Im Rahmen der angeborenen Immunreaktion kommt es zum Austritt aktivierter Leukozyten aus dem Blutstrom in entzündetes Gewebe. Bei der Auswanderung (Extravasation) werden Leukozyten zuerst eingefangen und verlangsamt (initialer Kontakt), um anschließend auf dem Gewebeendothel zu rollen, fest zu adhärieren und schließlich durch das Endothel hindurch zu wandern, um den Entzündungsherd zu erreichen. Diese gezielte Auswanderung ist ein physiologischer Prozess. Da es durch Persistenz des Antigens bei chronischen Erkrankungen zu einem unkontrollierten Auswandern der Leukozyten mit der Folge eines sekundären Gewebeschadens kommt, ist die Möglichkeit der gezielten Hemmung der Extravasation von großem medizinischen Interesse. Ein möglicher Ansatzpunkt ist dabei die Modulierung der L-Selektin–Ligand-Interaktion, da L-Selektin, das konstitutiv auf Leukozyten exprimiert wird, eine entscheidende Rolle während des initialen Kontaktes der Leukozyten mit dem Endothel spielt. Diese Interaktion wird durch Bindung der Lektindomäne des L-Selektins an sLex- Motive und Sulfatgruppen endothelialer Liganden vermittelt. In der vorliegenden Arbeit wurde die L-Selektin–Ligand-Interaktion auf zwei verschiedenen Wegen moduliert, wobei für die Interaktionsstudien initial ein Flusskammer-Assay etabliert wurde, mit dem erfolgreich die Zell / Ligand- Interaktion quantifiziert werden konnte. Erstens wurden in intakten Zellen die Neuraminsäurereste der zellulären Glykoproteine durch Behandlung der Zellen sowohl mit dem natürlichen Mannosamin-Vorläuferderivat peracMNAc, als auch mit den artifiziellen Derivaten peracMNProp und peracMNCycloProp verändert. In diesen modifizierten Zellen wurde untersucht, ob die veränderte Sialylierung zu einer veränderten Interaktion zwischen Selektinen und dem Liganden PSGL-1 kommt. Die Untersuchungen zeigten, dass es bei allen Behandlungen zu einer Hypersialylierung der Zellen kam, wobei die Behandlung mit peracMNProp bzw. peracMNCycloProp zum Einbau der strukturell veränderten Neuraminsäure N-Propanoylneuraminsäure bzw. N-Cyclopropyl-carbonyl-Neuraminsäure führte. Weiterhin konnte eine verstärkte Adhäsion der PSGL-1-exprimierenden Zellen an den Liganden P-Selektin nach Supplementierung gemessen werden, die durch den Einbau der artifiziellen Sialinsäuren noch verstärkt wurde. Dahingegen zeigten die entsprechend behandelten L-Selektin-exprimierenden Zellen aufgrund der Hypersialylierung eine verminderte Interaktion mit dem Liganden PSGL-1. Durch die Behandlung mit den artifiziellen Derivaten kam es dabei zu einer weiteren Verminderung der Interaktion mit PSGL-1. Zweitens wurden unterschiedliche potentielle L-Selektin-Inhibitoren zur Modulation der Interaktion verwendet: zwei L-Selektin-Aptamere, welche sich in der Anzahl der Bindungs-domäne unterschieden (Monomer und Dimer) und drei Vertreter aus der Gruppe der dendritischen Polyglycerolsulfate (dPG2 kDaS23, dPG6 kDaS67 und dPG480 kDaS5185), die sich in der Größe des Polyglycerolgerüstes und in der Anzahl der funktionalisierten Sulfate unterschieden. Die dendritischen Polyglycerolsulfate zeigten eine inhibitorische Wirkung auf die L-Selektin –Ligand-Interaktion, wobei sich die gewünschte inhibitorische Wirkung in Abhängigkeit der Anzahl bindungsrelevanter Sulfate einstellte. So konnte eine eindrucksvolle Verbesserung der Inhibition bei Verwendung von dPG480 kDaS5185 um das 1000fache gegenüber dPG6 kDaS67 erzielt werden. Damit konnte gezeigt werden, dass eine multivalente Präsentation der Bindungs-epitope eine entscheidende Rolle für die Bindung an L-Selektin spielt. Die Bindungsstudien an den DNA-Aptameren konnten dieses Ergebnis untermauern, da die dimere Präsentation des Bindungsepitops zu einer 50fachen besseren inhibitorischen Wirkung gegenüber dem monomeren Aptamer führt. Diese Resultate zeigen eindeutig, dass eine gezielte Modulation der L-Selektin–Ligand-Interaktion möglich ist und dass mit den dendritschen Polyglycerolsulfaten und den DNA- Aptamer-Varianten neuartige Inhibitoren charakterisiert wurden, die das Potential für eine therapeutische Anwendung besitzen.
