Diese Arbeit beschäftigt sich mit der materiellen Kultur der Spät- und Ptolemäerzeit im Delta Ägyptens am Beispiel von Tell el-Dab’a. Der moderne Ort Tell el-Dab’a, im Ostdelta Ägyptens gelegen, besitzt eine lange Siedlungsgeschichte, die sich vom Mittleren Reich über die Zweite Zwischenzeit und das Neue Reich erstreckt. Nachdem der Ort als Avaris in der Zweiten Zwischenzeit vor allem als Hauptstadt für die Hyksos bekannt wurde, bildet Tell el-Dab’a in der Ramessidenzeit den südlichen Teil der Hauptstadt Piramesse. Die Versandung des pelusischen Nilarmes am Ende des Neuen Reiches führte zu einer Verlagerung der Hauptstadt von Piramesse nach Tanis und somit zu einem Verlassen der Siedlung auch im Bereich von Tell el-Dab’a. Vermutlich gingen die Siedlungsaktivitäten hier stark zurück, einige Relikte weisen jedoch darauf hin, dass es noch immer zumindest eine geringe Besiedlung gegeben haben dürfte. Nach diesem Rückgang oder Hiatus in der Dritten Zwischenzeit kommt es zu einer Neubesiedlung in der Spätzeit (26. - 31. Dynastie) in einem Großteil der antiken Siedlungsfläche, die zumindest bis in die frühe Ptolemäerzeit anhält. Auch wenn nachfolgende Besiedlungsschichten abgetragen wurden und daher nicht erhalten sind, kann mit Hilfe der Keramik zumindest eine kurzzeitige Aktivität bis in die spätrömische Zeit nachgewiesen werden. Die Perioden nach dem Neuen Reich sind bisher für die Siedlung Tell el-Dab’as nahezu komplett unpubliziert geblieben, da der Fokus der Forschung vor allem auf den früheren Epochen, besonders der Zweiten Zwischenzeit und dem Neuen Reich lag. Zu Beginn der hier präsentierten Untersuchung wurde der antike Landschaftsraum vorgestellt, in dem die Siedlung situiert ist (siehe Kap. 3). Dazu gehören eine Hauptgezira und einige Nebengeziras, die als Siedlungshügel genutzt wurden. Diese sind vom pelusischen Nilarm und deren Unterarmen umgeben. Für das Verständnis aber auch die Rekonstruktion der einzelnen Architekturelemente innerhalb der Siedlung ist die antike Landschaft von grundlegender Bedeutung. Zur Analyse der materiellen Kultur ist ein einheitlicher Definitionsrahmen vonnöten. In der vorliegenden Arbeit werden unter materieller Kultur alle Hinterlassenschaften einer Kultur verstanden, die in die drei Bereiche der Architektur, Keramik und Kleinfunde unterteilt wurden. Beginnend mit der Architektur wurden zuerst in Kap. 4 als Einführung in die Wohnarchitektur dieser Epoche, die hauptsächlich aus Turmhäusern besteht, deren typische Charakteristika vorgestellt. Des Weiteren erfolgte eine Zusammenstellung aller Quellen, die über die Turmhäuser Aussagen ermöglichen. Dazu gehören vor allem die Hausmodelle, aber auch Abbildungen, Texte und eine antike Grundrisszeichnung lassen sich zu diesem Thema auswerten. Im Anschluss erfolgte die Präsentation der Elemente aus den Ausgrabungen von Tell el-Dab’a. Zu Beginn der Arbeit waren nur wenige Relikte der Spätzeit in Tell el-Dab’a dokumentiert, so dass in den Jahren 2009 und 2011 zwei Grabungen von der Autorin durchgeführt wurden. Dies resultierte in enormen Materialmassen, so dass für die hier vorgelegte Untersuchung eine Auswahl der Objekte getroffen werden musste. Die Architektur besteht vor allem aus sogenannten Turmhäusern, die sich hauptsächlich durch ein Kasemattenfundament auszeichnen. Im Delta ist fast an allen Orten, wo es diese Gebäude gibt, aufgrund der abgetragenen Tells kaum mehr als das Fundament erhalten. In Tell el-Dab’a sind in einem kleinen Bereich des Tells allerdings noch aufgehendes Mauerwerk und Fußböden vorhanden. Daher stellen die Befunde Tell el-Dab’as eine wichtige Bereicherung für die Forschung dar. In dieser Arbeit wurde eine ausführliche Beschreibung dieser Wohnarchitektur in Kap. 5 geliefert, da diese Gebäude bisher unpubliziert sind und einen signifikanten Beitrag zur Architekturgeschichte des Deltas in der Spätzeit liefern. Die typischen Charakteristika (siehe Kap. 4.2) wurden ebenso vorgestellt wie die mit der Architektur vergesellschafteten Funde. Insgesamt konnten seit der ersten Ausgrabung von 1966 Relikte von etwa 50 Gebäuden ergraben werden, von denen sieben in die Ptolemäerzeit datiert werden können. Der größte Teil datiert in die späte 26. Dynastie der Spätzeit sowie in die Perserzeit (27. Dynastie). Diese Gebäude wurden hauptsächlich als Wohngebäude genutzt. Im Magnetometerbild können darüber hinaus unzählige weitere Gebäude gleicher Art erkannt werden, die bisher nicht ausgegraben wurden (siehe Kap. 5.13). In weiteren Grabungsarealen, die in weniger gut erhaltenen Bereichen liegen, und deren obere Schichten daher bereits abgetragen wurden, kann die Epoche der