Kurzfassung / Abstract
1. Kulturtechniken verhandeln die Grundbedingungen menschlichen Daseins unter den Prämissen von Kultur, Medien und Technik. Sie erlauben es, die vier kantischen Fragen zu ergänzen: Was oder wer gestattet mir, dass ich etwas weiß? Wenn ich etwas tue, was tue ich dann und womit? Welches Verständigungsinstrument steht uns für das Wissen und das Tun überhaupt zur Verfügung? Warum muss ich wissen: Was ist der Mensch? Der Gebrauch von Bildern, Schriften, Zahlen, Riten und Sitten gehört ebenso zu Kulturtechniken wie Verdauungsfragen, Partnerbeziehungsarbeit, Staudamminstandhaltung oder Raketenstarts. Kulturtechniken operieren an der Schnittstelle von diskursiven Verfahren, Handlungstheorien, medialer Materialität und Wissenspoetologie. 2. Besonders geeignet für eine kulturtechniktheoretische Herangehensweise ist das Werk Alexander Kluges, weil es nicht nur von kulturtechniktypischen Motiven durchsetzt ist, sondern diese auch in breiter Form zur Anwendung bringt. Denkende Därme, subjektiv-objektive Verhältnisse, Tote, die zu den Lebenden reden, der Kinofilm an der Wand und der Film in mir – Kluge arbeitet auf breiter Ebene mit Kulturtechniken. Für deren Artikulation bietet er ein breites Arsenal an Medienformaten an, in denen sich Kulturtechniken sowohl repräsentiert sehen als auch an ihrer eigenen Konstitution mitwirken. Kennzeichnend für Kluges Schaffen ist eine kontinuierliche theoretische Reflexion der Bedingungen des eigenen Werks hinsichtlich seiner Inhalte sowie eine poetische Ausformulierung in konkreten Medien wie Filmen, literarische Texten, Fernseharbeiten, digitalen Kanälen, Hörspielen und Ausstellungen. 3. Kluges Interesse gilt dabei den verschiedenen Erscheinungsweisen von Kollektiven. Um die Katastrophen der menschlichen Geschichte für die Zukunft zu vermeiden, arbeitet er mit seinen Werken permanent an einer "Umproduktion von Öffentlichkeit", in dessen Mittelpunkt die menschliche Erfahrung steht. Zivilisationen, Städte, Türme und Gärten werden ebenso wie Wasserphänomene und die schöpferische Kraft der Arbeit danach befragt, in welchen Konstellationen sie einen Erkenntnisgewinn für das Gemeinwesen zur Verfügung stellen. Sie fordern dafür den Rezipienten heraus, sich an dem ästhetischen Gelingen des Werks aktiv zu beteiligen. Emanzipation ist für Kluge ein Schlüsselbegriff, den er durch ein Weiterspinnen der aufklärerischen Ideale zu realisieren versucht. 4. Die Kritische Theorie hatte bislang einen maßgeblichen Einfluss auf die Rezeption Alexander Kluges. Ihre richtigen Prämissen können durch eine Lektüre per Kulturtechniken nicht nur ergänzt, sondern auch produktiv erweitert werden. Mit dem Begriff der Gesamtarbeit als Träger kollektiver kulturtechnischer Leistungen kann vor dem Hintergrund der Poetik Kluges eine Aufklärung der Aufklärung, wie sie die Kritische Theorie verfolgt, reformuliert werden.
Abstract
1. Cultural techniques negotiate the basic conditions of human existence under the premises of culture, media and techniques. They make it possible to amend the four Kantian questions thus: what or who allows me to know something? If I do something, what am I actually doing and with what? Which instrument of understanding is available to us for knowledge and action? Why do I have to know: what is the human? The use of images, words, numbers, rites and customs is just as much a part of cultural techniques as digestion issues, partner relationship work, dam maintenance or rocket launches. Cultural techniques operate at the interface of discursive methods, action theories, media materiality and poetology of knowledge. 2. The work of Alexander Kluge is particularly suitable for a theoretical approach to cultural techniques, because it is not only permeated with motifs that are typical of cultural techniques, but also applies them at a high level. Thinking intestines, subjective-objective conditions, dead people talking to the living, the movie on the wall and the film within me - Kluge works with cultural techniques on a large scale. For their articulation, he offers a broad arsenal of media formats in which cultural techniques are both represented and involved in their own constitution. Characteristic of Kluge’s work is a continuous theoretical reflection of the conditions of his own work with regard to its contents as well as a poetic formulation in concrete media such as films, literary texts, television works, digital channels, radio plays and exhibitions. 3. Kluge is interested in the various manifestations of collectives. In order to avoid the catastrophes of human history for the future, he constantly engages, in his artistic productions, on a "remaking of the public sphere" which focuses on human experience. Civilizations, cities, towers and gardens as well as water phenomena and the creative power of work are questioned about the constellations they offer for the community to gain knowledge. They call for the recipient to participate actively in the aesthetic success of the work. Emancipation is a key concept for Kluge, which he tries to implement by developing Enlightenment ideals. 4. Critical Theory has had a significant influence on the reception of Alexander Kluge. Its premises regarding appropriateness can be supplemented and expanded productively using the notion of cultural techniques. Against the background of the Poetics of Kluge, the concept of the gesamtarbeit as the bearer of collective cultural achievements can be expressed as an enlightenment of the Enlightenment as described in Critical Theory.