Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit bestand in der Frage, inwiefern die singuläre Applikation von blauem Licht (λmax=460nm) mit einer relativ geringen Bestrahlungsstärke von 12.1 μW/cm2 die Befindlichkeit gesunder Frauen und Männer in den Abendstunden akut beeinflusst und ob der Effekt mit einer Melatoninsuppression in Beziehung steht. Aufgrund von Literaturdaten, die bevorzugt an männliche Probanden, in den Nachtstunden untersucht, erhoben wurden, waren ein zeitnahes Eintreten positiver Effekte auf verschiedene Befindlichkeitsdimensionen sowie eine Suppression der Melatoninsynthese zu erwarten. Die vorliegende Untersuchung sollte zudem klären, ob es geschlechtsspezifische Differenzen gibt und wie der individuelle Chronotyp der Probanden diese Effekte beeinflusst. Es konnte eine Kohorte von 53 gesunden Probanden (31 Frauen / 22 Männer; 27.9+/-5.6 Jahre) in die Studie mit einem within-subject design eingeschlossen werden. Die chronobiologische Ausprägung der Probanden wurde im Vorfeld anhand etablierter Assessments (D-MEQ, MCTQ) ermittelt. Nach Kriterien von Horne & Østberg war der Indifferenztyp am stärksten vertreten (n=29), die Abend- und Morgentypen traten etwa gleich häufig auf (n=11 und n=13). Das Studiendesign war komparativ mit zwei aufeinander folgendenen Testtagen angelegt. Der erste Testtag („kein Licht“= dim-light < 10 lx) von 19:00 bis 22:00 Uhr sollte als Kontrollbedingung dienen. Am zweiten Testtag erfolgte nach einer kurzen Adaptationsphase in der Dunkelheit die Exposition über 60min mit der genannten binokularen Lichtquelle von 20:30 bis 21:30 Uhr. An beiden Studientagen wurde im angeführten Zeitfenster eine sequentielle Blutentnahme mit einem Intervall von 30 Minuten zur Bestimmung der plasmatischen Melatoninkonzentration durchgeführt. Zur Bewertung der Befindlichkeitsänderung wurden der Befindlichkeitsfragebogen nach v. Zerssen (Bf-S) und der mehr-dimensionale Befindlichkeitsfragebogen nach Steyer et al. (MDBF) verwandt und vor sowie am Ende jeder Sitzung durch die Probanden selbst komplettiert. Für die Gesamtstichprobe wurde ein kontinuierlicher Anstieg der mittleren Melatonin- konzentration am ersten Studientag unter dim-light Bedingungen im Zeitfenster von 19:00 bis 22:00 Uhr beobachtet. Zu diesem Ergebnis trugen vorrangig die Morgen- und Indifferenztypen in der Stichprobe bei. Beide Chronotypen zeichneten sich durch einen sukkzessiven Anstieg der Melatonin-konzentration im beobachteten Zeitfenster aus. Demgegenüber stagnierte die gemessene Melatoninkonzentration der Abendtypen relativ konstant auf einem niedrigen Niveau. Nach selbst definierten Bedingungen, hinsichtlich der Ausprägung des verzeichneten Anstieges der Melatoninkonzentration im Plasma unter dim-light, konnten die untersuchten Probanden zwei verschiedenen Gruppen zugeordnet werden: „Low-Melatonin“ und „High-Melatonin“. Obwohl keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in den verzeichneten Melatonin-profilen auftraten, wurde nur bei den männlichen Probanden eine positiv signifikante Korrelation des D-MEQ Scores mit der Melatoninkonzentration im Plasma im Zeitfenster 20:30 bis 22:00 Uhr gefunden, mit Korrelationskoeffizienten nach Spearman rho zwischen 0.431 und 0.539. Demnach wiesen männliche Probanden mit hohen D-MEQ-Scores, d.h. tendezielle Morgentypen, ab einem gegebenen Zeitpunkt entsprechend höhere Melatonin- werte im Blutplasma auf. Verschiedene Auswertungsstrategien, die Geschlecht, Chronotypus, Melatoninprofile und die aktuelle Ausgangsstimmung an beiden Testtagen berücksichtigt haben, ergaben ein sehr komplexes Bild an Befindlichkeitsänderungen, sowohl nach Applikation des blauen Lichtes als auch während der Kontrollbedingung dim-light. Für die Gesamtstichprobe wurde nach drei Stunden dim-light eine signifikante Zunahme der Müdigkeit, repräsentiert durch eine Abnahme des Scores in der Befindlichkeits-dimension „Wachheit-Müdigkeit“ des MDBF, insbesondere bei weiblichen Probanden, beobachtet. Eine signifikante Korrelation zwischen dem Müdigkeitsniveau nach drei Stunden Dunkelheit (niedriger Punktwert entspricht hohe Müdigkeit) und der chrono-typologischen Ausprägung (Summenscore