Spätzeit durch 31 Gruben dokumentiert werden, die spätzeitliche Vorratsgefäße enthielten (siehe Kap. 5.6 und 5.9 - 5.12). Folglich lassen sich 124 Gebäude verzeichnen, die als Teil der ursprünglichen Gesamtsiedlung verstanden werden können. Abgesehen von den zahlreichen Wohngebäuden kann für die Spätzeit ein rechteckiges Tempelgebäude mit Kasemattenfundament im Areal A/N nachgewiesen werden (siehe Kap. 5.3). Viele Wohngebäude und auch das Tempelgebäude nehmen Rücksicht auf eine alte Prozessionsstraße, die in Ost-West-Richtung auf dem Tell verläuft und zum Seth-Tempel des Neuen Reiches führt. Somit dürfte diese Straße in der Spätzeit noch in Verwendung gewesen sein. Ob und in welcher Art dies auch auf den Seth-Tempel selbst zutrifft, kann nach bisherigem Forschungsstand noch nicht geklärt werden. Im Areal F/I ist darüber hinaus ein Friedhofsareal mit sehr einfachen Gräbern ausgegraben worden (siehe Kap. 5.8). Folglich kann ein Großteil der Siedlung auf der antiken Gezira, umgeben von den Wasserarmen des pelusischen Nilarms, rekonstruiert werden. Ergänzt werden diese Informationen von der Keramik (siehe Kap. 6), die sich vor allem durch ihren domestischen Charakter auszeichnet. Eine Auswahl der Keramik wurde im Rahmen dieser Arbeit zu einem Korpus der Spätzeit zusammengestellt (siehe Kap. 6.3) und für einzelne Formen wurde deren Datierung und Parallelen ausführlich diskutiert. Daran anschließend wurde ein Korpus der in der Ptolemäerzeit neu hinzutretenden Formen aufgestellt (siehe Kap. 6.4). Darüber hinaus erfolgte eine ausführliche Auswertung, die einzelne Fragestellungen näher bespricht (siehe Kap. 6.5). Dazu gehört auch die räumliche Verteilung innerhalb der Siedlung sowie die Trennung des Keramikmaterials in einen Nord- und einen Südteil. Anhand der Keramik konnten weitere interessante Aspekte wie z.B. Imitationen von innerägyptischer aber auch importierter Keramik erfasst werden. Gesichtspunkte des damaligen Handels im Mittelmeerraum werden herausgestellt und nachgewiesen. Außerdem erfolgte eine Ausarbeitung der Funktionsbereiche der hier verwendeten Keramik. An die Keramik schließen sich die Kleinfunde an. Zuerst erfolgte eine Zusammenstellung nach Objektkategorien, bei der die Funktion und Fragen der Datierung beantwortet wurden (siehe Kap. 7). Eine ausführliche Auswertung (siehe Kap. 7.16) beinhaltete einen Vergleich mit den Objekten aus anderen Siedlungen Ägyptens. Darüber hinaus wurde die räumliche Verteilung diskutiert. Einige Kleinfunde aber auch Keramikobjekte geben außerdem Informationen über die Ethnizität der Einwohner. Um die Siedlung von Tell el-Dab’a in einen spätzeitlichen Kontext zu setzten, erfolgte in Kap. 8 ein Vergleich mit einigen anderen ausgewählten Siedlungen aus dem Delta und dem Fayûm. Dieser Vergleich betont den gewachsenen Charakter der dicht bebauten Siedlung, die nicht wie die Städte im Fayûm nach einem geplanten Straßennetz angelegt wurde. Weitere typische Charakteristika der ägyptischen Siedlungen der Spätzeit im Delta konnten herausgestellt werden. Als besonders fruchtbar erwies sich darüber hinaus ein Vergleich der Turmhäuser Tell el-Dab’as und anderer Orte Ägyptens mit den Turmhäusern des modernen Jemen, vor allem aus der Altstadt von Shibam (siehe Kap. 9). Die hier gewonnen Einblicke in eine noch lebende Kultur mit unzähligen Informationen, die für das alte Ägypten nicht zu rekonstruieren sind, erweitern das Bild der durch die archäologischen Befunde gewonnenen spätzeitlichen Siedlung erheblich. Ein weiterer Schritt, die Gebäude und vor allem das Siedlungsbild besser vorstellbar zu machen, lag in dem Beginn einer Rekonstruktion der Turmhäuser (siehe Kap. 10). Diese basiert auf den in der Ausgrabung gewonnenen Daten sowie Analogien zu anderen Gebäuden und den Hausmodellen und Abbildungen. Diese erst noch am Anfang stehende Rekonstruktion hat zum Ziel die gesamte Siedlung in der Spätzeit zu rekonstruieren und in einem 3D-Model die räumliche Wirkung der Gebäude innerhalb der Siedlung besser nachvollziehen zu können. In diesem Kapitel wurden darüber hinaus weitere von anderen Wissenschaftlern durchgeführte Rekonstruktionen vorgestellt und besprochen. Es wurde nachgewiesen, dass Tell el-Dab’a in der Epoche der Spät- und Ptolemäerzeit eine gewachsene, dicht bebaute, ägyptische Siedlung gewesen ist. Die hier vorgestellte Präsentation und Auswertung der materiellen Kultur ermöglicht es, diese Siedlung in einer bisher unbekannten Epoche in all ihren Facetten vorzustellen. Daher konnte gerade in der Frage der Stadtentwicklung innerhalb Ägyptens mit dieser Arbeit ein besonderer Beitrag für die Siedlungsarchäologie geleistet werden.
