In der vorliegenden kumulativen Habilitationsschrift werden Daten zur Epidemiologie, Klassifikation, Differentialdiagnostik und Therapie rezidivierender vestibulärer Erkrankungen vorgestellt: dem M. Menière, der vestibuläre Migräne dem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS). Die Untersuchung einer bundesweiten repräsentativen Stichprobe der erwachsenen Allgemeinbevölkerung Deutschlands mittels eines neuro-otologischen Telefoninterviews ergab bei schrittweiser Anwendung der diagnostischen Kriterien der American Academy of Otolaryngology (1995) eine sehr niedrige Schätzung der Lebenszeitprävalenz des M. Menières von maximal 0,12%. Damit ist der M. Menière deutlich seltener als die vestibuläre Migräne, die mit einer Lebenszeitprävalenz von rund 1% zu den häufigsten Ursachen für episodischen Schwindel zählt und eine wesentliche Differentialdiagnose des M. Menières darstellt. Eine Fall-Kontroll-Studie belegte erstmals eine Assoziation des M. Menière mit der Migräne. Es fand sich eine mehr als zweifach erhöhte Migräne- Prävalenz bei 78 Patienten mit unilateralem M. Menière nach Kriterien der AAO (1995) im Vergleich mit einer alters- und geschlechtgematchten Kontrollgruppe. Nahezu die Hälfte der Patienten hatte regelmäßig migräne-typische Begleitsymptome während der Schwindelattacken. Eine mögliche Erklärung der Befunde ist ein gemeinsamer Pathomechanismus beider Erkrankungen. Andererseits ist die Migräne selbst eine häufige Ursache für vestibulo-kochleäre Symptome, so dass die symptomatische Überlappung alternativ auf eine fehlende Trennschärfe der aktuellen diagnostischen Kriterien des M. Menière und der vestibulären Migräne mit kochleären Beteiligung zurückgeführt werden kann. Trotz ihrer hohen Prävalenz gehört die vestibuläre Migräne in der klinischen Praxis zu den unterdiagnostizierten vestibulären Erkrankungen. Einer der wesentlichen Gründe hierfür ist, dass die vestibuläre Migräne aufgrund ihrer speziellen klinischen Merkmale in der aktuellen Internationalen Klassifikation der Kopfschmerzerkrankungen (ICHD) nicht ausreichend repräsentiert ist. Unsere Arbeitsgruppe entwickelte erstmals diagnostische Kriterien für die vestibuläre Migräne, die auf der ICHD basieren und die Kategorien einer sicheren (sVM) und wahrscheinlichen (wVM) vestibulären Migräne vorsehen. Die Ergebnisse einer neuro-otologischen Verlaufsuntersuchung von 47 Patienten mit der initialen Diagnose einer sicheren sVM und 28 Patienten mit wVM ergaben eine hohe Validität der Kriterien der sVM mit einem positiven prädiktiven Wert von 85% bei Patienten mit vestibulärer Migräne ohne Hörverlust. Die Hälfte der Patienten mit der initialen Diagnose einer wVM erfüllt im Verlauf der Erkrankung die spezifischeren Diagnose-Kriterien der sVM. Bei einer Subgruppe der Patienten mit vestibulärer Migräne treten Schwindel und Migräne allerdings auch im Langzeitverlauf dissoziiert voneinander auf, so dass die Kategorie der wVM in einer Klassifikation der vestibulären Migräne beibehalten werden sollte, um eine ausreichende Sensitivität der Kriterien zu gewährleisten. Allerdings zeigen die Studienergebnisse ebenfalls, dass die aktuellen diagnostischen Kriterien der sVM und des M. Menière für eine Subgruppe von Patienten mit kochleären Symptomen und Hörverlust nicht ausreichend trennscharf sind. Die Ergebnisse zweier vergleichender Therapiestudien zeigen, dass eine Lagerungsbehandlung mit einem für die Selbstanwendung modifizierten Epley- (MEM) und Semont-Manöver (MSM) den benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS) effektiv zur Remission bringen kann, so dass innerhalb einer Woche die Mehrheit der Patienten beschwerdefrei wird. Das MEM erwies sich sowohl im Vergleich mit dem bisher ausschließlich in der Selbstbehandlung eingesetzten Brandt-Daroff-Manöver (BDM) als auch mit dem MSM als die wirksamste Methode mit einer Erfolgsrate von 64% bzw. 95% nach einer Behandlungswoche. Voraussetzung für eine gute Wirksamkeit der Selbstbehandlung ist die korrekte Durchführung der Lagerungsmanöver, so dass Patienten zu Beginn der Behandlung ausreichend instruiert werden sollten. Die Selbstbehandlung ist eine kosteneffektive Ergänzung zu einer professionell durchgeführten Lagerungsbehandlung, mit der die Patienten ihre Arztbesuche reduzieren und Rezidive eigenständig therapieren können.
