Verfassungsgerichte werden oft als bedeutende Akteure in Transformationsprozessen angesehen. Von diesen im Zuge einer Demokratisierung neu eingerichteten Verfassungsgerichten unterscheidet sich das ägyptische Verfassungsgericht (Supreme Constitutional Court, SCC) dadurch, dass es bereits mit der Verfassung von 1971 gegründet wurde; im autoritären System Ägyptens hat es mitunter eine äußerst wichtige, aber auch ambivalente Rolle gespielt. Nach dem Sturz Mubaraks ist das Gericht – trotz der Suspendierung der Verfassung durch den Supreme Council of the Armed Forces (SCAF) – nicht aufgelöst worden und hat mit seinen Entscheidungen großen Einfluss auf die politischen Entwicklungen in Ägypten genommen. Das Working Paper geht anhand des ägyptischen Falls der Frage nach, welche Rolle etablierte Verfassungsgerichte in Transformationsprozessen spielen. Dabei stehen zwei zentrale Entscheidungen des Gerichts vom Juni 2012 im Mittelpunkt der Analyse. Das Paper zeigt auf, dass die frühere Rechtsprechung, das institutionelle Selbstverständnis des Gerichts und das Amtsverständnis der RichterInnen zentral sind, um die Rolle des Gerichts in der Umbruchsituation verstehen zu können.