Untersucht wird ein bisher wenig beachteter Aspekt der bürgerlichen Klassikrezeption, die sog. Klassiker-, Lese- oder Volksausgaben, dargestellt am Beispiel von Heinrich von Kleist. Erschienen sind diese Ausgaben massenhaft, als Text (keine historisch-kritische Ausgabe) und als Buch (schlechtes Papier, industriell hergestellte Einbände) sind sie geringgeschätzt und bibliographisch nur äußerst mangelhaft nachgewiesen. Anhand der Kleist-Ausgabe des Verlages Th. Knaur Nachf. Berlin Leipzig mit der Einleitung von Monty Jacobs, erschienen ab 1904/05, ergänzt durch die Kleistausgaben von Rudolph Genée (1886ff.) und Karl Siegen (1895ff.), wird exemplarisch nachgewiesen, daß zur vollständigen Erfassung der Ausgaben und der daraus erfolgenden Bewertung der Rezeption nicht nur das Vorhandensein und die Verzeichnung eines Druckes, sondern die der gesamten Drucke in ihren verschiedenen Erscheinungsformen zwingend notwendig ist. Bibliographisch erfaßt sind diese Drucke gar nicht oder nur je ein einmal im Gesamtverzeichnis des deutschen Schrifttums, bisher unverändert im Nachweis der Sammlung Deutscher Drucke und in der Kleistbibliographie. Erschienen sind sie aber vielfach, wie sich anhand der Titel, Einbände, Druckvermerke und anderer Ausstattungselemente, die bibliographisch gesehen für Jahrzehnte das Äquivalent der späteren Auflagenbezeichnung bieten, leicht nachweisen läßt; die von Monty Jacobs z. B. nicht nur einmal "[um 1925]", wie die Nationalbibliographie angibt, sondern von 1904/05 bis ca. 1930 mehr als 30mal. Gleiches läßt sich an den beiden anderen Kleistausgaben darstellen. Die Ausgaben werden abgebildet und beschrieben. So lassen sich die bürgerliche Kleistrezeption und die Position Kleists im Klassikerkanon genauer dokumentieren. Beim nationalbibliothekarischen Unternehmen, in der Sammlung Deutscher Drucke (AG-SDD) – hier die Staatsbibliothek zu Berlin (Zeitsegment 1871 - 1912) und die Deutsche Bücherei/Deutsche Nationalbibliothek Leipzig- Frankfurt/Main (Zeitsegment 1913ff.) – das gedruckte nationale Kulturerbe des deutschen Sprachraums vollständig zu erfassen (und in eine digitale Form zu überführen), liegt ein grundsätzlich neuer Sammelauftrag vor: es muß über den nationalbibliographischen Nachweis nur eines Druckes/eines Textes hinausgegangen werden. Nur so lassen sich alle im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke tatsächlich erfassen.