The present thesis examines the relationship between two contemporary phenomena: the rise of a new sincerity and a renaissance of family fiction. It treats sincerity not as a moral quality, but as a rhetorical strategy that first emerged in early modern Europe to build trust among the members of an increasingly diversified society. Sincerity – understood as a seemingly transparent performance of an inner self for the benefit of a counterpart – particularly appears in periods of crisis to counteract social and representational instability by evoking sympathy and permitting trust. Likewise, family – a dominant pattern of social order and a metaphor for society – permeates public discourse in periods of socio-cultural anxiety. This thesis shows that the discourses of family and sincerity are overlapping, both operating on the threshold between the private and the public sphere and both contributing to the affect management of the middle class. To be credible, articulations of sincerity need to appear not only non-strategic, but also non-rhetorical. The ‘mediated unmediatedness’ of this rhetorical strategy is evinced in the present study by juxtaposing sincerity and authenticity: While authenticity is ultimately incommunicable, sincerity is always directed at a counterpart and involves audience accommodation. Family novels lend themselves to the rhetoric of sincerity due to their complete naturalization and affinity to realist narrative. The paradigmatic examples chosen for analysis in the present thesis are Marilynne Robinson’s Gilead (2004) and Jonathan Franzen’s The Corrections (2001). Through a close reading of the novels in terms of their ostensible transparency and through their placement within the framework of the authors’ essayistic work, the new sincerity of contemporary family fiction becomes evident as a post-postmodern technique for intersubjective communication and connection while also acknowledging its ultimate impossibility.
Die folgende Studie untersucht die Interaktion von zwei Phänomenen in der amerikanischen Literatur der Gegenwart: zum einen das Aufkommen eines Schreibgestus, welcher in scharfem Kontrast zu den Formexperimenten der Postmoderne steht und als Neue Aufrichtigkeit bezeichnet werden kann, und zum anderen die Renaissance eines unzeitgemäßen Genres, des Familienromans. Aufrichtigkeit soll hier nicht als moralisches Bewertungskriterium für die Integrität einer bestimmten Sprecherinstanz verstanden werden, sondern als scheinbar transparaente, strategisch ausagierte Performance einer von einem Gegenüber antizipierten Innerlichkeit zur Mobilisierung von dessen Empathie, Sympathie und letztlich zur Gewinnung von dessen Vertrauen. In ihren Grundzügen lässt sich Aufrichtigkeit als rhetorische Strategie bereits im Europa der frühen Neuzeit beobachten, wo sie sich im Horizont der modernisierungsbedingten gesellschaftlichen Mobilität und Diversifikation sowie den daraus resultierenden Vertrauens- und Repräsentationskrisen als Mittel zur Wiederherstellung sozialer Kohäsion erstmals herausgebildet hat. Eine vergleichbar konsolidierende diskursive Funktion in Zeiten sozialer und kultureller Unsicherheit wird auch der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ zugeschrieben. Die diskursiven Überschneidungen von Aufrichtigkeit und Familie, so die dieser Studie zugrunde liegende These, lassen sich aus einer Strukturanalogie erklären: Beide Diskurse finden auf der Grenze zwischen privater und öffentlicher Sphäre statt und beide tragen gleichermaßen zur Affektsteuerung der Mittelklasse bei. Glaubwürdige Performances von Aufrichtigkeit sind in besonderer Weise davon abhängig weder strategisch noch rhetorisch zu erscheinen. Die „vermittelte Unvermitteltheit“ dieser rhetorischen Strategie wird in dieser Studie mit Hilfe der Gegenüberstellung von Aufrichtigkeit und Authentizität herausgearbeitet: Während nämlich Authentizität letztlich unvermittelbar bleiben muss, sind Gesten der Aufrichtigkeit immer an ein Gegenüber adressiert und demzufolge ihrem Wesen nach auf Kommunizierbarkeit ausgerichtet. Familienromane bieten sich aufgrund ihrer Affinität zu realistischem Erzählen als Manifestationsort für eine solche Rhetorik der Aufrichtigkeit an. Als Beispiele für die literarischen Inszenierung einer strategisch kommunizierten Zurschaustellung von Innerlichkeit werden in dieser Studie die Romane Gilead (2004) von Marilynne Robinson und The Corrections (2001) von Jonathan Franzen analysiert. Beide Romane werden mit Hilfe von close readings auf ihre für die Neue Aufrichtigkeit spezifischen, scheinbar transparenten Erzählweisen untersucht sowie mit poetologischen Überlegungen zu Aufrichtigkeit und Familie aus dem essayistischen Werk der jeweiligen Autoren kontextualisiert. Das Phänomen der Neuen Aufrichtigkeit im gegenwärtigen amerikanischen Familienroman, so wird anhand dieser paradigmatischen Lektüren deutlich, ist in erster Linie als post-postmoderner Kommunikationsversuch zu verstehen, der intersubjektive Verbindlichkeiten herstellt indem er paradoxerweise deren Unmöglichkeit ausstellt.