Organisationen im Hightech-Bereich sind heutzutage zunehmend davon abhängig, stetig neue Produkte, Dienstleistungen und Forschungsbeiträge zu entwickeln, um in einem schnelllebigen Wettbewerb bestehen zu können. Die Entwicklung von Innovationen scheint dabei immer weniger in einzelnen Organisationen zu geschehen, sondern zunehmend über organisationale Grenzen und Disziplinen hinweg. Es ist somit eine steigende Zahl an sogenannten Forschungskonsortien und Innovationsnetzwerken zu beobachten, die alle das Ziel haben, Innovationen zu generieren. Doch was passiert an den Grenzen zwischen mehreren Organisationen, wenn diese das Ziel verfolgen gemeinsam zu innovieren? Bis dato beschäftigt sich insbesondere die soziale Netzwerkforschung mit Innovationsnetzwerken und tätigt dabei Aussagen zur optimalen Ausgestaltung dieser Zusammenschlüsse. Aufgrund des starken Fokus auf die Makrostrukturen bestehen jedoch wenige Erkenntnisse darüber, wie Organisationen in diesen grenzüberschreitenden Szenarien handeln und wie „Dinge” in inter-organisationalen Netzwerken funktionieren („how things work“). Wie in der neueren qualitativen Netzwerkforschung angedacht, liegt eine Möglichkeit dieses empirische Phänomen im Detail zu betrachten im Heranziehen einer Praxisperspektive. Dabei wird der Fokus auf Akteure und deren Praktiken und somit auf ihre Rolle in der Ausgestaltung „größerer“ Phänomene gelegt. Aufbauend auf einer Praxisperspektive legt die vorliegende Arbeit den Fokus auf organisationale Routinen, welche als organisationale Grundbausteine angesehen werden. Verortet in der modernen Routinenforschung ist diese Arbeit insbesondere durch die bisher noch nicht tief greifend untersuchte Frage motiviert, wie Akteure von Organisationen grenzübergreifend handeln und welche Rolle inter-organisationale Routinen hierbei spielen. Die vorliegende Arbeit fragt konkret danach, wie inter-organisationale Routinen Verbindungen schaffen und wie diese miteinander verbunden sind: wie entstehen sie, verändern sich oder bleiben stabil, und welche Rolle spielen sie in der gemeinsamen Zusammenarbeit und der Innovationsfähigkeit von Innovationsnetzwerken? Um diese Fragen beantworten zu können, beginnt die Arbeit an den Ursprüngen der Routinenforschung und erarbeitet eine Abgrenzung der ‚Praxisperspektive‘ (routine dynamics) von der ‚Fähigkeitsperspektive‘, durch die Routinen ursprünglich betrachtet wurden. Die Arbeit kommt ebenfalls Forderungen nach, grundlegende Gemeinsamkeiten und Unterschiede der bisherigen Forschung innerhalb dieser beiden Perspektiven herauszuarbeiten. Der engere Fokus der Arbeit liegt jedoch auf der Routinenforschung aus einer Praxisperspektive, deren aktueller Forschungsstand dargestellt wird. Dabei wird eine relationale Betrachtungsweise von organisationalen Routinen als auch von organisationalen Grenzen erarbeitet. Aufbauend auf dieser theoretischen und konzeptionellen Basis wurde eine interpretative, longitudinale Einzelfallstudie durchgeführt. Der ausgewählte Fall ist ein Konsortialprojekt zur Erforschung der Wirkung von UV-LEDs auf Sekundärmetabolite in Pflanzen. Dieses Projekt wird von drei kooperierenden Organisationen durchgeführt, welche Teil des Konsortiums „Advanced UV for Life“ sind, das sich auf Basis des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aufgelegten Programms „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“ im Jahr 2013 formiert hatte. Der ausgewählte Fall wurde über viereinhalb Jahre begleitet. Dabei wurden Daten durch teilnehmende Beobachtungen, fokussierte Ethnografien, Interviews und Dokumente erhoben. Die Ergebnisse werden in Form der gefundenen Routinen in dieser Arbeit vorgestellt, zusammengefasst und anschließend diskutiert. Die Resultate leisten dadurch einen wichtigen Beitrag zur dynamischen Routinenforschung sowie einen peripheren Beitrag zur Forschung inter-organisationaler Netzwerke. Ausgehend von der empirischen Untersuchung zeigt diese Arbeit erstmals, dass es zwei verschiedene Arten von inter-organisationalen Routinen gibt, welche als kollektive und reziproke Routinen charakterisiert werden. Ihre Rolle in Innovationsnetzwerken wird im Detail untersucht. Es wird gezeigt, dass sich kollektive Routinen insbesondere durch einen formalen Ort und Zeitrahmen auszeichnen, innerhalb derer die Akteure gemeinsam handeln. In den reziproken Routinen hingegen werden Artefakte über organisationale Grenzen hinweg ausgetauscht, sodass diese nicht nur zwischen Routinen wandern, sondern auch die Handlungsmuster verschiedener Routinen miteinander verbinden und diese Handlungsmuster verändern können. Aufbauend auf den zwei gefunden Arten von inter-organisationalen Routinen zeigt diese Arbeit auch, wie sie mit den intra-organisationalen Routinen verbunden sind und in einem Routinen-Netzwerk miteinander in Beziehung stehen. Es sind die Handlungsmuster, welche die Routinen in sich und miteinander verbinden, wodurch die