This PhD-dissertation focuses on the material culture of the Late and Ptolemaic Period in the delta of Egypt using the settlement of Tell el-Dab’a as an example. The modern village Tell el-Dab’a is located in the eastern Delta of Egypt. The place owns a long history of settlement beginning in the Middle Kingdom to the Second Intermediate Period and extends to the New Kingdom. Tell el-Dab’a became famous for being Avaris, the capital of the Hyksos. Afterwards in the Ramesside Period Tell el-Dab’a forms the southern part of the capital Piramesse. The silting up of the pelusiac branch of the Nile at the end of the New Kingdom caused shifting the capital from Piramesse to Tanis in the 21. Dynasty and therefor the abandonment of the settlement, with Tell el-Dab’a being affected as well. Presumably the settlement activities decreased substantially but some relicts indicate that a small population still existed. Following this decrease or even hiatus in the Third Intermediate Period a resettlement can be traced in the Late Period (26. - 30. Dynasty) in large part of the antique settlement area. This resettlement continues at least until the early ptolemaic times. Even though the following occupation layers have been removed and are therefor not preserved anymore, nevertheless a temporary activity in the late roman area can be verified by the pottery. The periods of the settlement following the New Kingdom are almost completely unpublished since the main research focused on the earlier periods, especially the Second Intermediate Period and the New Kingdom. At the beginning an introduction to the ancient landscape containing the settlement is presented (see chapter 3). The landscape includes the main island (gezira) as well as some side geziras that were used as mound for the settlement. These were surrounded by the pelusiac branch of the Nile and its secondary channels. The ancient landscape is essentially significant for the comprehension and the reconstruction of the separate elements of architecture within the settlement. This thesis concentrates on the relicts of the material culture that were found and excavated in the settlement of the Late Period. Material culture here describes all relicts of a culture that are divided in the three parts of architecture, pottery and smallfinds. Starting with chapter 4, an introduction into the architecture of this Period and its typical characteristics is given. This architecture mainly consists of the so called tower houses. Furthermore a compilation was carried out of all available sources that allow conclusions about the tower houses. This includes most notably the house models but also pictorial and textural evidences as well as an antique drawing of a floor plan of a house. Subsequently a presentation of all features of the excavations in Tell el-Dab’a is given. At the beginning of the PhD research the relicts of the Late Period in Tell el-Dab’a were quite modest in quantity so that two excavations conducted by the author in 2009 and 2011 followed. However these resulted in enormous amounts of material so that a selection of objects had to be made for the here presented analysis. The architecture mainly consists of tower houses that own a casemate foundation. In almost all places of the Delta only the foundations are still preserved, since the upper parts of the tells are degraded and removed. One area in Tell el-Dab’a contains some buildings that still have original floors and standing masonry. Consequently the features of Tell el-Dab’a represent an enrichment for the research. In this dissertation a very detailed description of the living architecture is given in chapter 5 since the buildings are hitherto unpublished and provide a significant contribution to the history of architecture of the Late Period in the Delta. Not only the typical characteristics (see chapter 4.2) were presented but likewise the finds that were associated with the architecture. Altogether, relicts of about 50 buildings were excavated since the first season in 1966. Seven buildings can be dated to the Ptolemaic Period, the rest to the late 26th Dynasty as well as to the 27th Dynasty (Persian Period) of the Late Period. Mainly, they were used as residential buildings. In addition, numerous edifices that are not excavated yet can be seen in the magnetometry pictures (see chapter 5.13). Other excavation areas are situated in districts that are less good preserved. Therefor the upper layers which included the Late Period are mainly removed already. Nevertheless the Late Period can be detected here due to 31 pits which contained Late Period storage