des D-MEQ) der Probanden (Spearman rho=-0.545; p=0.003) weist jedoch darauf hin, dass die Müdigkeitsausprägung unter dim-light individuell sehr unterschiedlich und Chronotyp abhängig war. Erwartungsgemäß waren davon überwiegend die Indifferenztypen und moderaten Morgentypen betroffen. Die moderate Morgentypen zeigten unter dim-light zusätzlich eine signifikante Verschlechterung in der Befindlichkeits-dimension Gut-Schlecht (Z=-1.995, p=0.046). Bei moderaten Abendtypen hat die dim-light Bedingung zu keinen signifikanten Beeinträchtigungen geführt. Auch unter Berücksichtigung der Melatoninprofile ließ sich feststellen, dass Probanden mit einem moderaten bis starken Melatoninanstieg innerhalb der ersten drei Stunden unter dim-light Bedingungen („High-Melatonin“ Gruppe) eine deutliche und signifikante Beeinträchtigung ihrer Befindlichkeit (Dimension Gut-Schlecht (Z=-2.023, p=0.043) und Wacheit- Müdigkeit (Z=-2.833, p=0.005) des MDBF) verspürten, während bei den Probanden ohne Anstieg der plasmatischen Melatoninkonzentration („Low-Melatonin“ Gruppe) die Befindlichkeitstestung mit dem MDBF keine signifikanten Veränderungen anzeigte. In einer geschlechtsgetrennten Datenanalyse für die „High-Melatonin“ Gruppe konnte weiterhin festgestellt werden, dass das Müdigkeitsniveau nach drei Stunden dim-light nur bei männlichen, jedoch nicht bei weiblichen Probanden, in Beziehung zur Melatoninkonzentration um 21:00 und 21:30 Uhr stand (Spearman rho=-0.589 und –0.685). Eine ausgeprägtere Müdigkeit gaben jene männlichen Probanden an, die ab 21:00 Uhr höhere Melatoninkonzentrationen im Plasma aufwiesen. Aus den Ergebnissen für die Kontrollbedingung dim-light kann abgeleitet werden, dass für die Bewertung eines möglichen Effektes des blauen Lichtes auf die psychische Befindlichkeit respektive die Melatoninkonzentration im Plasma sowohl das biologische Geschlecht als auch Charakteristika der chronotypologischen Ausprägung zu berücksichtigen sind. Nach der Exposition mit kurzwelligem Licht von 20:30 bis 21:30 Uhr trat bei den Probanden keine Zunahme der Müdigkeit - wie unter dim-light beobachtet - auf. Werden die Indifferenztypen und moderaten Morgentypen als eine Gruppe betrachtet, so zeigte sich nur bei Frauen eine signifikante Suppression der Müdigkeit durch das blaue Licht (Z=-2.246, p=0.013), bei Männern bestand lediglich ein Trend. Dieser Effekt war jedoch nicht mit einer eindeutigen Suppression der Melatonin-inkretion assoziiert. In einer Einzellfallanalyse konnte lediglich bei sieben (3 Männer und 4 Frauen) der 30 Probanden in der „High-Melatonin“ Gruppe eine Suppression oder Stagnation des Melatoninanstieges nach 30 Minuten Lichtexposition festgestellt werden - mit einer statistisch signifikanten Reduktion des Melatonins unterhalb des Messwertes um 20:30 Uhr von durchschnittlich 20% (Z=-3.519, p<0.001). Auch in der „Low-Melatonin Gruppe“ konnten einige wenige Probanden identifiziert werden, die einen äußerst flachen Melatoninanstieg ab 20:30 bis 22:00 Uhr aufwiesen und bei denen eine Suppression des Anstieges nach einstündiger Lichtexposition wahrscheinlich war. Die Bewertung dieser Daten erscheint jedoch als äußerst schwierig, da in keiner der statistischen Prüfungen das Signifikanzniveau erreicht wurde. Weiterhin zeigten die moderaten Morgentypen und Indifferenztypen im Gruppenvergleich eine signifikante Besserung in der Befindlichkeitsdimension Ruhe-Unruhe des MDBF nach Exposition mit blauem Licht (Scorezunahme). Die Ausprägung der beruhigenden Wirkung (Scoredifferenz zwischen 22:00 und 19:00 Uhr) war nur bei Frauen signifikant mit der chronotypologischen Ausprägung (MEQ Score) assoziiert (Spearman rho=0.628, p=0.012). Demnach verspürten Frauen mit höheren MEQ-Scorewerten, also tendentielle Morgentypen, die stärkste beruhigende Wirkung. Die signifikante positive Wirkung des blauen Lichtes auf die MDBF Dimensionen Ruhe-Unruhe für die Gesamtgruppe wurde weiterhin durch Einteilung der Probanden in Responder und Nonresponer näher spezifiziert. Demnach gaben 76.5% der Probanden eine beruhigende Wirkung durch das Licht an, wobei die männlichen Probanden signifikant mehr Responder aufwiesen (χ²=6.368, df=1, p=0.012). Unter