In den vorgelegten Studien wurde das automatische Wahrnehmen affektiver Valenz bei lexikalen und fazialen Reizen sowie der Einfluss von emotionalem Gesichtsausdruck auf das Urteilsverhalten mittels sequentieller affektiver Priming-Paradigmen untersucht. Die automatische Verarbeitung affektiver Stimuli umfasst beim Menschen nicht nur die Bestimmung der affektiven Valenz (positiv vs. negativ) sondern auch der Relevanz der Valenz (für das Selbst vs. Andere). Zum einen wurde geprüft, ob das Geschlecht, eine unsichere Bindungsorientierung und das Ausmaß an emotionaler Bewusstheit die automatische Emotionswahrnehmung beeinflussen. Emotionale Bewusstheit bezieht sich auf die Kompetenz, Gefühle bei sich und anderen zu erkennen und zu versprachlichen. Hierzu wurden Stichproben junger Erwachsener rekrutiert. Zum anderen wurde untersucht, ob bei Patienten mit BPS Veränderungen in der automatischen Wahrnehmung von emotionalen Informationen gegenüber Gesunden bestehen. Die BPS zeichnet sich klinisch durch affektive Labilität, hohe Reaktivität sowie instabile mentale Repräsentationen von sich und anderen aus. Unseren Befunden zufolge hängen Prozesse der automatischen Emotionswahrnehmung von den betrachteten Personenmerkmalen ab. Das biologische Geschlecht beeinflusst die Wahrnehmung von maskierter fazialer Emotion: Frauen erscheinen sensitiver für maskierte faziale Freude. Weiterhin ergab sich Anhalt für eine zerebrale Hyperresponsivität auf freudige Mimik bei Bindungsangst und für eine höhere Effizienz der Verarbeitung emotionaler lexikaler Informationen bei Bindungsvermeidung auf einer automatischen Wahrnehmungsebene. Es zeigte sich, dass die frühe perzeptive Sensitivität für emotionale Informationen nicht nur mit negativen, Psychopathologie begünstigenden Personenmerkmalen wie Bindungsangst und Bindungsvermeidung, sondern auch mit einem positiven, psychische Gesundheit fördernden Personenmerkmal, der Befähigung zu emotionaler Bewusstheit, einhergehen kann. Somit wurden Beziehungen zwischen einer reflexive Prozesse betreffenden emotionalen Bewusstheit und basalen Prozessen der Emotionswahrnehmung, die automatisch ablaufen, dokumentiert. Eine hohe automatische perzeptive Sensitivität für negative Reize kann adaptiv sein, da sie die immediate Einschätzung der Bedrohlichkeit der (sozialen) Umwelt fördert, zugleich aber auch dysfunktionale Aspekte aufweisen, da Aufmerksamkeit und Denken leicht auf negative Inhalte ausgerichtet werden können. Die vorliegenden Resultate zur automatischen Emotionswahrnehmung bei BPS geben keinen Anhalt für eine gesteigerte perzeptive Sensitivität für emotionalen bzw. wütenden Gesichtsausdruck oder eine erhöhte Effizienz in der Wahrnehmung lexikaler emotionaler Informationen bei Patienten mit BPS. Auch liegen keine Hinweise dafür vor, dass Patienten mit BPS in der automatischen Differenzierung von Selbst- und Andere-Relevanz während der Wahrnehmung affektiver Wörter beeinträchtigt sind. Bei der Betrachtung von Prozessen der automatischen Emotionsverarbeitung bei BPS erscheint es allerdings bedeutsam, Komorbiditäten (wie depressive und somatoforme Störungen) und spezifische Symptome (wie Autoaggression und Feindseligkeit) als Einflussfaktoren zu berücksichtigen.