Organisationen gemeinsam handeln und potentiell innovieren können. Somit erweitert die vorliegende Arbeit bisherige Erkenntnisse zu Routinen-Netzwerken innerhalb einzelner Organisationen, indem sie herausarbeitet, wie Routinen grenzübergreifend in einem Netzwerk mehrerer Organisationen verbunden sind. Weiterhin geht die Arbeit auf die endogenen Dynamiken von Routinen ein, zeigt den Lebenslauf von inter-organisationalen Routinen auf und setzt diesen in Verbindung zu dem Lebenszyklus der jeweiligen Zusammenarbeit. Es sind die Akteure der einzelnen Organisationen, die durch ihre Handlungen Ziele verfolgen und durch inter-organisationalen Routinen grenzüberschreitende Handlungsmuster entwickeln und ausführen. Somit wird bestehende Forschung bestätigt, die besagt, dass neue Routinen nicht nur aus bestehenden hervorgehen, sondern sich auch durch die wiederholenden Handlungen der Akteure über die Zeit ergeben können. Es sind die Akteure, die durch ihre Handlungen dafür sorgen, dass sich intra-organisationale als auch inter-organisationale Routinen über die Zeit stabilisieren und verändern. Des Weiteren zeigt diese Arbeit, dass sich Routinen durch einen Wechsel von Akteuren nicht unbedingt verändern; auch dann nicht, wenn sie von anderen Akteuren ins Leben gerufen wurden. Dies mag auf politische Gründe, wie Machtverhältnisse und finanzielle Zwänge, zurückzuführen sein. Somit erweitert die Arbeit bisherige Erkenntnisse der Routinenforschung, welche proklamieren, dass Routinen sich immer ändern, wenn sie von anderen Akteuren ausgeführt werden. Über die Erkenntnisse zu inter-organisationalen Routinen hinaus, führt diese Arbeit den Begriff der organisationalen Grenzen in die dynamische Routinenforschung ein und argumentiert für eine relationale Betrachtungsweise von Routinen sowie von Grenzen und deren Ausführung. Gemäß dieser Sichtweise können Grenzen sowohl als Barrieren als auch als Verbindungen verstanden werden. Über die Zeit betrachtet entstehen Verbindungen durch Momente des Verbindens und Barrieren durch Momente des Trennens. Es wird erklärt, wie Grenzen und Routinen sich gemeinsam während der inter-organisationalen Zusammenarbeit ausgestalten. Momente des Verbindens und des Trennens spielen insbesondere in Fällen eine Rolle, in denen eine einseitige Abhängigkeit vorliegt. Wenn eine gegenseitige Abhängigkeit besteht, spielen vor allem Momente des Verbindens eine Rolle. Momente des Verbindens und des Trennens offenbaren organisationalen Grenzen. Im Falle eines Moments des Verbindens entstehen Verbindungen durch eine gemeinsame Lösung oder gemeinsame Handlungen. In Momenten des Trennens bestehen Barrieren, da es entweder keine Lösung oder nur eine Lösung gibt, die jedoch nur für eine Seite einen plausiblen Lösungsweg darstellt, während sie für die andere Seite zumindest mit Schwierigkeiten behaftet ist. Beide Momente gehen mit Unterschieden in den Disziplinen und Sprachen genauso wie mit Differenzen in der Prioritätensetzung, mit der Angst vor Wissensabfluss, Zeitverzug, Abhängigkeiten, sowie der Manifestierung von Eigenständigkeit einher. Diesbezüglich wird die Rolle von Artefakten betont, welche mit dem Lebenszyklus der Routinen, der Zusammenarbeit und der Ausgestaltung der Grenzen eng verbunden sind. Momente des Trennens führen dazu, dass sich Organisationen mit der Zeit zurückziehen. Immer dann, wenn in einer reziproken Routine in Bezug auf ein Artefakt eine Kontrolle ausgeübt wird, können Erkenntnisse über die Handlungen der jeweils anderen Organisation deutlich werden. Die Kontrolle von Artefakten erlaubt es einer Organisation die Handlungen der anderen Organisationen nachzuvollziehen. Bei einer Diskrepanz wird die Zusammenarbeit negativ beeinflusst. Insbesondere in Beziehungen mit einseitiger Abhängigkeit können sich bereits etablierte Handlungsmuster wieder auflösen. Wenn sich die gemeinsamen Handlungsmuster und inter-organisationale Routinen auflösen, bleiben Organisationen bestehen, zwischen denen sich organisationale Grenzen wieder auftun. Über die Zeit betrachtet führen also Momente des Verbindens zu Verbindungen, die es ermöglichen, dass sich inter-organisationale Routinen formen und eine Zusammenarbeit ermöglicht wird, welche tendenziell auch bestehen bleibt. Momente des Trennens hingegen führen zu Barrieren und zum Auflösen inter-organisationaler Routinen sowie einer Zusammenarbeit. Diese Einsichten erweitern gängige Erkenntnisse zu organisationalen Grenzen und inter-organisationalen Routinen. Schließlich zeigt diese Arbeit, dass eine Innovation nur entstehen kann, wenn reziproke Routinen existieren und über die Zeit bestehen. Reziproke Routinen erlauben die Fortbewegung von Artefakten, die für die Entstehung der Zusammenarbeit und für die Erreichung der gesetzten Ziele notwendig sind. Sie werden durch die Handlung einer Organisation definiert und geben die Möglichkeiten für Handlungen in einer Organisation vor. Ausgehend