärtiger Literatur noch präsent sind, liegt der Schwerpunkt auf der Verknüpfung molekularer Regulationsmechanismen mit spezifischen morphogenetischen Ereignissen. So wird ein wissenschaftlich fundiertes und gleichzeitig übersichtliches und nachvollziehbares Abbild dieser Vorgänge dargelegt. Darü-berhinaus werden Ansatzpunkte für weitere Forschungsaktivitäten aufgezeigt.
6. Summary
Novel insights into cardiogenesis - a literature-based study
The heart is the first functional organ being established in the vertebrate embryo. An enormous significance in the human and veterinary medicine sector in concert with a running improvement of laboratory methods have driven forward intense research in the field of cardiogenesis during the last century. Current textbooks of veterinary embryology fail to integrate novel findings and tend to adhere to outdated paradigms and unsuitable illustrations. The present work sheds light on the deficits of traditional opinions and constitutes in an understandable manner a contemporary concept of cardiogenesis. Search for literature was carried out in electronic databases and catalogues, the collected data were evaluated and sorted out. Relevant information was then summarized partly chrono-logically, partly systematically in a text.
After migration of cardiovascular precursors from the posterior epiblast to the primitive streak lineage restriction occurs via activation of transcription factor MesP1. Throughout gastrulation they are located bilaterally in the lateral plate mesoderm as the so-called cardiogenic mesoderm. BMP2-induced expression of transcription factor and “master regu-lator” of cardiogenesis Nkx2.5 leads to determination and differentiation of cardiogenic progenitors. After rotation and fusion of the bilateral heart primordia in the ventral midline of the embryo the primitive straight heart tube consists of less more than the precursors of the left ventricle. Growth continues mainly via addition of cells from a second precursor pool, named Second Heart Field, extending from the arterial to the venous heart pole along the dorsal pericardial cavity. In contrast, progenitors of the initial heart tube belong to the First Heart Field.
Being initiated at the primitive streak stage, the break of bilateral symmetry in the embryo starts at the primitive node and is transferred to developing organs by a genetic cascade leading to left-sided Pitx2C-expression, a main regulator of asymmetric morphogenesis.
Due to limited space in the pericardial cavity during elongation the cardiac tube starts rotating counterclockwise. At the outer curvature of the late S-shaped heart tube atrial and ventricular chambers start to balloon out. Additional configurational changes bring about the definitive topographical relationship of the cardiac compartments to each other. The intrinsic and extrin-sic forces involved in this process are complex and insufficiently understood yet.
The outermost layer of the heart, the epicardium, is generated during looping from a highly proliferative area in the caudal coelomic wall. This so-called proepicardial organ derived from the cardiogenic mesoderm also provides the myocardial precursors of the sinus venosus. It is distinguished from the remainder of the cardiogenic mesoderm by early loss of Nkx2.5-expression and is uniquely marked by transcription factors Tbx18 and WT1.
At the end of looping the closely intertwined processes of septation of the cardiac compart-ments and valvular development begin. The progenitors of the atrial septum are recruited via dorsal mesocardium from the Second Heart Field. By apposition of the facing walls of the centrifugally expanding ventricles the interventricular septum is generated in a passive manner. The border between the expression domains of transcription factors Tbx5 and Tbx20, specifying the left resp. the right ventricle, determines its position. As septation is initiated endocardial cushions develop at opposing walls dorsally and ventrally in the atrioventricular channel. After fusion their outgrowths on each side of the muscular septum interventriculare gives rise to the septal leaflets of the atrioventricular valves. The mural leaflets form from another set of endocardial cushions in the atrioventricular channel. The semilunar valves develop analogically to their atrioventricular pendants from two pairs of endocardial cushions and in functional association with the separation of the outflow tract in aorta and pulmonary trunc. Both events depend on the regulatory and physical contribution of an extracardiac progenitor population, the cardiac neural crest cells. The embryonic outflow tract extending from the base of the ventricles to the border of the pericardial cavity is a highly dynamic transitional zone for progenitors of cardiomyocytes, smooth muscle cells and cardiac neural crest cells. Its initially myocardial wall becomes progressively incorporated into the right ventricle and separation occurs by fusion of the spiralling endocardial cushions and the protrusion from the aortic sac. Smooth muscle cell progenitors from the Second Heart Field and from the neural crest immigrate in order to build up the definitive smooth muscle walls of the newly formed intrapericardial truncs of aorta and pulmonary artery. At the inflow tract the vitelline veins, initially the dominant systemic tributaries, emerging umbilical veins and cardinal veins undergo intense species-specific remodeling resulting in the common cardinal veins becoming the major inflow route. Only after ensheathing of the intrapericardial parts of the common cardinal veins with myocardium expressing Tbx18 and WT1 from the caudal coelomic wall, this region is named sinus venosus. Elongation of the left common cardinal vein coinciding with incorporation of the right sinus horn into the right atrium leads to the final transposition of the systemic tributaries to the right side. The pulmonary vein arises as endothelial strand de novo within the dorsal mesocardium from Isl1- and Nkx2.5-positive Second Heart Field precursors. It enters originally bilateral the inflow, but during rightward shift of the sinus venosus is transposed to the left atrium. At the transition to the left atrium the myocardial sleeve of the pulmonary vein is generated by mesenchymal non-atrial cells, which spread distally over the endothelium.
In order to nourish the massively expanding compact myocardium in the apical regions of atria and ventricles an intrinsic circulation, the coronary vascular system, needs to be developed. The coronary precursor cells are supplied by the proepicardial organ, sinus venosus endothelium and endocardium. Following migration to the heart and establishment of the epicardium, subepicardial, later intramyocardial vascular plexus` are created due to reciprocal signaling between epi- and myocardium, that involves growth factors FGF2/9, VEGFA, Ang1/2. Slightly delayed the Tunica media and Tunica adventitia of the immature vessels are assembled by the acquisition of mesenchymal cells of epicardial origin.
The capability of all primitive cardiomyocytes to generate and conduct electrical impulses is based on specific ion channels and gap junctions in these cells. Being lost in the developing compact myocardium at the outer curvature the restriction of this property to the inner curvature myocardium establishes a scaffold for the development of the cardiac conduction system. The sinus node owing the highest excitation rate develops as dominant pacemaker on the right of the sinus venosus. Pacemaking results from a complex interplay between plasma-lemmal ion channels and the internal “calcium clock”, a calcium release and reuptake mecha-nism. Arising from the atrioventricular channel`s “primary” myocardium the atrioventricular node delays the impulse propagation from atria to ventricles. The ventricular components of the conduction system, which develop from the trabecular myocardium, in contrast, display high conduction velocities for efficient and fast activation of the ventricular myocardium.
This literature work was carried out to summarize the recent advances in cardiogenesis research on birds and mammals. Besides the critical consideration of obsolete concepts and inappropriate or outdated nomenclature, the main focus lies on the disclosure of morphogenetic events in association with the underlying molecular regulatory mechanisms. Providing a profound understanding of the theme for students and scientists, it may serve as an initiation point for further studies.