Berücksichtigung eines anderen möglichen Differenzierungskriteriums, der individuelle Stimmungslage (Befindlichkeitsskala nach von Zerssen) zu Beginn der Testung um 19:00 Uhr an jeweiligen Tag, konnte insbesondere für Probanden mit einer gedrückten bis leicht depressiven Ausgangsstimmung (Bf-S≥17) eine signifikante Reduktion des mittleren Skalenwertes im Sinne einer Stimmungs- besserung sowohl nach drei Stunden dim-light als auch nach Lichtapplikation festgestellt werden. Eine geschlechtsgetrennte Datenanalyse zeigte, dass insbesondere die weiblichen Probanden auf die Lichtapplikation reagiert haben. In der Testbedingung blaues Licht blieb die Stimmung der Frauen ausgeglichen oder besserte sich von gedrückt zu ausgeglichen bei 78.9%; unter dim-light hingegen waren es nur 47.4%. Eine konstant gute Stimmung, unabhängig von der Testbedingung, gaben die meisten Männer an. Die vorliegenden Ergebnisse stellen einen kleinen Mosaikstein in der gegenwärtigen Diskussion um die Möglichkeiten dar, mit Hilfe von Lichtquellen, die bevorzugt mit einem hohen kurwelligen Anteil Licht emittieren, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit eines Individuums zu beeinflussen. Es konnte gezeigt werden, dass die Applikation von blauem Licht geringer Bestrahlungsstärke zu einer für das Alltagsleben relevanten Zeit, die Befindlichkeit beeinflussen kann. Jedoch muss einschränkend darauf verwiesen werden, dass große individuelle Unterschiede im Ansprechen auf das blaue Licht beobachtet wurden, die nicht zuletzt sowohl vom biologischen Geschlecht als auch von der Chronotypausprägung determiniert waren. Neben der angedeuteten Abhängigkeit zwischen Homöostasis sowie der circadianen Phase hinsichtlich Physiologie, Verhalten und dem Gemütszustand eines Organismus, scheint sich durch das Paradigma der allosterischen Regulation (Allostasis; Sterling & Eyer, 1988) im Zusammenhang mit der interventionellen Lichtapplikation ein interessantes Forschungsfeld im Hinblick auf die Stimmungslage und Schlaf/Wach-Regulation zu eröffnen. Welchen Anteil das kurzwellige Licht an der Regulation circadianer Schwankungen bei der Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit hat, bedarf weiterer Untersuchungen, in denen speziell auch die Frage geschlechtsspezifischer Unterschiede im stärkeren Maße beleuchtet werden müsste. Zwar ist erwiesen, dass der kurzwellige spektrale Anteil des Lichtes die nächtliche Melatonininkretion supprimiert, allerdings scheint dieser Effekt geringer zu sein als ursprünglich angenommen. Die vorliegenden Ergebnisse und neuere Literaturdaten geben Hinweise, dass diese Suppression nicht bei allen Individuen und nicht in gleicher Stärke auftreten. Bemerkenswert an den vorliegenden Ergebnissen ist die Beobachtung, dass akute positive Effekte des blauen Lichtes auf Vigilanz und Wohlbefinden nicht zwangsläufig mit einer Suppression der Melatoninausschüttung assoziiert sein müssen. Dennoch scheint die individuelle chronotypologische Ausprägung zur Variabilität solcher Effekte im starken Maße beizutragen. In der zusammenfassenden Betrachtung deutet die aktuelle Datenlage darauf hin, dass die vielfältigen nicht-visuellen Lichteffekte (NIF) über distinkte und/oder kollektive Systeme der Photorezeption und -transduktion vermittelt werden. Diese Unterschiede könnten in den Photopigmenten, neuroanatomischen Verknüpfungen und molekularbiologischen Downstream-Prozessen auf zellulärer Ebene begründet sein, die letztendlich zu den beobachteten Differenzen hinsichtlich der Sensitivität gegenüber Beleuchtungsstärke und –dauer sowie spektraler Eigenschaften des Lichtes und deren zeitlichen Dynamik führt. Die Erforschung dieses konzertierten Geschehens stellt auch für die Zukunft eine große Herausforderung dar.
The objective of the present study was to evaluate how a singular application of short-wavelenght light (λmax = 460nm) with a irradiance of 12.1 W/cm2 acutely affects the mood of healthy women (n=31) and men (n=22) in the evening hours, and whether it is related to a diminished melatonin secretion. We hypothesized that differences in sex and chronotype do have a significant impact on these effects.