In der Arbeit geht es um den Zusammenhang der politischen Entwicklung und des Sprach- und Kulturkontakts. Sie orientiert sich an einer mikrohistorischen und alltagsgeschichtlichen Perspektive und hinterfragt nationale Zuschreibungen. Die These, dass Mehrsprachigkeit bis in kleinste Einheiten hinein ein grundsätzliches Alltagsphänomen war, wird mit der Rekonstruktion der sprachlichen Verhältnisse in Chełmno/Culm überprüft. In einem interdisziplinären Ansatz versucht die Arbeit in sprachlichen Phänomenen sozial- und politikgeschichtliche Bedeutung zu erkennen, die einen substantiellen Beitrag zur Bewertung der Teilungen Polens liefert. Erstmals werden der Übergang der Stadt unter die preußische Herrschaft unter Einbeziehung der russischen Besetzung während des Siebenjährigen Krieges und die sprachlichen Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts untersucht. Hierfür werden insbesondere die Theorien und Erkenntnisse der Kulturtransferforschung und der Histoire croisée aufgegriffen. Diversität ist kein Charakteristikum einzelner Regionen oder einer transnationalen Ebene sondern eine grundsätzliche soziale Qualität. Der Arbeit liegt das Verständnis zu Grunde, dass „Sprache“ die menschliche Fähigkeit und Tätigkeit sprachlicher Kommunikation ist und „Sprache(n)“ im Sinne von Einzelsprachen wie Polnisch, Deutsch und Latein Abstraktionen aus den konkreten Formen sprachlicher Kommunikation sind. Ausgewertet werden die in den Quellentexten zu findenden unterschiedlichen sprachlichen Elemente. Die Arbeit gliedert sich in die Einleitung, die drei Kapitel „Chełmno/Culm 1750-1800“, „Sprachliche Vielfalt“ und „Zwischen Polen und Preußen“ sowie ein Ergebniskapitel. Beigefügt ist ein Anhang mit umfangreichen sprachlichen Belegen sowie je eine Zusammenfassung in deutscher, englischer und polnischer Sprache. In der Arbeit wird festgestellt, dass der Herrschaftswechsel sowohl durch gravierende Veränderungen als auch deutliche Kontinuitäten gekennzeichnet ist. Die sprachliche Untersuchung führt zu der Erkenntnis, dass es keine klaren Abgrenzungen zwischen den Sprachen und den Kulturen geben kann, es sei denn sie sind politisch durchgesetzt. Markant sind die zu Beobachtenden nationalen Vorurteile, die sich auf die preußische Beamtenschaft beschränken. Deutlich wird auch, dass multikulturelle Kompetenz ein bedeutender Faktor in den sozialen Beziehungen darstellte. Schließlich regt die Arbeit an, segregierende Vorstellungen wie „Nation“ oder „Einzelsprache“ durch integrierende Ansätze wie das Konzept des Habitus zu ersetzen.
This doctoral thesis deals with the connection between political development and language and cultural contact. It follows a micro-historic and an everyday perspective and questions national attributions. The hypothesis that multilingualism was a fundamental everyday phenomenon down to the smallest entities is examined by reconstructing the linguistic circumstances in Chełmno/Culm. In an interdisciplinary attempt the work tries to find in language phenomena social and political importance that offer a substantial contribution to the evaluation of the Partitions of Poland. For the first time the transition of the town under Prussian government (by considering the Russian occupation during the Seven-Years'-War) and the conditions of language in the second half of 18th century are researched. In particular, the theories and results of the research of cultural transfer and the histoire croisée are taken in consideration. Diversity is not a hallmark of individual regions or of a transnational layer, but a fundamental social quality. This paper is based on the idea, that “language” is the human capability and practice of linguistic communication, “language(s)” in the sense of single languages like Polish, German or Latin are an abstraction of the concrete forms of linguistic communication. Examined are the elements of linguistic diversity that can be found in the sources. The work is arranged with an introduction, the three chapters “Chełmno/Culm 1750-1800”, “Linguistic Diversity” and “Between Poland and Prussia” and a final chapter with the results. An appendix that contains extensive lists of linguistic evidences is added as well as a German, an English and a Polish summary. The work points out that the change of rulership is characterized by grave interventions as well as obvious continuities. The linguistic examination leads to the result that clear separations between the languages and the cultures are not possible unless they are realized by political power. Remarkable are the national prejudices which are limited to the Prussian civil service. It is also clear that multicultural competence was an important factor in social relations. Finally, the work suggests to replace segregating notions like “nation” or “ single language” by integrating approaches such as the concept of habitus.