Ende des 19. Jh. im WS 1887/88 hielt Rudolf Virchow eine Vorlesungsreihe zum Thema „Allgemeine Pathologie und Therapie mit Einschluß der allgemeinen pathologischen Anatomie“. Ein Vorlesungsbesucher war der Medizinstudent Justus Cramer, auf dessen Kollegheft diese Dissertation beruht. Seine Aufzeichnung stellt eine von bislang neun öffentlich zugänglichen Mitschriften Virchowscher Vorlesungen dar, wobei sich nur 2 weitere mit der allgemeinen Pathologie beschäftigen. Die dieser Dissertation zugrundeliegende Mitschrift ist die bisher einzige bekannte Dokumentation dieser Art aus der Berliner Zeit des „alten“ Virchows. Man kann davon ausgehen, dass dieses Vorlesungsmanuskript Virchows ausgereifte Auffassungen zu den behandelten Themen der allgemeinen Pathologie enthält. Ziel der Arbeit war die orginalgetreue Wiedergabe des Vorlesungstextes, die Darstellung des damaligen Wissensstandes in Bezug auf die von Virchow vermittelten Lerninhalte und der Vergleich des Wissens mit dem heutigen Kenntnisstand. Dazu wurden die handschriftlichen Aufzeichnungen von Justus Cramer in heutige Maschinenschrift übertragen und das Vorlesungsmanuskript anhand historischer Lehrbücher und anderer Literaturquellen analysiert. Danach wurden die gegenwärtigen Lehrmeinungen zu den abgehandelten Themen anhand aktueller Lehrbücher für Pathologie studiert und mit den Vorlesungsinhalten von 1887/88 verglichen. Aus diesem Vergleich sollte der Erkenntnisgewinn in der Medizin am Beispiel der allgemeinen Pathologie im Verlauf der vergangenen 120 Jahre deutlich werden. Die vergleichende Untersuchung hat ergeben, dass bestimmte Themen der Virchowschen Vorlesung ihre Bedeutung für die allgemeine Pathologie verloren haben, da sie heute keine eigenen Kategorien der Pathologie mehr darstellen. Zudem haben einige der von Virchow verwandten Begriffe eine Bedeutungsänderung erfahren, lassen aber keinen Wissenszuwachs erkennen, da sie auf Definitionen beruhen. Andere Themen, wie Störungen der zellulären und extrazellulären Organisation, wurden in der Vorlesung nicht oder unter anderen Aspekten behandelt. Der Erkenntniszuwachs liegt erstens auf dem Gebiet der Zellpathologie, da inzwischen die Störungen auf molekularer Ebene erforscht wurden. Dabei fällt auf, dass Virchow einige der Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten intuitiv erkannt hat, ohne die zugrundeliegenden molekularen Zusammenhänge zu kennen. Den größten Wissenszuwachs kann man auf dem Gebiet der Entzündungspathologie feststellen, die eng mit der Kenntnis der molekularen Grundlagen des Immunsystems verbunden ist. Ein drittes Gebiet der allgemeinen Pathologie betrifft das Wissen über Erbkrankheiten und Gendefekte, die auch die Tumorpathologie berühren. Der enorme Erkenntniszuwachs auf den genannten Gebieten der immunologischen und genetischen Störungen hat zur Abgrenzung eigenständiger Disziplinen mit Gründungen von Instituten für Molekularbiologie, medizinische Immunologie und Genetik geführt. Geblieben sind wichtige Grundlagen der allgemeinen Pathologie, wie die zur Nekrose, Atrophie, Hypertrophie, Thrombose, Embolie und zu den Geschwülsten, die auf exakten Beobachtungen und wissenschaftlichen Untersuchungen Virchows beruhen und ein essentieller Bestandteil medizinischen Wissens sind, ebenso wie viele der von ihm geprägten Begriffe, die dauerhaft in die medizinische Terminologie eingegangen sind.
At the end of the 19th century Rudolf Virchow gave a series of lectures entitled “General Pathology and Therapy with enclosure of General Pathological Anatomy”. One of the lecture guests was the medical student Justus Cramer on whose lecture notebook this thesis is based. His recordings are one of so far nine publicly accessible notes of Virchow’s lectures of which only two others deal with general pathology. Up to now these notes of Justus Cramer are the only known documentation of this kind dating back to the Berlin time of the "old" Virchow. It can be assumed that this lecture manuscript contains Virchow’s definitive views on the treated subjects of general pathology. The aim of the work was to transfer the handwritten lecture notes into current typescript in order to be able to explain the level of knowledge at the end of the 19th century concerning the subjects treated by Virchow. This level of knowledge was subsequenlty compared with the current state of knowledge. The comparison is supposed to demonstrate the increase of knowledge in medicine during the last 120 years. The comparative examination showed that certain subjects of the Virchow’s lecture have lost their importance for general pathology, as they do no longer constitute own categories of pathology. Moreover, some of the expressions used by Virchow experienced a change in meaning and being based on definitions it is not possible to clearly identify an increase of knowledge. Other subjects, such as disturbances of the cellular and extracellular organization, were either not treated in this lecture or treated under other aspects. The knowledge increase lies firstly in the field of the cellular pathology due to the fact that disturbances on the molecular level have been investigated during the last century. It is remarkable that Virchow recognized some of the mechanisms and regularities intuitively, without being aware of the underlying molecular relations. The greatest knowledge increase can be found in the field of inflammation pathology, which is closely connected with the knowledge of the molecular bases of the immune system. A third area of general pathology concerns the knowledge about hereditary diseases and gene defects which also touches upon tumour pathology. The enormous knowledge increase in the subjects mentioned above lead to the creation of independent disciplines through the foundation of institutes of molecular biology, medical immunology and genetics. Important subjects of general pathology like necrosis, atrophy, hypertrophy, thrombosis, embolism and components of tumour pathology, which are based on Virchow’s accurate observations and scientific examinations, are part of the 21st century’s general pathology. They make up an essential part of medical knowledge, just as many of the medical terms created by Virchow.