Zusammenfassung: Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) ist die häufigste Krebserkrankung im Kindesalter. Über den genauen Mechanismus der Leukämogenese ist noch wenig bekannt. Auffallend ist jedoch, dass bei über 80% chromosomale Veränderungen nachweisbar sind, von denen etwa die Hälfte auf Translokationen entfällt. Das macht verständlich, dass DNA-schädigende Einflüsse sowie eine gestörte DNA-Reparatur zu einem erhöhten Leukämierisiko führen können, da es so zu einer Akkumulation somatisch erworbener DNA-Schäden kommen kann. So kommt es bei der Ataxia telangiectasia bzw. beim Nijmegen Breakage Syndrom zu einem erhöhten Leukämie- bzw. Lymphomrisiko. DNA-Schäden sind ein sehr häufiges Ereignis. Eine korrekte DNA-Reparatur ist daher für den Erhalt der genomischen Stabilität erforderlich. Für die Reparatur von Doppelstrangbrüchen gibt es zwei verschiedene Mechanismen: Während der späten S- und der G2-Phase kommt es zur Homologen Rekombination mit dem Schwesterchromatid. Während der G0-, G1- und frühen S-Phase kommt es überwiegend oder ausschließlich zum Non- Homologous End Joining (NHEJ). Hierbei spielt die DNA-Ligase IV eine wichtige Rolle. 1990 wurde über einen Patienten mit einer DNA-Ligase IV-Mutation berichtet, der mit 14 Jahren an ALL erkrankt war. In der Folgezeit wurden vier weitere Patienten mit verschiedenen DNA-Ligase IV-Veränderungen bei unterschiedlichem Phänotyp beschrieben. Inzwischen sind insgesamt neun Patienten bekannt, darunter ein weiterer ALL-Patient. Es schien daher plausibel, dass derartige Veränderungen zu einem erhöhten ALL-Risiko führen können. In der vorliegenden Arbeit wurden DNA-Proben von 107 Kindern mit ALL- Ersterkrankung sowie 104 Kontrollproben mittels DHPLC-Analyse und Sequenzierung auf Veränderungen im DNA-Ligase IV-Gen untersucht. Überraschenderweise wurden die beiden bekannten Polymorphismen A3V und T9I bei den ALL-Proben signifikant seltener gefunden als in der Kontrollgruppe (34,6% vs. 20,6%; p < 0,025). Es ist bekannt, dass diese Polymorphismen kombiniert und homozygot die Aktivität der Ligase um den Faktor 2-3 verringern. Ob sie dies auch einzeln und homozygot, wie sie hier überwiegend vorliegen, tun, ist nicht bekannt. Die Rolle des NHEJ ist zwiespältig: Einerseits ist es lebenswichtig, andererseits ist es potentiell fehlerhaft. Vor der Verbindung der Bruchenden kommt es zu einer Prozessierung der DNA-Stränge, was zu Deletionen und Leserasterverschiebungen führen kann. Durch Verknüpfung von Bruchenden unterschiedlicher Brüche kann es zu Translokationen kommen, wie sie bei der ALL häufig gefunden werden. Eine Aktivitätsminderung der DNA-Ligase IV durch die genannten Polymorphismen könnte der Entstehung dieser DNA- Veränderungen entgegenwirken und somit protektiv bezüglich der ALL-Entstehung im Kindesalter wirken.
Abstract Acute lymphoblastic leukemia (ALL) is the most common malignant disease in childhood. Yet little is known about the exact mechanism of leukemogenesis. Strikingly, chromosomal abnormalities are found in more than 80% of sufferers; about half of these are translocations. Thus, DNA-damaging influences as well as an impaired DNA-repair can increase the risk for leukemia, because these can lead to an accumulation of somatically-acquired DNA-damages. Ataxia telangiectasia and Nijmegen Breakage Syndrome lead to an increased risk of leukemia and lymphoma, respectively, due to an impaired DNA- repair. DNA-damages are a frequent threat and correct DNA-repair is indispensable for the maintenance of genomic stability. There are two fundamentally different mechanisms for the repair of double-strand breaks (DSB): While during late S- and G2-phase DSB can be repaired by homologous recombination (HR) with the sister chromatid, non-homologous end joining (NHEJ) is the predominant if not exclusive pathway during G0-, G1- and early S-phase. Here DNA ligase IV plays an important role. In 1990 it was reported about a patient with a mutation in the DNA ligase IV gene, who had developed an ALL at age 14. Later, four other patients with different changes in the DNA ligase IV gene and a variable phenotype were described. Meanwhile nine patients are known, among whom is one patient with an additional ALL condition. Thus, it seemed plausible, that such changes could lead to an increased risk of ALL. The present study analyzed DNA samples of 107 children under the age of 18 with newly diagnosed ALL and 104 control samples for genetic variants in the DNA ligase IV gene by DHPLC and sequencing. Surprisingly, within the ALL-group the two known polymorphisms, A3V and T9I, were significantly less frequent as compared to the control group (34.6% vs. 20.6%; p < 0.025). It has been reported, that if in combination and in the homozygous state these two polymorphisms can reduce ligation activity approximately 2-fold to 3-fold. However, whether these polymorphisms in the heterozygous state and alone, as predominantly found in this study, could influence the function of the DNA ligase IV is still unknown. The role of NHEJ is contradictory. On the one hand it is vital, on the other hand it is potentially error-prone, in that the broken DNA-ends undergo processing prior to ligation. This can lead to deletions and frame-shift mutations. Ligation of the ends of DNA molecules from different double-strand breaks can lead to chromosomal translocations, which are frequently found in ALL. Thus, a decrease of the DNA ligase IV activity caused by these two polymorphisms could reduce the formation of such DNA-damages and thereby reduce the risk of developing ALL during childhood.