This work presents new data on the epidemiology, classification, differential diagnosis and therapy of recurrent vestibular vertigo disorders: M. Menière, vestibular migraine and benign paroxysmal positional vertigo (BPPV). Epidemiological assessment of a nationwide, representative sample of the German adult population by means of a neurotological telephone interview revealed a low lifetime prevalence of Menière’s disease of less than 0.12% when the diagnostic criteria of the American Acadamy of Otolaryngology were applied. Thus, Menière’s disease is less common than vestibular migraine which constitutes the main differential diagnosis and has an estimated lifetime prevalence of nearly 1%. A case-control study revealed an association of Menière’s disease and migraine. Prevalence of migraine was more than two-fold increased in 78 patients with Menière’s disease according to the diagnostic criteria of the American Academy of Otolaryngology (1995) compared to a sex- and age-matched control group. Nearly half of the Menière patients regularly had accompanying migrainous symptoms during the vertigo attacks. A possible explanation is a common pathophysiological mechanism of both disorders. Alternatively, the current diagnostic criteria for Menière’s disease and vestibular migraine with cochlear involvement are not sufficiently discriminative. Although vestibular migraine is frequent in the general population, it remains a largely under-diagnosed vestibular disorder. One of the main reasons for under-recognition is the lack of internationally accepted diagnostic criteria for vestibular migraine. Because of its specific clinical features, vestibular migraine is not well represented in the current classification of headache disorders of the International Headache Society (ICHD). Therefore, our group has developed clinical diagnostic criteria for diagnosis of vestibular migraine that are based on the ICHD-criteria and include two distinct categories of definite (dVM) and probable (pVM) vestibular migraine. The results of a neurotological long-term follow-up study in 47 patients with an initial diagnosis of dVM and 28 patients with pVM showed a high validity of the criteria for dVM with a positive predictive value of 85% in patients with vestibular migraine without cochlear symptoms. Half of the patients with an initial diagnosis of pVM fulfilled the more specific criteria of dVM in the course of the disorder. However, since in a subgroup of patients with vestibular migraine, vertigo and migrainous symptoms occur dissociated even at longer follow-up, the category of pVM should be maintained in a classification of vestibular migraine to allow for greater sensitivity of the diagnostic tool. However, the results of this study also indicate that the present diagnostic criteria for dVM and Menière’s disease are not sufficiently discriminative in a subgroup of patients with cochlear symptoms and hearing loss. The results of two controlled studies show that self-treatment with a self-administered modified Epley- and Sémont-manouevre effectively cures benign paroxysmal positional vertigo in the majority of patients. Self-treatment with the modified Epley manoeuvre relieved 64% and 95% of patients from positional vertigo within one week and was more effective than self-treatment with the Brandt-Daroff- or Sémont-manouevre. Correct performance of self-treatment is essential for its efficacy. Therefore, patients should be carefully instructed before starting treatment. Self- treatment constitutes an effective complementary treatment option for benign paroxysmal positional vertigo, which may reduce the number of consultations and enable patients to efficiently treat recurrences.