von einer hohen Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten müssen alle Handlungsmuster zueinander passen, damit etwas Neues entstehen kann. Die Rolle von inter-organisationalen Routinen ist dabei nicht zu unterschätzen. Wenn ein Artefakt in einer Organisation erstellt und in eine andere übergeben wird, so besteht eine einseitige Abhängigkeit und das Artefakt der ersten Organisation beeinflusst die Innovationsfähigkeit der zweiten Organisation. Bei gegenseitiger Abhängigkeit werden Artefakte im gemeinsamen Zusammenspiel entwickelt, sodass auch entsprechende Lernprozesse eher ermöglicht werden. Diese Erkenntnisse verbessern das Verständnis der Rolle von Routinen hinsichtlich der Innovationsfähigkeit von Organisationen innerhalb der Routinenforschung.
To remain competitive in today’s fast-moving environment, high-tech organizations increasingly rely on the continuous development of new products, services as well as new research outputs. Thereby, innovation appears to happen much less in individual organizations, but increasingly across organizational boundaries and disciplines. Consequently, we observe a rise in the number of research consortia and innovation networks with the overall goal to generate innovative outcomes. But what happens at the boundaries between several organizations, if they aim to innovate together? So far, most research studying innovation networks is rooted in social network analysis and mainly focuses on the optimal design of these networks. However, due to the strong macro-level focus, there is little information on how organizations act in these cross-boundary settings and, hence, how “things” work in inter-organizational networks. As argued in more recent, qualitatively-driven network research, a suitable approach to observe this empirical phenomenon in greater detail is to take a practice perspective in order to focus on actors and their practices and, thus, their role in the forming of “larger” phenomena. Taking a practice lens, this study focuses on organizational routines, which are considered the main building blocks of organizations. Rooted in routine dynamics research, this study is motivated by the question of how actors collaborate across organizational boundaries and what role inter-organizational routines play herein. This study sets out to elucidate how inter-organizational routines establish connections and how they are interconnected: how do they emerge, change or remain stable and, what role do they play in an innovation network’s collaboration efforts and its innovativeness? To answer these questions, this study reviews existing research focusing on organizational routines and delineates the ‘practice perspective’ (routine dynamics) from the ‘capability perspective’, through which routines were originally approached. While the work at hand provides insights on similarities and differences between these two perspectives, its main focus lies in a practice perspective. Accordingly, this study inscribes itself in a relational view of organizational routines as well as organizational boundaries. Based on this theoretical and conceptual basis, an interpretative, longitudinal single case study was conducted. The selected case is a consortium project that studies the impact of UV-LEDs on plants’ secondary metabolite. It involves three organizations, which are all part of the consortium “Advanced UV for Life”, which was formed in 2013 on the basis of the program “Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation” launched by the Federal Ministry of Education and Research (BMBF) in Germany. The chosen case has been followed for four and a half years. During this time different data was collected through participatory observations, focused ethnographies, interviews, and documents. The identified and analyzed routines build the basis of the findings presented and discussed in this study. The results make important contributions to routine dynamics research and peripheral contributions to current research on inter-organizational networks. Based on the empirical investigation, the study identifies two different types of inter-organizational routines, which can be characterizes as collective and reciprocal routines, and examines their role in innovation networks. It is shown that collective routines are characterizes by a formal place and time frame within which the different actors act together. The reciprocal routines, on the other hand, are characterized by artifacts that move across organizational boundaries. Thereby, they do not only move between routines, but they also connect action patterns of different routines and change potentially even change those patterns. Based on the two types of inter-organizational routines, this study shows how they are linked to intra-organizational routines and thereby form a larger network of routines. It is the action patterns that form the