During inflammation leukocytes exit the bloodstream into the site of inflammation (extravasation). Therefore, free floating cells are captured by endothelial ligands, slowed down by transient interactions (initial contact) and start rolling on the vascular endothelium and attach firmly to pass through the endothelium and to finally access the center of inflammation. This is a desired process during the innate immune response, but in chronic diseases extravasation of leukocytes is misregulated and leads to tissue damage. Therefore, it is desirable to regulate the uncontrolled leukocyte migration, e.g. by modulation of the L-selectin–ligand interaction. L-selectin, which is constitutively expressed on leukocytes, plays an important role for the initial contact of leukocytes to the endothelium. The binding of L-selectin depends on the interaction of its lectin domain to the endothel ligands containing the sLex-motif and sulfate groups. In the present study, the modulation of the L-selectin–ligand interaction was studied in two different ways. Initially a flow chamber assay was established to quantify the cell / ligand interaction under defined conditions. In a first step the neuraminic acids of glycoproteins of intact cells were modified by incorporation of the natural mannosamine derivative peracMNAc and the unnatural derivatives peracMNProp and peracMNCycloProp. These modified cells were examined concerning the changes in the interaction between selectins and their ligand PSGL-1. Analyses confirmed the successful incorporation of the sialic acid derivatives and therefore the hypersialylation of the cells. The treatment with the unnatural derivatives peracMNProp and peracMNCycloProp lead to the integration of the artificial neuraminic acids N-propanoyl neuraminic acid and N-cyclopropylcarbonyl neuraminic acid into the glycan structures. The modifications lead to improved adhesion of PSGL-1 expressing cells to P-selectin due to a higher incorporation of sialic acids and its derivatives in glycan structures. In contrast, the modification of the L-selectin glycans with the sialic acid derivatives leads to a reduced interaction of L-selectin expressing cells with the ligand PSGL-1. The second way to modulate L-selectin interactions relied on different potential inhibitors: three different dendritic polyglycerol sulfates (dPG2 kDaS23, dPG6 kDaS67 and dPG480 kDaS5185), which differed in the size of the polyglycerol core and in the amount of sulfate groups, and two L-selectin-aptamers, which differed in the presentation of the L-selectin specific binding epitop (monomer and dimer). The application of the polyglycerol sulfates showed significant inhibition dependent on the amount of the binding sulfates on the L-selectin-ligand interaction. This work demonstrates thus an impressive 1000-fold stronger inhibition by dPG480 kDaS5185 compared to dPG6 kDaS67. This reflects the important role of multivalent presentation of the binding epitopes for the L-selectin–ligand interaction. The interaction studies with the DNA-aptamers confirmed this observation. Compared to the monomeric aptamer, the dimeric epitope presentation shows a 50-fold (dimer-flex) better inhibition. These results clearly demonstrate the possibility to modulate the L-selectin-ligand interaction specifically and present the dendritic polyglycerol sulfates and DNA-aptamer variants as novel inhibitors with the potential for a successful therapeutic application.