vessels (see chapter 5.6 und 5.9 - 5.12). Consequently 124 buildings can be traced that stand as a pars pro toto for the originally much larger settlement. Apart from the numerous residential buildings, also a rectangular temple edifice with casemate foundation of the Late Period is preserved in area A/N (see chapter 5.3). Many living houses and also the temple building respect an older processional road that runs in eastwestern direction at the tell to the temple of Seth of the New Kingdom. Thus, this street seemed to be still used in the Late Period. If and in what way the temple of Seth was still in use can not be answered though at the current state of research. In area F/I a necropolis of the Late Period was excavated consisting of very simple tombs (siehe Kap. 5.8). Therefore a major part of the settlement of the antique main gezira that was surrounded by the branches of the pelusiac Nile can be reconstructed. This information is supported by the pottery documented (siehe Kap. 6), that is mainly characterized by its domestic nature. Within the scope of this thesis, a selection of the pottery was chosen and a corpus of the Late Period pottery was arranged (see chapter 6.3). For the separate forms, a detailed dating as well as parallels from other places were discussed. Afterwards a corpus of those forms that appear for the first time in the Ptolemaic Period was created (siehe Kap. 6.4). In addition, an extensive analysis was given concerning different research questions (see chapter 6.5). This includes the spatial distribution within the settlement as well as the division of the pottery in a northern and a southern part. By means of the pottery other interesting aspects as imitation of pottery within Egypt but also of imported pottery can be discussed as well as the trade in the Mediterranean in this period can be detected and reconstructed. Moreover for some of the pottery shapes, the functional categories of the pottery could be shown. Furthermore, the small finds were analysed. Primarily a compilation of object categories was given, discussing the function and dating of the several object groups (siehe Kap. 7). A comprehensive repraisal (siehe Kap. 7.16) includes a comparison with objects found in other egyptian settlements. In addition, the spatial distribution of the small finds was analysed. Some small finds as well as pottery can provide information concerning the ethnicity of the inhabitants. To set the settlement of Tell el-Dab’a into a context of the Late Period a comparison with some selected other settlements was presented in chapter 8. This comparison focused on the layout of settlements in the Delta and the Fayum. The character of a grown and densely settled city is emphasized in comparison to cities in the Fayum, that were arranged to a grid street system and therefor consisted of a planned settlement layout. Further typical characteristics of Egyptian settlements of the Late Period in the Delta could be shown. Exeptionally worthwhile was a comparison of the tower houses from Tell el-Dab’a with those of other places within Egypt or the modern Yemen, especially those of the old city of Shibam (see chapter 9). The thus gained insights into a living culture that is still building and living in tower houses of mud bricks extend the understanding of the houses received by the excavation considerably. Countless information that can not be reconstructed for the Late Period settlements of Egypt are available from modern ethnoarchaeological sources. This concerns not only the architecture itself but also the intercourse of the inhabitants and their houses. Another step forwards to achieve a better understanding of the buildings and especially of the townscape was reached by starting a virtual 3D reconstruction of the tower houses (see chapter 10). This reconstruction is based on the data gained in the excavation of Tell el-Dab’a as well as on analogies of other buildings, the house models and pictorial sources. This reconstruction that is still in its early stages. The aim of this virtual model is to get a better understanding of the spatial impact of the buildings within the settlement. In this chapter, also reconstructions done by other scientists are discussed and compared. The settlement of Tell el-Dab’a in the Late and Ptolemaic Period represented a grown and densely settled city. By means of this thesis the material culture of this settlement, its appraisal and comparison of a hitherto unknown city with all its facets could be presented and analysed. Concerning the urban development of cities in Egypt an important contribution is thus achieved.