routine and connect them within and across organizations, allowing them to act and potentially innovate together. The present study extends previous knowledge on routine networks within single organizations by highlighting how routines are connected across boundaries of different organizations. Moreover, this study deals with the endogenous dynamics of routines, reveals the life cycle of inter-organizational routines, and links it to the life cycle of the respective collaboration. It is the actors of the individual organizations, who achieve goals through their actions and, who develop and perform boundary-spanning action patterns through inter-organizational routines. This supports earlier research showing that new routines not only emerge from the combination of existing routines, but also result from their repeated enactment over time. Accordingly, it is the actors who, through their actions, ensure that intra-organizational as well as inter-organizational routines stabilize and change over time. Furthermore, this study shows that routines are not necessarily changed by a change of actors; even if they were initiated by other actors. This may be due to political reasons such as power relations or money constraints. Thus, the study complements previous findings, which state that routines change when executed by other actors. Beyond these insights on inter-organizational routines, this study incorporates the notion of organizational boundaries into routine dynamics research advocating a relational view not only for the conceptualization of routines but also for boundaries and their enactment. According to this view, boundaries can be understood as both, barriers and junctures. Viewed over time, junctures are created through moments of connecting and barriers through moments of separating. It further provides insights on how boundaries and routines jointly evolve during inter-organizational collaborations. Moments of connecting and separating play a role, in particular, in cases, in which there exists a one-way dependency. When there is a mutual dependency, mainly moments of connecting play a pivotal role. Moments of connecting and separating reveal organizational boundaries. While in connecting moments, junctures emerge based on a common solution or joint actions, in separating moments, boundaries are barriers either because there is no solution, or the solution is plausible only for one side and creates difficulties for the other. Both moments go hand in hand with differences in disciplines and language as well as with different priorities, fear of knowledge drain, delays, dependencies, or autonomy. In this regard, the important role of artefacts, which are closely related to the life cycle of the routines, the collaboration and the drawing of the boundary, is emphasized. Moments of separating cause organizations to pull out over time. Whenever control over an artifact is enacted in a reciprocal routine, insights into the actions of the other organization become visible. Thus, controlling the artifact allows the involved organizations to trace the actions of their collaborators. In case of a discrepancy, the cooperation is negatively affected. This is especially the case in relationships with one-way dependencies, wherein already established action patterns can collapse. As common action patterns and inter-organizational routines dissolve, classical organizational boundaries re-stabilize. Seen over time, moments of connecting lead to junctures that allow inter-organizational routines to form and to facilitate collaborations that tend to persist. Moments of separating, on the other hand, reinforce barriers that contribute to a reduction of inter-organizational routines and difficult collaborations. These findings enhance existing research on organizational boundaries and inter-organizational routines. Finally, this study shows that an innovation can only arise if reciprocal routines exist and persist in a collaboration. Reciprocal routines allow the movement of artifacts necessary for the emergence of a collaboration in practice and the actual achievement of the set objectives. They are shaped by the actions of an organization and simultaneously shape the possibilities for actions. Starting from a large number of possible combinations, all patterns of actions must fit together for something new to emerge. Inter-organizational routines play an important role in cross-boundary settings. When an artifact is created in one organization and passed to another, there is a one-way dependency, and the artifact of the first organization affects the innovativeness of the second organization. In cases of mutual dependency, artifacts are developed jointly, so that appropriate learning possibilities are more likely to arise. These findings enhance the understanding of the role of routines for organizations’ innovativeness in routine research.